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Fans und Verein im FreudentaumelDer 1. FC Köln ist zurück auf der Landkarte Europas

Lesezeit 5 Minuten
1. FC Köln Platzsturm Mainz 05 2

Auch auf der Tribüne wurden Träume wahr.

Köln – Neulich gastierte Bayer 04 Leverkusen in der Champions League wieder einmal bei Atlético Madrid. Am Spieltag waren die Leverkusener Vereinsmanager zum Funktionärs-Mittagessen geladen, eine gute Tradition auf dem internationalen Fußballparkett. Enrique Cerezo ist seit vielen Jahren Atléticos Präsident, außerdem ist er Medienunternehmer in sehr großem Stil und als solcher viel unterwegs. Regelmäßig kommt er nach Köln. Und vor dem Champions-League-Hinspiel im März landete die Privatmaschine mit dem Atlético-Team an Bord selbstverständlich in Köln statt in Leverkusen, wo Jets traditionell Schwierigkeiten haben, geeignete Landeplätze zu finden.

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Beim Mittagessen in Madrid fiel Cerezo wieder ein, was er schon länger hatte fragen wollen: Köln, die große Stadt am Fluss mit dem Dom und dem Flughafen – alles gut und schön. Aber: „Hat Köln eigentlich einen Fußballverein?“

Die Leverkusener Funktionäre, so war später zu hören, empfanden angesichts der Frage eine gewisse Heiterkeit, klärten den Mann aber gern auf: Ja, gibt schon so eine Art Fußballverein.

Bayer Leverkusen schoss den 1. FC Köln nach Europa

Einmal mehr war der Fangesang des Rivalen vom Rhein, nachdem den 1. FC Köln in Europa „keine Sau“ kennt, mit Fakten belegt.

Bayer 04 Leverkusen hat an diesem Samstag den 1. FC Köln auf den letzten Metern einer verkorksten Saison, in der das Aus in der Champions League gegen Atlético noch zu den Höhepunkten zählte, durch ein 6:2 in Berlin auf den fünften Platz geschossen. FC-Verteidiger Dominique Heintz gab später im Überschwang zu Protokoll, er werde den Leverkusenern dafür „alles schicken, was sie wollen“. Vor allem würde Bayer 04 aktuell wohl einen Startplatz im europäischen Wettbewerb wollen. Aber davon waren sie in diesem Jahr als Zwölfter fast so weit entfernt wie der 1. FC Köln in soweit allen der vergangenen 25 Jahre.

Ein Vierteljahrhundert ohne Pflichtspiele im Ausland. Man kann nicht gerade behaupten, die Zeit sei spurlos vorbeigegangen am 1. FC Köln und seinen Anhängern. Es ist nichts mehr selbstverständlich beim ersten Deutschen Meister der Bundesliga-Geschichte und Double-Sieger von 1978.

Selten volles Stadion bei Europacup-Spielen

Früher verkaufte der FC seine Dauerkarten in Plastikmäppchen, darin die Einzeltickets für die gesamte Saison. Zum Abreißen. Und zwar nicht als Block, sondern hintereinandergedruckt, getrennt durch Perforation. Es gehörte zu den jährlichen Sommerritualen, die Karten daheim wie eine Ziehharmonika auszubreiten und zu bestaunen. Weil die Spiel-Ansetzungen bei Drucklegung nie feststanden, waren die Tickets nummeriert. Alle Liga-Heimspiele, in der Regel 17, dazu ein paar Karten, auf denen keine Spieltagsnummern gedruckt standen. Sondern nur jeweils ein magisches Wort: „Sonderspiel.“

Sonderspiel, das hieß Europa, das hieß Flutlichtschein über dem Kölner Westen. Exotischer Besuch aus aller Herren Länder, über die bei Google nichts zu erfahren war, weil es Google noch nicht gab. Köln spielte gegen den FC Liverpool, Real Madrid, den FC Barcelona und Inter Mailand. Aber eben auch gegen Plastika Nitra, Universitatea Craiova oder Eskesehirspor. So manches Spiel wurde nicht einmal im Fernsehen übertragen. Und wenn eines kam, dann klang der Kommentator, als stehe er in einer Telefonzelle am Ende der Welt.

Spiele auf europäischer Bühne waren so normal, dass die Müngersdorfer Betonschüssel selten voll wurde, wenn Europa zu Gast war. So normal war die Qualifikation, dass man den Erwerb einer Dauerkarte von Europa abhängig machte: Eine Saison Stehplatz-Mitte kostete damals nur 150 Mark. Aber ohne Sonderspiele? Nein, echt nicht.

Die Region freut sich über die Qualifikation

Der 1. FC Köln mag in den vergangenen 25 Jahren mehr und mehr zum Fahrstuhlklub geworden sein. Aber in einem war man souverän: Eine bedeutungslose Zwischendurch-Qualifikation für Europa, womöglich über ein mit Glück erreichtes Pokalfinale, haben sich die Kölner erspart. Zwischen zwei Abstiegen ein Erstrundenduell in Mailand, Madrid oder Manchester? Lieber erst einmal neu aufstellen. Das wäre zumindest eine Interpretation des Vierteljahrhunderts, in dem Zweitliga-Auswärtsreisen als Europa-Ersatz herhalten mussten. Denn tatsächlich ist es nach Aue oder Burghausen ja weiter als nach Brügge oder Amsterdam. Und Flutlichtspiele gab es in der Zweiten Liga genug. Allerdings eher montags.

Wenn es früher darum ging, den 1. FC Kaiserslautern wieder einmal mit öffentlichem Geld vor dem Untergang zu retten, wurde regelmäßig die Bedeutung des Vereins für die Region betont. Das nervte immer sehr, weil so getan wurde, als ginge es um lebenswichtige Dinge. Die Frage, was die Europa-Qualifikation für den 1. FC Köln und die Region bedeutet, ist dennoch zulässig. Denn selbstverständlich hat das, was am Samstag in Müngersdorf geschah, Auswirkungen auf die Region. Die Region freut sich. Und was könnte falsch sein an Freude?

Mitte September beginnt die Reise nach Europa

So groß war der Triumph, dass viele Fans Schwierigkeiten hatten, nach dem Jubel über den Schlusspfiff, den Spaziergang über den Rasen und die Fahrt über die Ringe den restlichen Abend zu füllen. Vielerorts sah es dann so aus: eine Tischgesellschaft, deren Schweigen nur ab und an unterbrochen wurde, wenn sich einer durchs Gesicht wischte, tief durchatmete und „unfassbar“ sagte.

25 Jahre lang hat sich der 1. FC Köln abgesehen von den Scheinfreuden der Aufstiege überwiegend darauf verlegt, seine Anhänger auf nationaler Ebene zu blamieren und sich international zu verstecken. Damit ist vorerst Schluss. Mitte September werden die Kölner wieder ihren europäischen Betrieb aufnehmen. Dann beginnt die Gruppenphase und die Kölner Rückkehr auf die Landkarte Europas.

Es war an der Zeit.

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