„Ein wichtiger Zeitzeugenbericht“

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Der Historiker Hans Horn rezensierte das Buch „Mein Vater Robert Ley“

Oberbergischer Kreis - „Solange er lebte, war mein Vater für mich der nächste Mensch, der Mensch, an dem ich am meisten hing. Ich wusste, dass ich ihm recht war, so wie ich war, dass er mich vorbehaltlos angenommen hatte.“ Diese Sätze öffnen die Tür zum Verstehen der Erinnerung der intelligenten Tochter Renate (geb. 1922), die nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes den Geburtsnamen ihrer Großmutter väterlicherseits annahm. Wer das überlieferte Bild von Robert Ley vor Augen hat, also dem fanatischen Mann der Kampfjahre in der Weimarer Republik, dem mächtigen Reichsorganisationsleiter der NSDAP und dem so vieles bestimmenden Führer der Deutschen Arbeiterfront, oder wer sich in die kritische Geschichtsforschung zu seiner Person und zu seinem Wirken vertieft hat, der wird durch die Erinnerung der Tochter in eine zum Teil andere Welt, in eine andere Sicht der Dinge geführt.

Der Leser spürt sehr schnell, dass es einen Unterschied macht, ob die Liebe und die bleibende Zuneigung einer Tochter oder die kritischen Erkenntnisse eines Historikers den erstaunlichen Aufstieg des Robert Ley, sein von Macht und Einfluss prall gefülltes Leben in seiner Hochphase und dann seinen tiefen Absturz betrachten.

Renate Wald hat es immer als ihre Aufgabe angesehen, von der mit ihrem Vater gelebten Zeit zu berichten. Erst im Alter findet sie dazu den nötigen Abstand und auch die nötige Konzentration. Ihre Erinnerungen sind somit nicht hastig zu Papier gebracht worden, sondern sie konnten im Dialog mit Zeitzeugen, aber vor allem auch mit zeitgeschichtlichen Veröffentlichungen sehr überlegt heranreifen zu den Aussagen, wie wir sie nun in den Händen haben.

Eingehend zeichnet Renate Wald die Familiengeschichte ihres Vaters. Hart war bei aller geschwisterlicher Hilfe und der nie versagenden mütterlichen Unterstützung sein Ausbildungsweg bis hin zum Erwerb des Doktordiploms in Chemie. Mit Respekt blickt die Tochter auf den beruflichen Werdegang nach oben und dann auf den Sprung in die Strudel der Politik, als der Vater sich 1924 der Hitler-Bewegung anschloss, deren Vorkämpfer er im Rheinland wurde. Kein Zweifel, Renate Wald sieht vor allem in dem Erleben der Jugend- und Weltkriegszeit die Berufung zum Politiker heranwachsen, um den Aufbau eines nationalen Sozialismus voranzutreiben, wie überhaupt seine sozialpolitischen Aktionen und Visionen für sie wegweisenden Charakter gehabt haben.

Zeugin der Aktivitäten

Anerkennend spricht Renate Wald von der Fürsorge ihrer tieffrommen Mutter Elisabeth, geb. Schmidt, aus Nümbrecht-Straße (Eheschließung 1921). In Köln wird die junge Renate mit steigendem Bewusstsein Zeugin der politischen Aktivitäten ihres Vaters, die für sie noch eine romantische Seite haben, wenn sie z. B. im Auto mitfahren darf zu politischen Veranstaltungen.

Dass ihr Vater mit seinem grenzenlosen Antisemitismus und seinem tiefen Hass auf die Weimarer Republik inzwischen einer der aggressivsten Agitatoren der NS-Bewegung geworden war, das alles blieb der Tochter damals verständlicherweise verborgen.

Mit Hitlers Machtübernahme betritt auch der Vater die große politische Bühne, auf der er bleibt mit einer Fülle von Kompetenzen zur Straffung und Stärkung der Parteiorganisation, zur Heranbildung einer NS-Führungselite und zum Ausbau der Deutschen Arbeitsfront. Für die Tochter öffnen sich so neue Möglichkeiten, mehr zu sehen, mehr zu erleben.

