FernsehenBeim Bergdoktor, da regnet’s nie

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Hans Sigl mit Fans auf der Terrasse der Hartkaiser-Hütte: „Hans, warum siehst du so verdammt gut aus?“

Hans Sigl mit Fans auf der Terrasse der Hartkaiser-Hütte: „Hans, warum siehst du so verdammt gut aus?“

Für diese Baustelle ist wahrscheinlich auch der „Bergdoktor“ verantwortlich. In Ellmau wird die Umgehungsstraße erweitert und ein Tunnel gegraben. Wegen der vielen Besucher: In den letzten fünf Jahren ist die Zahl der Übernachtungen um 23 Prozent gestiegen.

Über dem Ortseingang hängt ein Banner: „Willkommen im Bergdoktor-Dorf“ steht drauf und daneben lächelt Hauptdarsteller Hans Sigl milde. In diesen Tagen begrüßt er besonders viele Gäste: Es ist Bergdoktor-Woche in der 2600-Einwohner-Gemeinde. Fans aus ganz Deutschland kommen nach Tirol, um Schauspieler und Drehorte von Deutschlands erfolgreichster TV-Serie zu sehen.

Vincent ist sieben und mit seinen Eltern da. Er findet die Bergrettungsszenen am besten. Und Vincents Eltern meinen: „Die Schauspieler sind sympathisch und die Landschaft einfach toll.“ In der Tat – die bizarren Grate des mächtigen Wilden Kaisers sind beeindruckend. Manche Kritiker meinen sogar, er sei der wichtigste Darsteller in dieser Serie.

Die erste Attraktion der Fan-Woche ist für Vincent und Hunderte andere Fans „Bergklettern mit Heiko Ruprecht“, der den Bruder des Bergdoktors spielt und in dieser Rolle mit der Mutter den Hof bewirtschaftet und als Freiwilliger bei der Bergrettung im Einsatz ist. An der Gaudeamushütte begrüßt Heiko Ruprecht (41) mit Handschlag die Männer von der echten Bergwacht, die regelmäßig beim „Bergdoktor“ mitspielen. Wie sie trägt er die echte schwarz-rote Kluft. „Auf den müssen wir kaum aufpassen, der ist ganz fit“, sagt der Sepp, der 30 Jahre lang Chef der Bergwacht war und den Posten jetzt an seinen Sohn Roman übergeben hat.

Heiko Ruprecht ist Hobby-Bergsteiger und nun können sich die Fans mit seiner Hilfe, der von Sepp, Roman und den anderen am kleinen Murmeltierfelsen abseilen lassen. Ruprecht macht das mit einer freundlichen Engelsgeduld und erklärt zwischendurch noch, dass natürlich in der Serie viel getrickst wird. „Manchmal sind wir nur auf fünf Meter Höhe und im Fernsehen sieht es dann wie ein Abgrund aus. Das geht schon versicherungstechnisch nicht anders.“

Und der Sepp sagt: „Die Regie denkt sich irgendwelche Geschichten aus, und fragt: Wo können wir das machen? Und wir müssen dann erklären, dass das so überhaupt nicht geht, und uns was anderes ausdenken.“

„Voll niedlich“ findet eine Gruppe Frauen um die 30 den Heiko. Einige kennen sich schon von der Fan-Woche im vergangenen Jahr, Profi-Fans also. „Klar sind die Liebesgeschichten und die Krankheiten meistens an den Haaren herbeigezogen, aber das ist mir lieber als Action und Ballerei in den amerikanischen Serien. Und von Krimis habe ich echt genug“, findet eine. Na, und die beiden Hauptdarsteller sind ja auch ganz fesch, wird gekichert.

Klar, der besondere Reiz liege natürlich darin, dass die beiden Gruber-Brüder auch in der achten Staffel immer noch unverheiratet sind – ihre Partnerinnen werden stets durch Schicksalsschläge wieder aus der Serie geschrieben. Zum Beispiel die Andrea, die der Hans eigentlich heiraten wollte. Nach einem Autounfall schwer verletzt und vor einer fast aussichtslosen Operation, schaltet sie selbst die lebenserhaltenden Geräte ab – damit Zwillingsbabys mit ihren Organen gerettet werden können. Wie das Leben halt so spielt.

Petra (47) aus Frankfurt sagt: „Die älteren Frauen sind bei den Fan-Tagen schon manchmal unmöglich, die wollen den Schauspielern sehr nahe kommen. Grabsch, grabsch.“ Und was meint sie mit „älter“? „Na, älter als ich.“

Susanne (46) ist mit ihrer 15-jährigen Tochter Jenny gekommen. Die fand es anfangs voll peinlich, „Bergdoktor“ zu schauen. „Aber dann hat sie gemerkt, dass es gar nicht so schlimm ist und nun ist sie auch immer dabei.“ Mit der Bergdoktor-Tochter Lilli, die in der Pubertät ist, kann sie sich gut identifizieren.

