Porträt von Wladimir PutinEin Mann der Widersprüche

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Moskau – Was ist bloß in Wladimir Putin gefahren? Gerade erst haben wir den Russischen Präsidenten doch noch in Sotschi gesehen, bei den Olympischen Winterspielen. Da war er ganz der aufmerksame Gastgeber. Er trank Obstler mit den Österreichern und Pilsje mit den Niederländern und präsentierte Russland überhaupt von seiner besten Seite. Da war ihm das so wichtig, dass er Sotschi in dieser Zeit kaum verlassen hat. Man kann man ohne Übertreibung sagen: Diese Party hat er als einen Höhepunkt seines Lebens empfunden.

Nur eine Woche nach dem Fest der Völkerfreundschaft hat Wladimir Putin sich von seinem Parlament die Erlaubnis geholt, im Nachbarland Ukraine einzumarschieren. Faktisch kontrollieren russische Truppen ohnehin schon die Halbinsel Krim.

Ist der Mann im Kreml verrückt?

Sie haben Flughäfen umstellt und ukrainische Soldaten ultimativ aufgefordert, ihre Waffen abzugeben. Putin hat das angeordnet, ohne dass zuvor ein Schuss auf russische Soldaten gefallen wäre. Stattdessen hat Moskau fadenscheinige Gründe für das Vorgehen vorgebracht, oder bewusste Verdrehungen. Und bis heute leugnet Moskau, dass es eigene Soldaten sind, die die Krim unter ihre Kontrolle gebracht haben. Im russischen TV ist von „Bewaffneten ohne Uniformkennzeichen“ die Rede.

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Ist der Mann im Kreml verrückt? Jedenfalls fällt es derzeit schwer, ihn zu verstehen. Angela Merkel hat am Sonntag dem amerikanischen Präsidenten erklärt, Putin lebe „in einer anderen Welt“ . So will es die „New York Times“ erfahren haben. Der Moskauer Politik-Experte Stanislaw Belkowski spricht sogar von „Cäsarenwahn“. Er vermutet, der Erfolg der Winterspiele in Sotschi habe Putin den Kopf verdreht. Putin sei eigentlich ein Mann von defensivem, ängstlichem Charakter, er habe im Grunde selbst geglaubt, dass irgendetwas schief gehen würde in Sotschi, oder dass Russland die Spiele verlieren werde. „Als das nicht passierte, hat er beschlossen, dass er alles kann“.

Ein Feind jeder abrupten Bewegung

Putin selbst hüllt sich zur Zeit in Schweigen. Aber er ist ja lange genug an der Macht, dass man sein Handeln beschreiben kann.

Putin ist ein Feind jeglicher Umstürze, Revolutionen, vielleicht sogar jeder abrupten Bewegung in der Politik. Er ist zutiefst überzeugt, das man am besten alles so lässt, wie es ist, und dann weiterschaut. Wenn es sein muss, hilft man auch nach, damit alles so bleibt, wie es ist. Auf den ersten Blick passt dieser Charakter nicht zu seinem raschen Handeln auf der Krim, auf den zweiten schon. Putin hätte sich nämlich gewünscht, dass Viktor Janukowitsch die Aufstände in Kiew früh und mit brutaler Gewalt unterdrückt hätte.

Das hat er selbst zwar nicht gesagt, aber sein Berater Sergej Glasjew hat es ausgesprochen. Stattdessen hat Janukowitsch Gewalt nur halbherzig eingesetzt, hat schießen lassen, aber den Maidan dann doch nicht geräumt. Das war für Putin eine Enttäuschung, vielleicht ein Verrat.

Vom Westen verraten

Verraten fühlte sich Putin aber auch vom Westen. Es waren ja die Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen, die mit Janukowitsch und der Opposition eine vertragliche Form für den Machtwechsel ausgehandelt hatten, an die sich nachher niemand hielt. Am Tisch hatte auch ein Vertreter Moskaus gesessen. Geplant war ein langsamer Wechsel. Das konnte dem Maidan nicht gefallen, um mit Janukowitschs Flucht war die Sache hinfällig.

