Kardiologen-Interview nach Schirrmachers Tod„Stress ist Gift fürs Herz“

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Köln – Herr Professor Horlitz, der Tod von Frank Schirrmacher macht uns betroffen. Auch deshalb, weil er mit 54 Jahren noch jung war, dazu sehr erfolgreich. Dann plötzlich Herzinfarkt. Das wirkt völlig unerwartet.

Marc Horlitz: Es erscheint unerwartet, ist aber der Klassiker. Erfolgreiche Menschen, die im Leben stehen, viel Stress haben – hier in der Kardiologie haben wir häufig mit solchen Fällen zu tun. Das Alter zwischen 50 und 60 ist typisch. Man will noch mal Gas geben. Gerade sehr erfolgreiche Männer merken oft nicht, dass sie das Rad überdrehen. Und dann kommen organische Beschwerden als Ausdruck dessen, dass man sich zu viel zugemutet hat. Das kann ein Bandscheibenvorfall sein, aber auch ein Herzinfarkt.

Schirrmacher war ein Mann, der perfekt erschien für diese Leistungsgesellschaft. Immer der erste und innovativste, ständig im Dienst. Ist diese Lebensweise Gift fürs Herz?

Horlitz: Stress ist Gift fürs Herz. Gerade wenn wir nicht mehr zur Ruhe kommen. Wenn der Druck uns scheinbar zwingt, Beschwerden zu ignorieren. Wenn wir auch beim Infarkt noch nach dem Leistungsprinzip urteilen. Männer sind da sehr gefährdet, weil sie ihren Schmerz oft nicht zugeben wollen. Das gelingt ihnen erst, wenn es eine organische Diagnose gibt. Nach dem Motto: Ich habe fünf Bypässe, mein Nachbar nur vier. Dann reden sie auch.

Man hört auch oft von Menschen, die nach dem Berufsleben, plötzlich mit Herzinfarkt tot umfallen, wenn es endlich ruhiger wird.

HORLITZ: Kann auch am Stress liegen. Wer nicht akzeptieren kann, dass plötzlich Ruhe einkehrt, gerät durch das Nichtstun unter Stress. Wer dazu neigt, sollte sich vorher einen neuen Lebensinhalt suchen, mit der Familie planen.

Starke Schmerzen in der Brust, die auch in andere Körperregionen ausstrahlen können. Gerade bei Frauen machen sich häufig nur diese ausstrahlenden Schmerzen im Oberbauch, im Unterkiefer, zwischen den Schulterblättern oder im Arm bemerkbar.

Engegefühl in der Brust. Manche Menschen fühlen sich so, als drücke eine tonnenschwere Last auf ihren Brustkorb. Andere klagen eher über ein heftiges Brennen in der Brust.

Übelkeit, Luftnot und Erbrechen gehören zu den unspezifischen Symptomen eines Herzinfarktes. Alarmiert sein sollte man immer dann, wenn die Schmerzen in vorher nicht bekanntem Ausmaß auftreten.

Panikgefühl kommt häufig zu den beschriebenen Symptomen hinzu. Die Haut wird blass und fahl, Angstschweiß kann sich bilden. (cle)

Wenn Menschen aber nun keine Ruhe wollen und nur Tätigkeit und Erfolg als Ziel haben. Müssen sie dann mit dem Schlimmsten rechnen?

Horlitz: Nein. Gegen Stress spricht nichts, wenn man gelernt hat, damit umzugehen. Der Stress muss kompensiert werden. Durch autogenes Training oder Meditation. Das ist wie Sport für den Kopf. Man trainiert, sich nicht so reinzusteigern. Eine stabile Familie, glücklich sein – das sind auch gute Gegenmittel.

Die Fortsetzung des Interviews sowie Informationen zur Vorbeugung von Herzinfarkten lesen Sie auf der nächsten Seite.

Worüber müssen Sie mit Herz-Patienten noch reden?

Horlitz: Viel Bewegung. Schlank bleiben. Das sind die wichtigsten Sätze, die ich sagen kann. Wenig Kohlenhydrate am Abend. Denn wer nicht zu dick ist, hat auch seltener einen zu hohen Blutdruck, selten hohe Fettwerte, selten Diabetes. Das minimiert das Risiko deutlich. Und natürlich: Keinesfalls Rauchen.

Raucher argumentieren da gerne mit dem sehr alten Helmut Schmidt.

Horlitz: Natürlich. Durch eine günstige Genetik kann man viel kompensieren. Bei anderen ist die Genetik nicht so robust. Manche Menschen haben die Veranlagung zu so genannten Plaques. Das sind Ansammlungen von Fettzellen und Bindegewebe in den Herzkranzgefäßen. Bei Stress können die Gefäße an diesen Stellen einreißen. Der Körper will das wieder reparieren, macht das manchmal aber so übereifrig, dass sich das Herzkranzgefäß akut verschließt.

Schlank bleiben ist eine der wichtigsten vorbeugenden Maßnahmen gegen den Herzinfarkt. Horlitz empfiehlt, abends keine Kohlehydrate mehr zu sich zu nehmen.

Bewegung ist essenziell. Mit einer gesunden Ernährung verringert Sport das Risiko von zu hohen Blutfettwerten, zu hohem Blutdruck und zu hohem Zuckerspiegel und minimiert damit auch die Gefahr, einen Herzinfarkt zu erleiden.

Meditation oder autogenes Training sind wie Sport für den Kopf und helfen, mit Stress besser umzugehen.

Zeit für sich, bewusst abschalten, Handy ausschalten, sich Ruhephasen gönnen.

Glückliche Partnerschaft, eine harmonische Familie oder ein anderes stabiles soziales Umfeld helfen, Stress zu kompensieren. (cle)

Und das führt zum Herzinfarkt?

Horlitz: Ja. Und zwei Drittel der Patienten sterben an seinen Folgen. Es kann zu Kammerflimmern kommen, das innerhalb von Sekunden bewusstlos macht. Nach fünf Minuten ist man tot.

Also schnell den Arzt alarmieren?

Horlitz: 112 wählen. Und zwar sofort. Bei Brustschmerzen in jedem Fall. Frauen haben oft andere Beschwerden. Früher sprach man sogar vom „lügenden Frauenherzen“, weil man ihnen die Symptome nicht abnahm. Heute weiß man: Frauen haben oft unspezifische Schmerzen im Oberbauch, im Unterkiefer oder nur Luftnot. Da sollte man nicht abwarten. Am nächsten Tag kann man zwar das Gefäß noch aufdehnen, aber für den Herzmuskel ist es dann zu spät. Er ist unwiderruflich geschädigt.

Was bedeutet das für den Fall, dass man den Herzinfarkt überlebt?

Horlitz: Zeit ist Herzmuskel. Je länger es dauert, bis der Patient versorgt wird, umso schlechter die Herzleistung. Das heißt, der Motor läuft, aber nur auf halber Kraft. Außerdem drohen Rhythmusstörungen, die noch nach Jahren zu weiteren Infarkten führen können.

Sie sind Chefarzt, 49 Jahre alt.

HORLITZ: Ja, die gefährliche Phase beginnt.

Wie schützen Sie sich?

Horlitz: Seit vier Jahren meditiere ich einmal die Woche beim Fitnesstrainer meiner Frau. Seither kann ich überlegter in Stresssituationen reagieren, so dass Stressspitzen gar nicht entstehen. Ich habe eine stabile Familie. Außerdem fahre ich täglich mit dem Fahrrad zur Klinik und mache am Wochenende Spinning.

Das Gespräch führte Claudia Lehnen

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