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Kölner CDU-Politikerin Serap Güler warnt„Die Zeit für die Ukraine läuft ab"

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Gülerin Kiew

Serap Güler im Kriegsgebiet

Köln/Kiew – Serap Güler ist Bundestagsabgeordnete der CDU aus Köln und Mitglied im Verteidigungsausschuss. Wir haben mit ihr ein Interview über ihren Besuch in der Ukraine geführt.

Frau Güler, Sie waren mit den Fraktionskollegen in der Ukraine – haben Sie Beschuss erlebt? Güler: Nein. Wir sind mit dem Nachtzug aus der polnischen Stadt Chelm nach Kiew gefahren. Die Fahrt dauert rund 14 Stunden, weil der Zug auch oft auf der Strecke anhalten muss. Während der Fahrt wird alles verdunkelt - wie auch in den Städten selbst. In Kiew gibt es beispielsweise auch eine Ausgangssperre von 23 bis 6 Uhr morgens. Auch wenn man tagsüber durch das normale Treiben eher das Gefühl von Normalität hat, wird das mit Einbruch der Dunkelheit anders.

Was war das Ziel der Reise? Wir haben die Einladung angenommen, uns selbst vor Ort ein eigenes Bild vom Ausmaß der Zerstörung zu machen und mit den Menschen zu sprechen. In den Kiewer Vororten Irpin und Borodjanka sind Einfamilienhäuser, Kindergärten, Schulen und medizinische Einrichtungen offenbar willkürlich bombadiert worden. Das kann kein Versehen sein, wenn 70 Prozent der Wohnhäuser in Trümmern liegen. Wenn Sie das sehen, bekommen Sie nochmal einen neuen Blick auf die Dinge und es wird nochmal deutlich, dass das ein purer Vernichtungskrieg ist, ohne Rücksicht auf Zivilisten

Wie meinen Sie das? Anders als in den offenen Briefen, die in deutschen Intellektuellenkreisen ausgetauscht werden, glaubt in der Ukraine niemand an eine diplomatische Lösung. Solche Diskussionen können nur aus der Ferne geführt werden. Die Zerstörungswut der Russen macht mich wenig zuversichtlich, dass Putin Interesse an Verhandlungen hat. Es ist schon schwierig genug, mit der russischen Seite über humanitäre Korridore zu sprechen.

Die hohen Energiepreise belasten die Bürger. Wird das die Solidarität mit der Ukraine auf Dauer untergraben? Ja, es besteht ganz klar die Gefahr, dass die Solidarität der Bürger in Deutschland mit der Ukraine schwindet, wenn hohe Nachzahlungen für Energie ins Haus flattern. Umso wichtiger sind Reisen von Abgeordneten, um den Ernst der Lage vor Ort deutlich zu machen. Wir unterstützen die Bemühungen der Bundesregierung, die Menschen zu entlasten. Klar ist aber auch: Wenn wir jetzt nicht helfen, wird der Preis, den wir in Zukunft zahlen müssen, sehr viel höher sein. Denn sollte Putin gewinnen, wird Ukraine nicht sein letztes Ziel sein.

Glauben Sie, dass die Ukraine dauerhaft eine Chance hat, Putins Truppen in Schach zu halten? Die Zeit für die Ukraine läuft ab. Wenn die Armee bis zum Winter nicht deutlich besser ausgerüstet ist, wird Putin den Krieg gewinnen. Derzeit verliert die Ukraine im Schnitt 500 Soldaten am Tag, 200 Gefallene und 300, die schwer verletzt werden Deswegen reicht die humanitäre Hilfe aus Deutschland nicht aus. Die Verluste können nur gestoppt werden, wenn Deutschland endlich Waffen liefert - von Schützenpanzern bis Luftabwehrraketen. Jede Verzögerung bringt in der Ukraine weiteres Leid mit sich. Derzeit verfügt die Ukraine über 200 Panzerhaubitzen, Russland hat 1200 im Einsatz. Das halbherzige Vorgehen der Bundesregierung kann fatale Folgen für unsere eigene Sicherheit haben. Dabei geht es nicht mal darum, aus den Bestände der Bundeswehr zu liefern. Wir haben eine starke Rüstungsindustrie, die aus ihren Beständen liefern kann und liefern will - wir haben nur keine Bundesregierung, die liefern will.

Ist es den realistisch, dass die Ukraine in den Kontaktlinien vor dem 24. Februar erhalten bleibt? Das wäre zu wünschen, erscheint jedoch ehrlicherweise unrealistisch. Allerdings ist die Bevölkerung in der Ukraine klar gegen Zugeständnisse an Russland - auch wenn die Ukraine mittlerweile davon abgerückt ist, in die Nato aufgenommen werden zu wollen.

Wie sollten wir in NRW mit der russischen Community umgehen, die für den Krieg demonstriert? Man muss leider sagen, dass es bei uns ebenso Menschen gibt - nicht nur aus der russischen Community - die Putins Propaganda glauben und diesen Krieg für einen Befreiungskrieg von Nazis halten. Das ist das russische Narrativ. Wir können dagegen nur immer wieder versuchen aufzuklären. Aber das Problem liegt tiefer: In Litauen, wo ich auch vor kurzem war und wo es auch eine russische Community gibt, geht man der russischen Propaganda weniger auf den Leim, weil dort der Umgang mit Fakenews und Social Media früh genug und schon in der Schule vermittelt wird. Das sind Dinge, die wir bei uns ebenso angehen müssen.

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Wie ist das Ansehen Deutschlands in der Ukraine? Egal mit wem Sie sich unterhalten, es ist eine große Dankbarkeit da. Wegen der humanitären Hilfe aber aktuell vor allem wegen der Unterstützung zur EU-Beitrittskandidatur. Allerdings wird im nächsten Satz deutlich gemacht: „Eine EU Mitgliedschaft der Ukraine ist nur möglich, wenn es dann noch eine Ukraine gibt. Wenn ihr uns jetzt helfen wollt, gebt uns die Möglichkeit unser Land und die europäische Grenze zu verteidigen. Das geht nur mit Waffen.“ Das wurde uns von allen Gesprächspartnern deutlich gemacht.

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