Heiko Ruprecht findet seine Lage manchmal etwas merkwürdig: Von den Fans erdrückt, beruflich verkannt. „Mich fragen immer noch Kollegen ganz überrascht: Ach, da spielst du mit?“ Der „Bergdoktor“ ist für das Fernsehen wohl ungefähr so etwas wie Helene Fischer für die Musik. Mega-erfolgreich in den verschiedensten Altersklassen – aber außerhalb des Fankreises missachtet.

Dabei erreicht die Sendung an manchen Abenden Spitzenwerte mit einem Marktanteil von 20 Prozent. Und der Tourismusverband Wilder Kaiser fand in einer Umfrage heraus, dass der „Bergdoktor“ für 78 Prozent der Besucher mitentscheidend für die Wahl des Urlaubsziels war.

Am nächsten Tag steht dann die Hauptattraktion an: Das Treffen mit Hauptdarsteller Hans Sigl alias Dr. Martin Gruber. 700 Fans sind gekommen – Besucherrekord, die riesige Terrasse auf der Hartkaiser-Hütte hoch oben am Berg ist voll. Im Hintergrund wacht der mächtige Wilde Kaiser, als Hans Sigl (44) mit Sonnenbrille und kariertem Jackett die Fans begrüßt.

Als Moderator ist er fast noch souveräner als in seiner Rolle als TV-Arzt. Es ist die fünfte „Bergdoktor“-Woche und jedes Mal kommen mehr Pilger. Ein bisschen wirkt Sigl wie ein Guru, wie er da von den Menschen empfangen wird. Zunächst gibt es ein paar Plänkeleien: „Hans, warum nuschelst du die medizinischen Fachbegriffe immer so? Man kann nichts verstehen!“ Sigl macht aus der Antwort eine kleine Kabarett-Nummer, in der er schließlich Hans Moser parodiert. Dann kommen die Fans, vor allem die weiblichen, schnell zur Sache: „Hans, warum siehst du so verdammt gut aus?“ und „Wann wirst du heiraten?“ Die erste Frage übergeht Sigl mit einem Lächeln, die zweite beantwortet er: „Meine Prognose ist, dass es relativ unwahrscheinlich ist, dass der Bergdoktor in absehbarer Zeit heiratet oder sogar einen Kita-Platz bestellt. Aber ihr könnt ja mal abstimmen.“ Die Mehrheit ist für „ledig“. Bei „Dr. Brinkmann“ aus der „Schwarzwaldklinik“ wäre sowas undenkbar gewesen.

Der Hans prämiiert dann die Sieger der Bergdoktor-Schnitzeljagd: „Wahnsinn, die Leute wissen wirklich noch, wen ich in Staffel drei, Folge sechs geküsst habe. Ich habe das längst vergessen“, sagt Sigl. Vincent und seine Eltern als Team „Langzeitpatienten“ kriegen auch einen Preis für die meisten richtig beantworteten Fragen.

Und Sigl bekommt Grüße überbracht von einer Gruppe, die letztes Jahr dabei war: eine Abi-Klasse auf Abschlussfahrt. Sie hatte mit ihrem Ethik-Lehrer Fallbeispiele aus dem „Bergdoktor“ behandelt – Sterbehilfe, Abtreibung, Zwangsernährung, Organspenden. Dramatische Beispiele gibt es ja genug, denn mit der Exotik seiner Fälle kommt „Dr. Martin Gruber“ schon mal nah an „Dr. House“ ran – obwohl er in einem winzigen Ort praktiziert. Man denke nur an das Freeman-Sheldon-Syndrom!

Bevor Sigl geschlagene drei Stunden Autogramme schreibt, wird er etwas salbungsvoll. „Als wir 2007 mit dem Drehen anfingen, wussten wir nicht, wo die Reise hingeht. Ich bin froh, dass ich die Rolle offenbar so gut rüberbringe. Am Ende des Tages bleibt viel Dankbarkeit. Dass hier so viele freundliche Menschen sitzen und mich anlächeln, ist ein großes Geschenk.“

Auch für das ZDF ist die Serie ein großes Geschenk, lockt sie doch viele Zuschauer unter 50 Jahren an, was mit dem sonstigen Angebot nur selten gelingt. Das Durchschnittsalter der ZDF-Zuschauer liegt bei 61 Jahren.

Und so macht sich auch eine altersmäßig gut durchmischte Gruppe auf zur dritten Attraktion der Fan-Woche: Wanderung mit dem Moser Sepp zu den Drehorten in Ellmau und dem Nachbarort Going. Der Moser Sepp, der hauptberuflich an der Information des Tourismusverbandes arbeitet und durch extrem kurze Lederhosen auffällt, betreut seit Jahrzehnten Filmteams am Wilden Kaiser. Der Michael Roll, der Hansi Hinterseer und die Marianne und der Michael und wie sie alle heißen, waren schon da.

