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LindlarDer Breuner-Hof versucht wirtschaftliches Arbeiten und Tierwohl zu vereinen

Lesezeit 10 Minuten
BioBauernhof-0284Jörn Neumann

Petra und Hardy Burgmer mit ihrer Kuh Emmi.

Lindlar – Die lila Kuh ist Hardy Burgmers Mahnmal. Ihr Bild prangt an der Wand des Milchkuhstalls auf dem Breuner-Hof in Lindlar und wacht über die gemütlich widerkäuende Herde in dem großen Laufstall.

„Früher habe ich den Tieren auf die Euter geguckt. Heute schaue ich ihnen in die Augen“

Eine Mahnung ist dem Landwirt nicht, dass sie lila ist wie die Kuh aus der Schokoladenwerbung. Sondern dass sie ein sehr großes Euter hat. „Als ich sie vor vielen Jahren gemalt habe, habe ich mir nichts dabei gedacht“, sagt Burgmer kopfschüttelnd, während er mit schwarzen Gummistiefeln inmitten seiner Kühe und ihrem Mist steht und zu dem Gemälde hinaufschaut. Denn seine Tiere hatten damals tatsächlich sehr große Euter, wie Hochleistungskühe sie eben haben – viel Milch braucht ein großes Zwischenlager.

Die Hörner hatte der Bauer seinen Tieren „laufstallgerecht“ abgesägt, damit sie sich in der Enge des Stalls nicht verletzten. „Früher habe ich den Tieren nur auf die Euter geguckt“, sagt er. „Heute schaue ich ihnen in die Augen.“ Denn seit damals hat sich auf dem Breuner-Hof vieles verändert.

Wo bleiben die Werte?

Nachdem der heute 60-jährige Hardy Burgmer den Hof von seinem Vater übernommen hatte, wirtschaftete er bis 1994 konventionell. Die lila Kuh ist ein Überbleibsel aus dieser Zeit.

„Ich habe mich damals dem Wettbewerb gestellt. Ich wollte zeigen: Ich kann’s besser! Ich kann’s billiger.“ Bis er an einen Punkt kam, an dem er nachdenklich wurde. „Man produziert für einen Markt, der vielleicht gar nicht bewusst konsumiert. Kaufen, wegschmeißen, neu kaufen – ein Teufelskreis. Aber wo bleiben da die Werte?“

Der Breuner-Hof heute

Der Breuner-Hof ist das wahrgewordene Milchtüten-Idyll: Grüne Hügel, glückliche Kühe. Während das Bild auf der Packung in der Regel wenig mit der Realität zu tun hat, könnte dieser Hof hier Modell gestanden haben. Hunde traben  schwanzwedelnd auf den Besucher zu, Hühner laufen pickend über den Hof. Schwarze Hängebauchschweine kommen ans Gatter gelaufen, um den Neuankömmling zu begrüßen. Hardy Burgmer und seine Frau Petra sind stolz auf ihren Hof und zeigen gerne, was sie haben.

Nur die Massenbetriebe profitieren

Als am Feldweg ein Auto vorbeifährt, hebt Burgmer grüßend die Hand. „Ein Nachbar von uns“, sagt er. „Der war auch Bauer.“ Heute ist er Dachdecker. Früher habe es in der Umgebung viele landwirtschaftliche Betriebe gegeben. Nach und nach hat einer nach dem anderen zugemacht.

Es ist schwierig, unter den Marktbedingungen zu existieren. Alleine von Mai bis November 2016 haben in Deutschland 2128 Milchkuhbetriebe den Kampf verloren und den Betrieb eingestellt. Für kleine Produzenten sei es schwierig, weil sich die Fixkosten wie etwa die Versicherungen auf weniger Produkte verteilen, sagt Burgmer.

Davon profitieren die Massenbetriebe. 69 Prozent der Rinder stehen dem Bauernverband zufolge mittlerweile in Beständen mit 100 Tieren und mehr. „Als Bauer bekommst du das, was der Markt hergibt“, sagt Burgmer. „Und weil wir ja alle so tüchtig sind und so viel produzieren, bekommen wir den Bumerang für unseren eigenen Fleiß zurück. Da läuft doch irgendwas verkehrt.“

Mehr als Bio

1995 stieg der Bauer über ein Extensivierungsprogramm in eine andere Arbeitsweise ein. Das von der EU beschlossene Programm sollte Überschüsse in der Landwirtschaft abbauen und umweltfreundlichere Wirtschaftsweisen fördern. Zwei Jahre später sattelte er auf ökologischen Landbau um. Zunächst war er Mitglied des Anbauverbandes Bioland, heute sind seine Produkte Demeter-zertifiziert.

