Typisch DeutschWenn Handtücher auf Liegen liegen

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Die besten Plätze sind früh belegt – jedenfalls mit Handtüchern.

Die besten Plätze sind früh belegt – jedenfalls mit Handtüchern.

Köln – Manch einer mag es für ein Klischee halten – bis er seinen ersten Cluburlaub oder seine erste Kreuzfahrt macht und erlebt, dass es wirklich so ist: Vorzugsweise Deutsche belegen Liegestühle frühmorgens mit Handtüchern. Kommt man nach dem Frühstück zum Pool, sind die ersten Reihen schon alle reserviert. Wenn man noch später eintrifft, muss man oft auf einen Liegestuhl verzichten – weil überall Tücher liegen.

Die Notbremse wurde vor zwei Jahren auf den Aida-Kreuzfahrtschiffen gezogen. Wenn Mitglieder der Besatzung beobachten, dass reservierte Sonnenliegen länger als eine halbe Stunde unbenutzt bleiben, bringen sie einen Zettel an: „Lieber Aida-Gast, diese Sonnenliege wurde länger als 30 Minuten reserviert und daher von einem unserer Mitarbeiter geräumt.“. Die Handtücher können später wieder abgeholt werden. (cv)

Jeder dritte Deutsche, so ergab eine Umfrage, reserviert im Urlaub seine Liege mit einem Handtuch. Manche platzieren es schon vor dem Schlafengehen auf die Wunschliege am Pool, andere stehen dafür extra früh auf – um danach in aller Ruhe zu frühstücken oder sich sogar noch mal ins Bett zu legen. Jeder Zehnte reserviert auch ohne offensichtliche Liegen- Knappheit. Acht Prozent geben sogar ein kleines Trinkgeld, wenn ein Hotelmitarbeiter das Reservieren übernimmt.

Um das Problem anzugehen, haben einige Clubs ein Kärtchen-System eingeführt: Eins für jeden Gast, und damit kann man dann eine Liege reservieren. „Denn das Problem ist ja nicht das Ehepaar, das sich zwei Liegen reserviert, sondern das Ehepaar, das sich zwei Liegen im Schatten reserviert, zwei Liegen am Strand, zwei Liegen in der Nähe vom Pool – für jede Situation des Tages, je nachdem, wo die Sonne steht“, sagt Anne Schmidt, Pressesprecherin von DER Touristik Köln. „Das ist dieser unsägliche Egoismus.“

Evolutionäres Muster

In vielen Hotels darf man erst nach acht Uhr Liegen reservieren. Wie ein von Briten eingestelltes Youtube-Video dokumentiert, kann dies allerdings dazu führen, dass die deutsche „beach towel brigade“ (Badehandtuch-Brigade) um Punkt acht nach draußen schnellt und binnen zwei Minuten alle Liegen für sich reklamiert.

In der britischen Presse gilt es seit Jahren als ausgemacht, dass die eifrigen Deutschen auf diesem Feld nicht zu schlagen sind, weil sie viel früher aufstehen als die Briten. Für Andrea Abele-Brehm, Sozialpsychologin an der Universität Erlangen-Nürnberg, ist das Belegen der Liegen keine Frage von Nationalitäten, sondern ein typisches Territorialverhalten des Menschen. „Das finden wir schon im Tierreich, wenn die Tiere ihr Gebiet mit Urin markieren“, erläutert sie. „Und bei Menschen finden wir das auch. Beispielsweise: Sie gehen in ein Restaurant und wollen noch mal eben zur Toilette, bevor Sie bestellen, dann markieren Sie Ihren Platz auch schon mal, indem Sie die Tasche hinlegen oder die Serviette umdrehen.“ Das Verhalten habe sich in der Evolution herausgebildet und stecke dementsprechend tief drin. Dazu kommt ein Streben nach Kontrolle und Sicherheit: Das Handtuch auf der Liege garantiert den bevorzugten Platz und damit einen reibungslosen Tagesablauf.

In der Clubanlage wäre im Grunde nie zu beweisen, wer nun genau welche Liege reserviert hat – die Handtücher sind ja austauschbar, gleiche Farbe, gleiche Größe. Trotzdem hält man sich dran und akzeptiert, wenn eine Liege mit einem Handtuch belegt ist. „Es ist eine kulturelle Gepflogenheit“, sagt Abele-Brehm. „Und das ist vielleicht durchaus ein bisschen deutsch: Ordnung und Regeln anerkennen – selbst wenn das Hotel sie nicht erlassen hat.“

Allerdings nimmt die Reservierungssitte nach Beobachtung der Psychologin langsam ab: „Es gilt mittlerweile doch als ziemlich spießig, vor allem in etwas besseren Hotels.“ (dpa, cv)

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