Der Moser Sepp beschafft, wenn nötig, auch Weihnachtsbäume und Plätzchen im Oktober. Leider regnet es heute im schönen Tirol, aber das wird tapfer ignoriert. Der Moser Sepp sagt: „Beim Bergdoktor regnet’s nie, das wissen Sie ja. Draußen gedreht wird nur, wenn die Sonne scheint. Sonst werden Innenaufnahmen gemacht.“ In der Regel werden deshalb drei Folgen gleichzeitig gedreht – dann kann man schnell umplanen. Die Männer müssen stets glatt rasiert sein, damit es später beim Zusammenschneiden keine Anschlussfehler gibt.

Und dann geht es mit einem kleinen Jodler los nach Going. Hier steht die Pfarrkirche von 1774, wo man sich vor allem zu TV-Beerdigungen trifft, und das Haus für die Außenaufnahmen des Gasthauses „Wilder Kaiser“, das von Wirtin Susanne (Natalie O’Hara) geführt wird – die übrigens mal mit dem einen, mal mit dem anderen Gruber-Bruder liiert war. Der Hausbesitzer hat einen Zettel an die Tür gehängt: „Liebe Bergdoktor-Fans, hier wird nicht ausgeschenkt, dies ist ein Wohnhaus.“ Die Innenaufnahmen werden im echten Gasthaus Föhrenhof in Ellmau gemacht, immer dienstags, wenn Ruhetag ist. Etwas überrascht sind die Fans dann allerdings doch, dass die Intensiv-Station, in die Dr. Gruber seine schwierigen Fälle einliefern lässt, aus einem Flur und einer Zimmerkulisse besteht, die in der örtlichen Tennishalle untergebracht sind.

Zum Gruberhof, auf dem die TV-Familie wohnt und morgens immer so schön auf der Holzterrasse frühstückt, kann die große Gruppe nicht gemeinsam gehen. Das Haus ist in Privatbesitz. „Gehen Sie dort am besten einmal alleine auf einer Wanderung lang.“ Früher, erklärt der Moser Sepp, habe die Produktionsfirma immer gesagt, wann und wo gedreht wird. Aber das würde heute geheim gehalten. „Manchmal standen da Trauben von 200 Leuten, da konnte nicht mehr gearbeitet werden.“

Der Höhepunkt der Führung ist der Besuch der Bergdoktor-Praxis in einem ehemals leerstehenden Bauernhof. Alle Requisiten samt Stethoskop sind am Platze und werden ausgiebig fotografiert. „Guck mal, hier sitzt immer Fräulein Schneider, die Sprechstundenhilfe“, sagt ein Besucher.

Fräulein Schneider taucht allerdings nur noch in den derzeit laufenden Wiederholungen auf. Darstellerin Sophia Thomalla ist inzwischen ausgestiegen. „Schade, das war immer was für uns Männer“, meint Peter (53), der mit seiner Freundin Diana (38) dabei ist.

Resi, die Besitzerin des Hauses und Schwester des – echten – Bürgermeisters von Ellmau, hat einen kleinen Souvenirstand mit Schlüsselanhängern und Postkarten unterm Balkon aufgebaut. „Sie können gerne Ihre Fanpost in den Briefkasten hineinwerfen, aber bitte keinen Kuchen für den Doktor, der Kasten wird nur alle drei Wochen geleert. Da haben wir schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt der Moser Sepp. „Das war es mit unseren Fan-Tagen, meine lieben Freunde. Ich hoffe, Sie kommen wieder ins schöne Ellmau.“ Und gibt noch mal einen Jodler zum Besten.

Hans Sigl und Heiko Ruprecht sind derweil längst wieder bei der Arbeit, drehen drei Folgen auf einmal, in denen sie Probleme haben mit Frauen und seltenen Krankheiten. Ein Geheimtipp kursiert: Im mexikanischen Restaurant in Ellmau kann man Hans Sigl nach Drehschluss treffen. Vincent und seine Eltern werden es versuchen.

Was aus Ellmau wird, wenn die Serie mal nicht mehr so gut ankommt? „Dann geht es erst richtig los“, meint Tourismuschef Lukas Krösslhuber. Das sei zum Beispiel bei der „Schwarzwaldklinik“ im Glottertal so gewesen. Da lebte nach der letzten Folge die Legende erst recht auf. Im Praxishaus soll einmal ein Museum entstehen.

Erstmal wird aber jetzt die zweite Bergdoktor-Woche dieses Jahres im September vorbereitet. Mit Heiko Ruprecht, Hans Sigl und dem Moser Sepp. Vielleicht ist dann der Tunnel schon fertig.

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