Demeter ist mehr als Bio. Es ist der Anbauverband mit den strengsten Richtlinien, was das Tierwohl angeht. Im Unterschied zu anderen Verbänden verlangt Demeter, dass Rinder ihre Hörner behalten. Milch- und Fleischprodukte sowie saisonales Gemüse verkauft der Breuner-Hof auch im hofeigenen Laden.

Die Nachfrage nach Bioprodukten ist groß. Allein im vergangenen Jahr ist der Umsatz für Bio-Lebensmittel um fast ein Zehntel gestiegen. Trotzdem kann der Bedarf an Bioprodukten nicht ausschließlich von deutschen Betrieben gedeckt werden. Mehr als ein Drittel der in Deutschland verkauften Bio-Milch kommt aus dem Ausland.

Wirtschaftswahnsinn

„Die Veränderung braucht Mut“, sagt Burgmer. Für die Burgmers hat sich der Umstieg wirtschaftlich noch nicht rentiert. Aber sie sind sicher: „Die innere Veränderung wird irgendwann auch von außen sichtbar sein.“

Hardy Burgmer ist drahtig, seine Haut auch im Winter sonnengebräunt und er sprüht vor Energie und Überzeugung. Der Landwirt wird nicht müde zu betonen, wie wichtig ihm eine Agrarwende ist. Über die Kollegen, die konventionell wirtschaften, verliert er dennoch kein böses Wort. „Ich war ja früher genauso“, sagt er. „Ich habe diesen Wirtschaftswahnsinn mitgemacht und geglaubt, die Menge rettet mich.“

Mehr als die Richtlinien fordern

70 Kühe leben in dem großzügigen, hellen Laufstall, der zu drei Seiten hin offen ist. Große Kuhbürsten hängen an der Wand, an denen sich die Tiere schrubben können, wenn ihnen danach ist. Einige liegen im Stroh und dösen. Andere nähern sich gemütlich, als der Bauer den Stall betritt, schnuppern neugierig, lassen sich streicheln. „Ich liebe diese Ruhe hier“, sagt Hardy Burgmer. Der frische Mist dampft in der kühlen Luft.

Erst wenn es Anfang April warm und grün genug ist, dürfen die Tiere wieder auf die Weide nebenan. Die Laufwege im Stall sind so konzipiert, dass der anfallende Mist von den Tieren durch die Spalten im Boden nach unten getreten wird. Solche Spaltenböden sind in fast allen Ställen zu finden.

„Früher kam man hier überhaupt nicht durch, so dicht gedrängt standen die Tiere“, erinnert sich der Bauer. Heute haben die Kühe jede Menge Platz. Dank zusätzlich geschaffener Laufflächen rund neun Quadratmeter pro Kuh allein im Stall, rechnet Burgmer vor. Mehr als es die Demeter-Richtlinie fordert.

„Früher hatte ich mehr Tiere, aber weniger Arbeit“, sagt er. Denn mit so wenigen Tieren funktioniert das Prinzip des Spaltenbodens nicht mehr richtig, der Mist wird von den wenigen Kühen nicht komplett in die Spalten getreten, sondern muss vom Bauer regelmäßig mit einem Schieber hineinbefördert werden.

Auch da hin schauen, wo es weh tut

Mit den Jungtieren leben derzeit insgesamt 120 Rinder auf dem Breuner-Hof. Bauer Hardy und seine Frau Petra kennen sie alle mit Namen. „Das sind keine Wegwerftiere“, sagt Petra Burgmer, die blonde Bauersfrau.

