in einem ContainerDie winzige Welt der Amelie

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Sieben kleine Wohncontainer stehen in der Studentenstadt Freimann in München.

Sieben kleine Wohncontainer stehen in der Studentenstadt Freimann in München.

München / Köln – Sie ist winzig. Sechs Quadratmeter misst die Wohnung von Amelie Mussack. Von der Haustür bis zum gegenüberliegenden schmalen Fenster sind es genau vier Schritte. Jede Wand, egal, ob hoch oder breit, ist 2,60 Meter kurz. So klein muss ein Hundezwinger wenigstens sein. Das sagt zumindest die Tierschutz-Hundeverordnung.

Amelie Mussack ist 1,74 Meter groß. Sie wohnt hier, kocht hier, isst hier, schläft hier, lernt hier, liest hier, duscht hier. Seit einem halben Jahr lebt die Studentin in einem der sieben Container-Würfel des Münchner Studentenwerks. Die Wohnwürfel stehen in Freimann im Münchner Norden. Im November 2005 hat Dieter Maßberg die Container dort aufstellen lassen. Maßberg, damals Chef des Studentenwerks, reagierte damit auf die Probleme am Wohnungsmarkt.

Wohnen in Baucontainern

Das Münchner Studentenwerk versorgt mit seinen 9000 bezahlbaren Wohnplätzen nur zehn Prozent der Studenten. Der Preis für eine 3-Zimmer-Wohnung in einem nach 1950 erbauten Gebäude in mittlerer Lage lag 2012 in München pro Quadratmeter bei 11,30 Euro. In Köln waren es 8,50 Euro – so die Gesellschaft für Immobilienmarktforschung. „Das ist vor allem für die schwierig, die keinen dicken Geldbeutel haben“, sagt Dieter Maßberg, „also für Studenten und sozial Schwache.“

Die Idee mit den Wohncontainern kam eigentlich von Siemens. Vor über zehn Jahren bot das Unternehmen Maßberg ausrangierte Baucontainer an, die der 73-Jährige gemeinsam mit Studenten der Kunstakademie aufpolierte und als Wohnraum anbot.

Das Projekt war erfolgreich. Zwei Jahre später gestaltete der Architekturprofessor Richard Horden deshalb die heutigen Würfel. Finanziert wurden die 25 000 Euro teuren Prototypen vom Mobilfunkanbieter O2. „Can win“, „can invite“ steht außen auf Amelie Mussacks metallisch glänzendem Wohnwürfel, in der untersten Ecke drängt sich das Firmenlogo. Blaue Hände, ein Markenzeichen des Mobilfunkunternehmens, scheinen sich von innen gegen die Außenfläche des Containers zu drücken.

Platzangst hatte Amelie Mussack hier noch nie. „Im Winter bin ich mal einen ganzen Tag lang nur im Container geblieben, habe ausgeschlafen, gelernt und Fernsehen geschaut“, erzählt sie. Das sei nicht die Regel, „aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich raus muss“. Die Haustür lässt sich nicht mit einer Klinke öffnen, sondern mit einem Flugzeuggriff, der in die Tür eingelassen ist. Flur ist hier gleich Bad. Rechter Hand drängt sich ein weißes Klo, links hängen Winterjacken und Mützen, über den Duschboden betritt man den Wohnraum. Die Schuhe werden vor der Haustür ausgezogen. „Wenn ich dusche, muss ich alles rausräumen – die Jacken, den Wischmopp, die Schuhe“, sagt Mussack.

Schminken für Fortgeschrittene

Hinter der grün schimmernden Schiebewand, die das Bad von der restlichen Wohnung trennt, ist die Küchenzeile. Mit Aluminium-Spüle, die auch als Waschbecken dient, Arbeitsplatte, Induktionsherd. Auf dem Küchenregal stehen Salz- und Pfefferstreuer, Salatschüssel, Haarspray, Zahnpasta, Gläser, Strohhalme, Deo.

Mit dem Schminken sei es so eine Sache, sagt Mussack. Zwar ist auf der Innenseite der Haustür ein Spiegel angebracht, der ist aber von Wasserspritzern übersät. „Da ist auch schlechtes Licht“, sagt Mussack. Der andere Spiegel, der erst zum Vorschein kommt, wenn man das Bett gegenüber der Küchenzeile herunterklappt, ist wellig. Ungünstig. „Ich nehme einen kleinen Handspiegel und scanne damit alles ab“, sagt die 19-Jährige und macht eine kreisende Handbewegung vor ihrem Gesicht. Scheint zu funktionieren. Die langen Wimpern, die ihre grünen Augen einrahmen, sind mit schwarzer Mascara in Form getuscht.

Aber für eine „Tussi“, die sich gerne und lange schminke, sei so ein Container nichts. „In den Containern wohnt schon ein spezieller Typ Mensch“, glaubt Mussack. Sie mag die Ruhe, das eigene Bad, den Englischen Garten gleich gegenüber, die eingebaute Mikrowelle. Eben eine eigene Wohnung zu haben. Für 150 Euro monatlich inklusive aller Nebenkosten. „Für eine Person ist das mehr als ausreichend.“ Sie studiert im zweiten Semester Deutsch und Kunst auf Lehramt an der Ludwig-Maximilians-Universität und würde gerne ihr ganzes Studium, neun Semester, hierbleiben.

