Lanxess-Tochter verklagt NRWWie viel Transparenz ist nötig und wie viel gefährlich?

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Sollten Pläne etwa für neue Chemparks ins Netz, wo sie sich auch Terroristen und Industriespione zu eigen machen können?

Sollten Pläne etwa für neue Chemparks ins Netz, wo sie sich auch Terroristen und Industriespione zu eigen machen können?

Köln – Wieviel Transparenz ist nötig und wieviel Durchsichtigkeit ist gefährlich? Wenn es um das Thema Bürgerbeteiligung bei Bauvorhaben geht, ist klar: Die unmittelbar Betroffenen sollten Einsicht in Unterlagen erhalten. Aber wie weit darf das gehen?

Ein Beispiel: Die Firma MaXXcon will im münsterländischen Saerbeck eine neue Verbrennungsanlage für Klärschlamm bauen. Anfang des Jahres stellte die Bezirksregierung Münster die gesamten Antragsunterlagen, vier dicke Aktenordner mit mehreren Hundert Seiten, ohne jede Erklärung oder Kommentierung ins Netz.

Während im Internet sämtliche Pläne über die Verbrennungsanlage frei zur Verfügung standen, wurde in den Räumen, in denen die Papiere zur Ansicht ausgelegt waren, ein Handy- und Fotoverbot verhängt.

Alles zum Thema Hendrik Wüst

Vor Monaten Bedenken geäußert

Das Chemie-Unternehmen Saltigo, eine Tochter der Kölner Lanxess AG, will in Leverkusen ein Tanklager errichten. Auf Drängen der Landesregierung musste sie ihre Pläne ebenfalls ins Internet stellen.

Das Kölner Verwaltungsgericht bestätigte nun dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass Saltigo vor wenigen Wochen Klage eingereicht hat. Sie will Klärung, ob die Veröffentlichung grundsätzlich rechtens ist. Lanxess hatte bereits vergangenen November in einem Schreiben an mehrere Landtagsabgeordnete Bedenken gegen einen Erlass des NRW-Umweltministeriums deutlich gemacht.

Dieser Erlass verpflichtet Unternehmen, umfassendes Datenmaterial zu bestimmten Bauprojekten auch im Internet zu veröffentlichen.

Der Wirtschaftsausschuss des Landtags hat nun einen Antrag von CDU und FPD, den Erlass zu stoppen, mit den Stimmen von Rot-Grün abgelehnt. „Es ist ein Trauerspiel“, kommentierte CDU-Wirtschaftsexperte Hendrik Wüst. „Der Minister bleibt dickköpfig und sucht den Konflikt nur zur eigenen Profilierung.“ Doch der seit Monaten schwelende Streit um den „Spionage-Erlass“, wie der Text spöttisch genannt wird, dürfte mit der Abstimmung nicht beendet sein.

Eine Folge von „Stuttgart 21“

Doch worum geht es eigentlich? Die blutigen Zusammenstöße zwischen Bürgern und Polizei während der Umsetzung des Bahnhof-umbaus „Stuttgart 21“ hat auch die NRW-Landesregierung als Warnung verstanden. Nachdem der Bund im Nachgang der Ereignisse in Stuttgart ein „Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung“ verabschiedet hatte, arbeitete man auch in Düsseldorf daran, den Bürgern mehr Transparenz zu bieten.

Stichwort: Open-Government. Am Ende stand jener Erlass von Umweltminister Johannes Remmel, der im März 2015 in Kraft getreten ist: Pläne von Bauprojekten, die ein so genanntes immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren durchlaufen wie etwa Chemiefabriken oder Verbrennungsanlagen, müssen vorab ins Internet gestellt werden.

Doch was im Sinne der Bürger sein mag, verstehen Spitzenverbände der Industrie als herben Schlag gegen ihre Mitglieder und den Investitionsstandort NRW. Sensible Details zur Lage und Umgebung, zu Maschinenaufstellungsplänen bis hin zu Verfahrensabläufen müssen nicht wie bislang vom Gesetz vorgesehen nur in der zuständigen Behörde ausgelegt, sondern auch im Internet jedermann zugänglich gemacht werden. Und hier geht NRW sogar weiter als Bund oder EU: Der Erlass verpflichtet die Firmen, nicht nur Teile, sondern das gesamte Material Online zur Verfügung zu stellen.

Schwerer Wettbewerbsnachteil

Die Landesvereinigung der Unternehmensverbände NRW beklagt einen „gravierenden Wettbewerbsnachteil“. Um den Abfluss von kostbarem Know How an Konkurrenten durch die Online-Veröffentlichung zu verhindern, könnten Unternehmen für ihre Projekte Standorte in NRW künftig meiden, sagte Alexander Felsch, Geschäftsführer Wirtschaftspolitik. „Jahrelange und teure Ingenieurarbeit wird dem Markt kostenlos überlassen.“

Die Opposition im Landtag sieht das ähnlich. CDU und FDP werfen der rot-grünen Landesregierung vor, mit der Regelung nicht nur Industriespionage aus dem In- und Ausland zu befördern, sondern auch Terroristen frei Haus Vorlagen für Anschlagsziele zu liefern. „Die Unternehmen selbst setzen alles daran, um Industriespionage, Cyberattacken, Terroranschläge und Sabotage zu verhindern. Dies durchkreuzt der grüne Umweltminister in bekannter industriefeindlicher Manier“, polterte der CDU-Landtagsabgeordnete Wüst.

Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, hat in einem Brief an einen Unternehmerverband geschrieben, die Veröffentlichung von Antragsunterlagen im Internet „hätte auch aus unserer Sicht nachteilige Auswirkungen auf die Wahrung von Betriebsgeheimnissen und Urheberrechten. Auch die von Ihnen angesprochenen Gefahren terroristischer Aktivitäten und Cyberattacken nehmen wir ernst.“

Keine Nutzen-Analyse

Trotz anhaltender Kritik hat Umweltminister Remmel offenbar darauf verzichtet, eine Analyse über den Nutzen seines Erlasses in Auftrag zu geben. Die Behörde hat weder Daten über die Zahl der Downloads erfasst noch überprüfen lassen, ob es etwa vermehrt Zugriffe aus dem fernen Ausland gibt.

Die Münsterländer Firma MaXXcon fragte sich, welcher Bürger denn ihre vier dicken Aktenordner Material überhaupt verstehen könne.

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