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Spurensuche in KölnDas Geheimnis der U-Bahn-Station Kalk Post

Lesezeit 5 Minuten
Der Gang zu den Versorgungsräumen des Atombunkers ist 75 Meter lang, in Zukunft werden hier Führungen stattfinden.

Der Gang zu den Versorgungsräumen des Atombunkers ist 75 Meter lang, in Zukunft werden hier Führungen stattfinden.

  • Die U-Bahn-Haltestelle Kalk Post dienste im Kalten Krieg als Atomschutzbunker.
  • Bald kann die Schutzanlage mit Führungen besichtigt werden.

Kalk – Eine Schönheit ist die U-Bahn-Station Kalk Post nicht. Die blauen Wandkacheln erinnern an eine kalte Badeanstalt aus den 1970er Jahren, Beton und Graffiti komplettieren die Tristesse.

Wer das Geheimnis der Haltestelle kennt, wird dazu von verstörenden Bildern im Kopf geplagt.

Schutz für 2366 Zivilisten bei Atomschlag

Es sind Bilder von tausenden Menschen, die Schutz suchen vor der atomaren Katastrophe, aber nicht die geringste Chance haben, dem Tod zu entrinnen. Sie strömen in Massen in die Eingänge zur U-Bahn-Station, doch längst sind die raren Plätze belegt.

Dann schließen sich Stahltore am Ende der hinabführenden Treppen und trennen diejenigen, die in einigen Tagen sterben, von denjenigen, die in wenigen Minuten sterben. Es bricht eine Massenpanik aus.

Kölns einzige erhaltene Zivilschutzanlage aus dem Kalten Krieg

Wie es wirklich gewesen wäre, wenn Köln Ziel eines atomaren Schlags geworden wäre, weiß zum Glück niemand. Aber ein ähnlicher Albtraum hätte wohl stattgefunden an der Kalker Hauptstraße. Die U-Bahn-Haltestelle Kalk Post sollte im Ernstfall genau 2366 Zivilisten Schutz vor Atom- oder Giftgas-Angriffen bieten, allerdings nur für 14 Tage.

Danach wären in der aufwendig ausgebauten „Mehrzweckanlage“ Diesel-, Wasser- und Lebensmittelvorräte zur Neige gegangen. „Wie es danach weitergehen sollte, wird in den Unterlagen des Katastrophenschutzes nur mit einem Satz erwähnt“, sagt Robert Schwienbacher: „Die Schutzsuchenden werden mit Bussen abgeholt.“ Keine Rede von einer womöglich unbewohnbaren Außenwelt, in der es keine Busse mehr gibt.

Schwienbacher ist Vorsitzender der neu gegründeten „Dokumentationsstätte Kalter Krieg“, die sich künftig um Kölns einzige komplett erhaltene Zivilschutzanlage aus jener Zeit kümmern wird. Der Verein ist eine Ausgründung des Kölner Festungsmuseums, das bisher preußische Forts und Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg betreut hat.

Führungen durch den Kalker Atombunker

Ab Oktober wird er zusätzlich jeden ersten Sonntag im Monat Führungen durch den Kalker Atombunker anbieten. Die ersten Besucher können bereits am 11. September, dem Tag des offenen Denkmals, einen Blick hinter die Kulissen werfen.

Die Anlage, die der Stadt gehört und erst 2005 offiziell außer Dienst gestellt wurde, sei einzigartig im Rheinland und damit erhaltenswert, sagt Rainer Storch vom Amt für Brücken, Tunnel und Stadtbahnbau. „Aus dem Zweiten Weltkrieg ist noch viel vorhanden, aus der Zeit des Kalten Kriegs nur wenig.“

Spannend sind vor allem die Versorgungsräume in der Zwischenebene der U-Bahn-Station. Besucher hatten bisher nur selten Zugang zu der schlecht beleuchteten Unterwelt, die sich auf etwa 2500 Quadratmetern hinter einer unscheinbaren Stahltür auftut.

Sieben Millionen D-Mark für die Räume des Bunkers

Der Blick fällt zunächst auf einen 75 Meter langen, in fahles Licht getauchten Gang. Er führt zu Räumen, die noch immer so eingerichtet sind, wie die Stadt Köln sie 1979 mit Unterstützung des Bundes für schätzungsweise sieben Millionen D-Mark anlegen ließ.