Wohnzeit auf drei Jahre befristet

Die meisten Bewohner sehen den Container jedoch nur als Übergangslösung, bis sie ein eigenes Appartement gefunden haben, weiß Dieter Maßberg. Nur ein Student, der habe sechs Jahre im Container gewohnt und rufe auch jetzt noch regelmäßig an. „Er hat einmal zu mir gesagt: »So einen Garten wie hier werde ich mir nie wieder leisten können«“, erzählt Maßberg und lacht. Alle fünf Jahre muss er die Baugenehmigung von der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung, zu der der Englische Garten gehört, erneuern lassen. Eigentlich ist die Wohnzeit in den Containern – und den anderen Zimmern des Studentenwerks – auf drei Jahre befristet. Wer sich in der Studentenstadt ehrenamtlich engagiert, darf auch mal länger bleiben. „In Härtefällen, Prüfungen oder Krankheiten würden wir natürlich keinen rausschmeißen“, sagt Maßberg.

Weitere Wohncontainer sind in München nicht geplant, auch andere Studentenstädte greifen nicht auf diese Lösung zurück. „Das Problem ist, dass der Architekt Richard Horden das Urheberrecht an den Containern besitzt, sie aber nicht richtig vermarktet“, sagt Maßberg. Dabei sind die Container doch so praktisch, flexibel und mobil: Sie können per Anhängerkupplung transportiert und auf jedem Baugrundstück mit Strom-, Wasser- und Abwasserleitungen abgestellt werden. Umgezogen sind die Münchner Container trotzdem noch nie. „Hier in der Studentenstadt stehen sie auf unserem Baugrund, das ist billiger.“

Keine Container für Köln

Das Kölner Studentenwerk hat nach dem Münchner Vorbild die Container-Lösung vor einem Jahr geprüft – und verworfen. „Das erscheint uns für Köln nicht sinnvoll“, sagt Peter Schink, Leiter des Studentenwerks. Über drei Standorte hatte Schink mit der Stadt Köln verhandelt – in Ehrenfeld, auf dem Sportplatz der Uni und dem Parkplatz am Fernsehturm. „Da hätten wir Leitungen hin verlegen müssen, das wäre noch mal teurer geworden“, sagt Schink. Denn bereits die Angebote für einen Container hätten zwischen 21 000 bis 39 000 Euro gelegen. Das preisgünstige Angebot, den Maastrichtern ihre alten Container abzukaufen, musste Schink ablehnen. Denn die Wohnwürfel hätten nicht mehr den aktuellen Energiesparverordnungen entsprochen. „Da haben wir uns gefragt, ob es nicht sinnvoller ist, noch mal 20 000 Euro draufzulegen und dauerhafte Wohnlösungen zu schaffen.“ Jetzt plant Schink eifrig am Aus-, Um- und Neubau weiterer Kölner Studentenwohnheime .

In München ist die Container-Lage optimal – zehn Minuten braucht Amelie Mussack mit der U-Bahn-Linie 6 bis zur Uni. Sie wollte damals unbedingt in einen Wohnwürfel. Die kannte sie nämlich schon von ihrer großen Schwester, die seit über zwei Jahren im Häuschen schräg gegenüber wohnt. Hier hat Amelie Mussack oft übernachtet, heute schlafen Freundinnen nach einer Party gerne bei ihr. Die zwei Sitzbänke unter dem ausklappbaren Bett kann Mussack mit wenigen Handgriffen in ein Gästebett verwandeln, der Tisch wird dann unter den Boden der Küchenzeile geschoben. „Länger als eine Nacht kann man hier aber nicht zusammen schlafen, die Klowand schließt nicht richtig“, sagt Mussack. Ein bisschen stickig ist es in dem Raum, obwohl das Fenster über der Küchenzeile immer, auch im Winter, einen Spalt offen steht. „Wegen der Sauerstoffzufuhr“, erklärt Mussack. Wenn der Sauerstoffgehalt im Container sinkt, geht der weiße Rauchmelder an der Decke an.

Zehn Minuten Putzen

Über der linken Sitzbank hat Amelie Mussack ihre Klamotten verstaut. Unterwäsche, Socken und T-Shirts liegen gequetscht in den beiden Schubladen. Lernsachen, Bücher und Schals in den Regalen darüber. Creme, Nagellack und Handy sind über den kleinen Tisch verteilt. Hier Ordnung zu halten erfordert Disziplin. Einmal täglich räumt Mussack auf. Dafür ist sie in zehn Minuten fertig mit Putzen. Eine große Stufe trennt die Wohn- von der Küchenfläche.

Viele Sachen hat Mussack zu Hause in Memmingen deponiert, dort fährt die Studentin regelmäßig an den Wochenenden und in den Semesterferien hin. 116 Kilometer trennen Memmingen von München – zum Pendeln wäre das zu weit.

„Keiner kann sich vorstellen, dass ich hier wohne“, sagt Amelie Mussack. „Die meisten sagen, »das ist ja gerade mal so groß wie mein Bad«.“ Trotzdem fänden die meisten den Container cool, immer wieder würden auch neugierige Touristen oder Architekturstudenten durch ihr großes Fenster neben dem Wohnbereich linsen, manchmal auch klopfen. Störend findet sie das nicht, eher lustig. Auch zum Vortrinken lädt Amelie Mussack ihre Freunde gerne ein. „Sieben Leute passen hier problemlos rein.“

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