StadtteilgeschichteWie eine Frau die turbulenten Kriegsjahre in Köln-Sülz erlebt hat

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Käthe und Willi Bosbach vor dem ehemaligen Zuhause, Palanterstraße

Käthe und Willi Bosbach vor dem ehemaligen Zuhause, Palanterstraße

Sülz – Ein kleiner Platz, ein gewöhnlicher Metallzaun und ein paar hohe Bäume – für Käthe Bosbach ist es ein ganz besonderer Ort. „Hier war es“, sagt sie. Der De-Noel-Platz war einst das Zentrum ihrer Welt. Sie ist dort aufgewachsen. Damals hieß sie noch Käthe Urbach. „Und hier in dem kleinen Café war früher der Friseur Schindler“, erzählt die alte Dame. Mittlerweile wohnt sie im Siebengebirge. Doch bis 1973 hat sie in Sülz gelebt. In dem Lokal an der Ecke Weyertal, Palanterstraße sitzt sie nun und hat eine Plastiktüte dabei – vollgestopft mit Erinnerungen. Auf unzähligen Blättern hat sie aufgeschrieben, was sie in Sülz erlebt hat, in Schönschrift auf liniertem Papier: Es sind 40 Jahre ihres Lebens – und vor allem Sülzer Geschichte, seit 20 Jahren aufgeschrieben. Es soll einmal ein Buch werden, sagt Käthe Bosbach – um an die Ereignisse zu erinnern und daraus zu lernen. Impressionen aus dem Schriftstück stellen wir in zwei Folgen vor.

Im Grünen aufgewachsen

„Im August 1934 wurde ich als erstes Kind der Eheleute Anna und Heinrich Urbach in der Palanterstraße 3g am De-Noel-Platz geboren. Meine Eltern hatten dort ein Lebensmittel, Obst- und Gemüsegeschäft“, steht auf dem ersten Blatt. Aus Kinderaugen betrachtet, war der kleine Platz eine Idylle: „Wir sind hier im Grünen aufgewachsen“, sagt Käthe Bosbach. Sie öffnet ein Album, zeigt auf ein Foto: 1938 hat ein Fotograf auf dem De-Noel-Platz spielende Kinder zusammengetrommelt. Sie tragen adrette weiße Kleidchen, Schleifen in den Haaren. „Sehen Sie mal, wie gut wir angezogen waren“, sagt die alte Dame.

Dabei hatten die Straßen um den kleinen Platz und dahinter damals nicht gerade den besten Ruf. „Es war eine Arbeitergegend. Jeder zweite war arbeitslos. Die meisten waren Kommunisten“, schreibt sie in ihren Notizen. „Und viele junge Menschen waren dann schließlich doch dabei“, erinnert sich Käthe Bosbach. Sie meint damit Organisationen der seit 1933 regierenden Nationalsozialisten. „Hitler hat ihnen eine Ausbildung versprochen und Arbeit. Die Männer waren ja alle arbeitslos.“ Irgendwann, als sie auf der Straße Hüppekästchen und Gummitwist spielte, begann fast nebenbei der Krieg. Da war sie fünf Jahre alt.

Angst gehörte im Krieg zum Alltag

Bereits 1939 wurde ihr Vater eingezogen. Angst gehörte bei der Familie Urbach von nun an zum Alltag – vor schlechten Nachrichten von der Front und vor den Nazis. „Vor den SS-Leuten hatte meine Mutter eine Höllenangst. Es gab in der Straße eine jüdische Familie Baruch mit drei Kindern“, ist in den Erinnerungen zu lesen. Und drei Sätze später: „Die Schweine haben später die arme Familie Baruch geholt. Am selben Tag zog ein Nazi in die Wohnung ein.“

Noch mehr als der alltägliche Schrecken – die Verfolgung der Menschen und später die Bombenangriffe, vor denen die Familie regelmäßig zur Großmutter in die Eifel floh – hat sich eine andere Tragödie in Käthe Bosbachs Gedächtnis eingebrannt: „Wir wollten gerade zu meiner Oma fahren, als der Briefträger Nachrichten vom Vater von der Front brachte. Meine Mutter wollte den Brief schnell im Haus lesen. Mein Bruder sollte im Türrahmen auf sie warten“, erzählt Käthe Bosbach. Währenddessen fuhr ein Nachbarsjunge mit einem Roller vorbei. Ein Rad löste sich und rollte die Bordsteinkante hinunter.