Trotzdem ist auch ein Bio-Betrieb kein Streichelzoo. Da ist zum Beispiel Mifiate, die dunkle Kuh, die aufgeregt muhend am Gatter entlangläuft und  suchend nach draußen schaut. „Sie vermisst ihr Kalb“, sagt Petra Burgmer. Das ist am Tag zuvor verkauft worden und vermutlich bereits tot. „Weil wir nicht alle Kälber aufziehen können“, sagt sie. „Wenn wie in diesem Fall die Preise für ein Kalb auf unter zehn Euro fallen, dann ist es wahrscheinlich, dass die Tiere zu Futter für andere Haustiere verarbeitet werden. Das macht traurig und nachdenklich.“

Früher habe er so etwas komplett ausgeblendet, sagt Hardy Burgmer. Heute schaut er auch da hin, wo es weh tut. Dass es Freundschaften zwischen den Tieren gibt und sie trauern können, „das kann dir jeder Bauer erzählen“, ist er sicher. Heute werde ihm ganz anders bei solchen Trennungen.  „Und das ist genau das, wo auch der Verbraucher hingucken darf“, sagt er.  „Er darf erkennen, wo die Lebensmittel herkommen und wie sie zustande kommen.“

Zu viele emotionale Entscheidungen sind nicht rentabel

Auch ein Bio-Bauer muss wirtschaftlich denken. Zu viele emotionale Entscheidungen kann er sich nicht leisten. „Ich kann die Welt nicht von heute auf morgen verändern. Das ist ein Prozess. Das braucht Zeit und viele Menschen, die das erkennen und unterstützen.“ Petra Burgmer bemüht sich zum Beispiel um „Kuhpaten“, die dafür bezahlen, dass die jungen Bullen zu Ochsen werden und eine Zeit im Grünen verbringen dürfen.

Zum Schlachttag kommt ein mobiler Metzger auf den Breuner-Hof. Er schlachtet die Tiere in ihrer Herde und verarbeitet das Fleisch direkt auf dem Hof weiter. Im Grunde genommen nichts Neues – nicht anders wurde geschlachtet, bevor es Massentierhaltung gab. Klar, sterben müssen auch diese Tiere. „Zu sagen, das wäre artgerecht, ist Quatsch“, sagt Petra Burgmer. Aber zumindest bleibt ihnen der stressige Transport zum Schlachthof erspart. Die Bäuerin ist überzeugt: „Das schmeckt man auch, weil das Fleisch nicht das Stresshormon Adrenalin enthält.“ Bevor das Tier getötet wird, sagt Hardy Burgmer, bedankt er sich bei ihm für die geleistete Arbeit.

Kranke Nutztiere sind nicht vorgesehen

„Das hier ist Emmi“, sagt Petra Burgmer und zeigt auf eine Kuh, die über den Zaun des Laufstalls schaut. Emmi ist eines Tages im Laufstall ausgerutscht und hat sich dabei eine Bänderzerrung geholt. Sie lag nur noch da und konnte nicht mehr aufstehen. Eigentlich ein Grund, das Tier zu schlachten. Doch die Burgmers brachten sie gemeinsam mit vielen Helfern auf die Weide und versorgten sie dort. Nach vier Wochen stand Emmi wieder auf. Die Milch bei der Kuh war versiegt, zusätzlich hatte sich ein dickes Geschwür am Sprunggelenk gebildet.

Der Tierarzt empfahl, das Tier zu schlachten. Doch die Burgmers gaben ihr eine Chance, wieder gesund zu werden. Dass Nutztiere krank sein dürfen, ist eigentlich nicht vorgesehen in der Landwirtschaft. Als Naturheilpraktikerin behandelt Petra Burgmer die Kühe zunächst homöopathisch.

„Antibiotika kommen bei uns vielleicht drei mal im Jahr zum Einsatz, auf alle Tiere gerechnet. Und nur dann, wenn die Krankheit das Tier wirklich im Griff hat“, sagt sie. In der konventionellen Landwirtschaft ist der vorbeugende Einsatz von Antibiotika zwar mittlerweile verboten, und die Menge der in Tierproduktion verabreichten Antibiotika hat sich laut Bundesamt für Verbraucherschutz zwischen 2011 und 2015 zwar halbiert. Doch der Umweltorganisation Germanwatch zufolge bekommt jede Milchkuh in Deutschland durchschnittlich 1,5 bis 3,3 mal pro Jahr Antibiotika.

Die Hochleistungszucht und die hohe Milchleistung hat eben auch häufig Euterentzündungen zur Folge. Außerdem erhalten rund  80  Prozent  der  Milchkühe  in  Deutschland vor der  Geburt des jeweils nächsten Kalbes Antibiotika, um sie trockenzustellen.