Warum aber, fragt man sich in Moskau, hat Europa die Opposition und die Protestierenden nie ernsthaft an ihre Pflichten erinnert? Das hieße: Entwaffnung der Protest-Milizen, eine Regierung mit Einschluss der Gegenseite. Stattdessen hat man geduldet, dass die Kiewer im revolutionären Überschwang eine Regierung ernannt haben, die westukrainische Ultranationalisten einschließt und die Ostukraine ausschließt.

Wer wohlwollend ist, wird Putins Handeln auf der Krim aus diesen gefühlten und tatsächlichen Enttäuschungen erklären. Nichts zu tun, war für ihn keine Option mehr. Ukrainische Nationalisten sind in der Vergangenheit schon auf der Krim aufgetreten, wer hätte garantieren wollen, dass sie es nicht wieder tun, diesmal mit Unterstützung aus einzelnen Behörden? Am besten macht man, durch punktuellen Einsatz ohnehin vorhandener Truppen, aus der Halbinsel Krim kurzzeitig eine Insel und sorgt so für Ruhe.

Zynisch, gefährlich, dumm

Selbst wenn wir dieser wohlwollenden Interpretation folgen, ist Moskaus Vorgehen zynisch, gefährlich, dumm. Erstens verletzt es das Völkerrecht. Und zweitens verletzt es den Menschenverstand: Wer in andere Länder einmarschiert, sollte sich zuvor zurechtlegen, was genau er erreichen will.

Putin fehlt überhaupt ein außenpolitisches Konzept, schreibt der Moskauer Sicherheitsexperte Dmitri Trenin: „Moskau war immer gedankenlos, faul und inkohärent, wenn es um die Strategie gegenüber der unabhängigen Ukraine geht. Es hat lieber einzelne Interessen in den Mittelpunkt gestellt: Denuklearisierung, Schwarzmeerflotte, Gastransit und Gaspreise, und so fort.“

Aber es gibt auch eine weniger wohlwollende Interpretation für die russische Politik. Danach hat Putin sehr wohl eine Strategie für die Ukraine, oder jedenfalls hat seine Umgebung eine. Moskau will die Länder sammeln, die seit dem Zerfall der Sowjetunion verloren gingen. Die Westukraine und Kiew sind außer Reichweite. Aber es scheint derzeit nicht schwierig, die Ukraine in ihrer Mitte zu spalten, und sich den Süden und Osten einzuverleiben. Welche Position nimmt die Moskauer Elite ein, und welche Putin selbst? Er hat in der Vergangenheit auf typisch Putin’sche Art immer widersprüchliche Position bezogen, um alle Seiten zufriedenzustellen.

Stark verflochtene Gesellschaften

Es ist eine spannende und wenig erforschte Frage, wie die Separatisten auf der Krim – politisch bisher eine marginale Gruppe – in den letzten Monaten von Moskau gefördert und geeint wurden. Hat das der Kreml selbst getan, oder waren es nationalistische Kreise aus Moskau? Russlands Politik in der Ukraine beschränkt sich ja nicht auf das, was der Kreml tut. Dafür sind die Gesellschaften viel zu stark miteinander verflochten. Ob ein ukrainischer Politiker, Beamte oder Militär loyal gegenüber Moskau oder Kiew ist, das entscheidet die Biografie, das entscheiden die Freundschaften und Kontakte.

Wir wissen deshalb im Grunde nicht, was die russische Politik gegenüber der Ukraine ist. Und absurder Weise hat es in Moskau auch keine ernsthafte politische Diskussion über die Intervention in der Ukraine gegeben. Der Kriegsherr muss sich nicht vor seinen Bürgern rechtfertigen – und das in einer europäischen Großmacht vor unserer Haustür. Nicht Putin ist verrückt, sondern der Machtmechanismus in Moskau, und das sollte uns Angst machen.

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