Mit der nationalsozialistischen Weltanschauung habe sie sich nicht auseinander gesetzt, sagt Renate Wald. Mit 21 sei sie in die Partei aufgenommen worden. Zweifel am politischen Weg hat sie indes nicht gehabt. Schuld erkennt sie im Rückblick auf ihr Leben „in mehreren Welten“.

Hat der Vater die Verbrechen vor und während des Krieges mit ermöglicht oder sogar veranlasst? Der Vater habe sich „von institutionalisierter Gewalt“ fern gehalten, aber auch nicht Stellung genommen, wenn sie praktiziert wurde. Dass Leys Antisemitismus für sie zu einer lebenslangen psychischen Last wird, spürt man. „Als Möglichkeit schrecklicher Verblendung“ werde das Dritte Reich „nur dann lebendig bleiben, wenn verstehbar ist, dass Menschen zu Dingen fähig sind - in allen Extremen -, die sie nicht voraussehen können und die sie auch nicht bewusst gewollt haben“, so Renate Wald im Vorwort. „Nicht bewusst gewollt haben?“ Widerspruch regt sich auch hinsichtlich ihres Vaters, der immerhin auf der Liste der Nürnberger Hauptkriegsverbrecher an neunter Stelle stand.

Nicht ohne Bewegung liest man Walds Bericht über das interne Familienleben, wie der Vater sich von seiner Frau Elisabeth trennte, seine zweite Ehe mit der eleganten Sängerin Inga Spilcker eingeht (1938). Vehement kämpft sie gegen das Gerücht, ihr Vater habe Ende Dezember 1942 seine Frau Inga getötet, die offensichtlich freiwillig aus dem Leben schied.

„Wir haben Gott verlassen“

Das Leben der selbstbewussten Tochter ist nach ihrem Abitur bemerkenswert durch verschiedene Stationen: unter anderem Reichsarbeitsdienst in Bielstein, neunmonatiger Aufenthalt in Paris, Studium (Deutsch, Französisch) in Tübingen, journalistische Ausbildung und schließlich im Februar 1945 noch ein riskanter Abschluss des Dritten Reiches, als sie sich zum „Freikorps Adolf Hitler“ meldet. Den Vater sieht sie außerhalb Berlins „vermutlich Anfang April 1945“ zum letzten Mal, „erschöpft, mit ernsten Augen“. In Nürnberg schreibt Robert Ley: „Wir haben Gott verlassen, deshalb hat Gott uns verlassen“, ein Bekenntnis, das sich hinsichtlich seiner persönlichen Note der Kommentierung entzieht.

Renate Wald hat uns einen wichtigen Zeitzeugenbericht gegeben. Er besticht nicht durch Sensationen, aber durch kluge Beobachtung, durch interessantes Erleben und durch das Ringen um Gerechtigkeit für ihren Vater. Dem unkritischen Leser jedoch wird möglicherweise in manchen Passagen ein nahezu idyllisches Bild vermittelt. Manchen zu Kontroversen anregenden Satz wird man mehrfach lesen müssen. Rente Wald musste ein schweres Erbe zu übernehmen. „Den Schutzwall, den sie um ihre Gefühle für ihren Vater aufgerichtet hat“, so der israelische Psychologe Dan Bar-On, „gab ihr die Möglichkeit, ihren Vater weiterhin zu lieben und, vielleicht, andere Menschen zu lieben.“

Die Autorin leidet seit langem an einer schweren Krankheit. Ohne die Mitwirkung ihrer früheren Sekretärin an der Uni Wuppertal, Ute Danioff, und eines Nümbrechter Freundes, Wilhelm Mortsiefer, bei der Niederschrift hätten die Erinnerungen wohl jetzt nicht veröffentlich werden können. Dank gebührt dem Martina Galunder-Verlag für die Aufnahme in sein Programm und für die ansprechende Aufmachung.

Renate Wald, Mein Vater Robert Ley, Martina-Galunder-Verlag, ISBN 3-89909-033-X, 160 Seiten, 19,90 Euro

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