Muttergebundene Kälberaufzucht ist wirtschaftlich ein Verlust

Damit eine Kuh Milch liefert, muss sie ein Kalb bekommen. Das wird der Mutter normalerweise bereits nach wenigen Tagen weggenommen, damit die Milch verkauft werden kann. Bei den Burgmers dürfen die Kälber dagegen ganze drei Monate lang bei ihren Müttern saugen. „Ich habe früher beobachtet, wie erwachsene Kühe an anderen Kühen gesaugt haben“, erinnert  sich der Bauer. Der Grund liegt für ihn auf der Hand: Die viel zu frühe Trennung von der Mutter.

Für Burgmer ist die sogenannte muttergebundene Kälberaufzucht wirtschaftlich ein Verlust. „Dafür sind die Tiere sozial gefestigt.“ Sein Hauptabnehmer, der Molkereibetrieb Söbbeke, zahlt zwar besser als seine Vertragspartner zuvor. „Aber die drei Monate kann mir auch kein Söbbeke bezahlen, der als Großunternehmer Mischkalkulationen aufstellt und uns nicht individuell bezahlen kann.“

Wirtschaftliches Arbeiten und Tierwohl zu vereinen ist schwer

International gesehen sehr niedrige Erzeugerpreise in Deutschland machen es schwer, wirtschaftliches Arbeiten und Tierwohl zu vereinen. Um zu überleben, haben die Burgmers neben der Milch- und Fleischproduktion ein Paar auf den Hof geholt, das das Angebot um den Gemüseanbau erweitert. Außerdem bieten sie Bauernhofpädagogik für Schulklassen und Wildkräuterführungen an. Petra Burgmer betreibt zudem eine Naturheilpraxis.

Hardy Burgmers Hoffnung ruht auf den Konsumenten. „Ich glaube nicht, dass Verbraucher billig produzierte Massenware wollen.“ Die Lösung liegt in Burgmers Augen in der direkten Vernetzung von Landwirt und Konsument.

Aktiengesellschaft „Regionalwert-AG Rheinland“

Nach dem Vorbild einer Aktiengesellschaft in Süddeutschland haben die Burgmers kürzlich die „Regionalwert-AG Rheinland“ mitbegründet. Die Idee: Bürger kaufen Aktien der Regionalwert AG für mindestens 600 Euro. Das Geld wird in regionale Biobetriebe wie Bauernhöfe und Lebensmittelverarbeiter, aber auch Restaurants investiert.

Wer wie viel Geld bekommt, entscheiden die Aktionäre. Diese Betriebe verpflichten sich sowohl zur Einhaltung sozialer und ökologischer Standards als auch dazu, sich gegenseitig Produkte abzunehmen. Auf diese Weise sollen die Menschen aktiv in eine Agrarwende investieren und ihre Region stärken und lebenswerter machen. Nach der Aufbauphase soll für die Investoren auch eine Dividende anstehen. Dass das funktionieren kann, davon ist Burgmer überzeugt. „Die jungen Leute informieren sich heute mehr darüber, wo ihr Essen herkommt. Die werden da mitgehen. Da setze ich einfach drauf.“

Ein Problem ist in seinen Augen allerdings, dass viele Landwirte heute Einzelkämpfer sind. „Ich wünsche mir, dass die Bauern die Türen aufmachen, um den Menschen zu zeigen, welch wertvolle Arbeit sie leisten.“ Denn das sei vielen Kollegen nicht bewusst. „Früher waren die Bauern noch im Lebensmittelpunkt. Den Menschen war klar: Ohne diese Nahrungsgrundlage läuft hier gar nichts.“

„Die Hörner sind mir heilig“

Die lila Kuh hat auch etwas, was Hardy Burgmer heute stolz macht: Hörner. Die hat er ihr gemalt, obwohl seine Rinder damals keine hatten. „27 Jahre lang habe ich meine Tiere aus Überzeugung enthornt.“ Die meisten Bauern tun das, damit sich die Tiere auf engem Raum nicht verletzen. „Die Hörner sind mir heilig“, sagt der Bauer heute. Nicht nur, weil das Enthornen für die  Tiere schmerzhaft ist. Hörner sind für Rinder auch ein wichtiges Kommunikationsmittel. Für Hardy Burgmer gab es deshalb nur einen Weg: Den zurück zu den Hörnern.

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