Ihr kleiner Bruder Herbert rannte hinterher, genau in dem Moment als der Kohlenwagen, der neben dem Haus geparkt hatte, zurücksetzte. „Der Fahrer hatte Zeitung gelesen und fuhr los ohne nach hinten zu schauen“, berichtet die alte Dame. Er überfuhr den Fünfjährigen. Im Sommer 1942 starb das Kind nicht im Bombenhagel, sondern bei einem Verkehrsunfall. Danach wollte ihre Mutter nicht mehr in Köln bleiben. Der Vater bekam acht Tage Sonderurlaub, die Familie zog zur Großmutter in die Eifel. Dort wurden 1943 Käthes Geschwister geboren, Zwillinge, ein Mädchen und ein Junge, der wieder Herbert hieß. Doch die Mutter wollte in die Heimat zurück. „Mai 1945, nach Kriegsende, ist sie mit dem Rad von der Eifel bis nach Sülz gefahren, um zu sehen, ob unser Haus noch steht“, erzählt Käthe Bosbach. In der Palanterstraße fand sie die meisten Häuser unversehrt.

Hartes Leben im zerbombten Köln

Sie zogen zurück, Käthe, ihre Mutter, Geschwister, Tante und Cousine. Die Möbel auf der Ladefläche des Umzugswagens, die Kinder dazwischen. „Und als wir dann die Turmspitzen des Doms gesehen haben, mussten wir alle weinen“, sagt Käthe Bosbach. Zur Freude der Familie kehrte auch der Vater bald heim – und viele Nachbarn kamen wieder. „Mit Schub- und Handkarren, manche mit ausrangierten Kinderwagen“, erinnert sich die ehemalige Sülzerin. Darauf hatten sie ihr verbliebenes Hab und Gut geladen. In der zerbombten Stadt begann ein hartes Leben. Im elterlichen Laden standen die Frauen und klagten ihr Leid – auch der elfjährigen Käthe. „Durch den Krieg war man ja plötzlich erwachsen.“ Mit Lebensmittelmarken kauften die Menschen das Nötigste, Brot und Milch. Zu Käthes Kommunion wurde sogar ein Schwein geschlachtet – schwarz. „Mein Vater hatte aber nur einen Holzhammer, der für Fische gedacht war. Damit haben sie der Sau im Keller immer auf den Kopf gehauen. Die wurde dann wahnsinnig und ist fast die Kellertreppe hoch. Heute bekäme man vom Tierschutz dafür lebenslänglich“, sagt sie schuldbewusst.

Langsam ging es aufwärts. Der Vater hatte einen Wagen, einen dreirädrigen Tempo, den er nach vielen Jahren verkaufte. Bis vor einigen Jahren hätten Bekannte den auffälligen Oldtimer noch auf dem Auerbachplatz gesehen. „Guck mal da ist doch dem Urbach Hein sein Tempo“, hätten sie gesagt.

Der Traum vom Friseurgeschäft

„Mit dem Wagen habe ich meinen Führerschein gemacht“, sagt die alte Dame lächelnd. Damals wollte sie eine Ausbildung beginnen. Am liebsten beim Friseur Schindler. Doch der Vater war strikt dagegen: „Wir haben einen Lebensmittelladen. Wir fummeln nicht anderen Leuten auf den Köpfen herum.“ Deswegen erinnert sie sich genau, welcher Laden früher in dem Ecklokal am Weyertal war: jener Friseur Schindler, bei dem sie damals nicht arbeiten durfte. Käthe begann im Geschäft der Eltern – und heiratete den Nachbarsjungen. Willi Bosbach.

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