Erhalten sind die Pumpen, die das Wasser aus einem eigenen Tiefbrunnen durch die Leitungen schicken sollten. Erhalten ist der Operationsraum mit bescheidener medizinischer Ausstattung. Aber auch die kleine Küche, die Toiletten und Waschräume, das mächtige Notstromaggregat und die Lüftungsanlage sind unverändert geblieben und noch immer funktionstüchtig.

Im Ernstfall wäre ein kleiner Teil der Atemluft über Rohre im Mittelstreifen der Kalker Hauptstraße angesaugt und von ABC-Filtern gereinigt worden. „Der Rest der Luft wäre umgewälzt worden“, sagt Schwienbacher. Die Durchschnitts-Temperatur wäre auf 29 Grad angestiegen, es wäre stickig geworden im Untergrund.

Und eng. Pro Person waren 1,7 Quadratmeter vorgesehen. Geschlafen hätten die Schutzsuchenden auf Feldbetten in der U-Bahn-Station und in den U-Bahnen, die im Atomfall auf jeder Seite der Station eingefahren wären. Die Schächte wären anschließend hermetisch verriegelt worden.

Menschen hätten im Ernstfall nur wenige Stunden überlebt

An den Treppeneingängen hätten sich unterdessen 40 Zentimeter dicke Panzertüren aus Spezialstahl geschlossen – nachdem genau 2366 Menschen eingelassen worden wären. „Der Bunker war aber nur für Durchreisende gedacht“, sagt Schwienbacher: „Die Anwohner sollten ihre eigenen privaten Schutzräume haben.“

Ob die Durchreisenden tatsächlich zwei Wochen hätten überleben können, ist eher unwahrscheinlich. „Es war angedacht, 14 Tage vor dem Schutzfall die Betten aufzubauen, Lebensmittel einzulagern und die Öltanks zu befüllen“, sagt Schwienbacher: „Dann sollte die Bombe fallen.“

Für den 53-Jährigen waren es aberwitzige Pläne. Ein Atomschlag mit Vorankündigung? Kaum denkbar. Am Ende hätten die 2366 Menschen mangels Lebensmitteln und sonstiger Versorgung nur ein paar Stunden überlebt.

Für Schwienbacher ist an dem neuen Museumsprojekt vor allem die Geschichte des Kalten Kriegs spannend – „und der Wahnsinn des Schutzraumbaus“. Manche Bunker seien offenbar nur gebaut worden, um die Leute zu beruhigen. Im Nachhinein eine beunruhigende Vorstellung.

Die Kölner Bunker des Kalten Kriegs

Die Haltestelle Rudolfplatz war in den 1980er Jahren ähnlich wie jene in Kalk konzipiert. Laut Experte Robert Schwienbacher wurde sie jedoch nicht voll ausgebaut. Auch am Neumarkt war eine Bunkeranlage geplant, aber niemals realisiert worden.

Noch vorhanden, aber nicht mehr intakt sind die so genannten Führungsausweichstellen. Diese Bunker für Verwaltungsmitglieder befanden sich in Dellbrück, Ossendorf und Klettenberg, in letzterer sollte auch der Oberbürgermeister untergebracht werden.

Unter dem Historischen Rathaus wurden Bunkerräume für die Einsatzleitung des Katastrophenschutzes eingerichtet. Wären alle Zivilschutzbauten realisiert worden, hätten laut Schwienbacher etwa 10.000 Menschen Schutz gefunden. „Bei einer Millionenstadt ist das ein schlechtes Verhältnis.“

Am Tag des offenen Denkmals am 11. September bieten die Mitglieder der Dokumentationsstätte Kalter Krieg zwischen 11 und 18 Uhr Führungen durch den Kalker Bunker an. Treffpunkt ist der Platz vor der ehemaligen Kalker Post. Vom 2. Oktober an wird es an jedem ersten Sonntag im Monat um 16 Uhr kostenlose Führungen durch die „Mehrzweckanlage“ geben.

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