RAF-ProzessBecker wegen Beihilfe verurteilt

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Zu vier Jahren Haft verurteilt: Verena Becker.

Zu vier Jahren Haft verurteilt: Verena Becker.

Stuttgart – 35 Jahre nach dem weiter ungeklärten Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback hat das Oberlandesgericht Stuttgart die Ex-RAF-Terroristin Verena Becker zu vier Jahren Haft wegen Beihilfe verurteilt. Becker habe seinerzeit bei einem RAF-Treffen „vehement den Anschlag auf den Generalbundesanwalt gefordert“, befand das Gericht am Freitag. Zweieinhalb Jahre der Strafe gelten wegen einer früheren Haft von Becker bereits als verbüßt.

Der Vorsitzende Richter Hermann Wieland sagte am 97. Verhandlungstag in der Urteilsbegründung, Becker habe bei einem Planungstreffen der Linksterroristen im Vorfeld des Mordes die späteren RAF-Attentäter in der Ausführung der Tat „wesentlich bestärkt“. „Becker hatte damals eine führende Funktion innerhalb der Gruppe“, unterstrich der Richter. Es gebe aber „keine Hinweise, dass die Angeklagte unmittelbar an der Planung oder Durchführung der Tat beteiligt war“.

Buback und zwei seiner Begleiter waren am 7. April 1977 in Karlsruhe von der Rote Armee Fraktion (RAF) ermordet worden. Unklar bleibt auch nach dem Becker-Prozess, wer der Schütze war, der damals die tödlichen Schüsse von einem Motorrad auf den Wagen des Generalbundesanwalts abfeuerte. In dem Stuttgarter Verfahren hatten frühere RAF-Terroristen, die womöglich zur Aufklärung der Tat hätten beitragen können, die Aussage verweigert.

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Boocks Zeugenaussage gilt als glaubhaft

Als glaubhaft wertete der Stuttgarter Staatsschutzsenat allerdings die Zeugenaussage des früheren RAF-Mitglieds Peter-Jürgen Boock in dem Verfahren. Boock hatte angeben, Becker habe bei dem RAF-Planungstreffen Anfang 1977 in den Niederlanden auf eine schnellere Umsetzung von Terrorplänen wie den Anschlag auf Buback oder die spätere Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer gedrängt.

Verena Becker hatte sich schon in jungen Jahren einer militanten linksradikalen Organisation zugewandt. Die gebürtige Berlinerin schloss sich Anfang der 1970er Jahre der terroristischen „Bewegung 2. Juni“ an, die als „Stadtguerillagruppe“ galt.

Die Terror-„Bewegung 2. Juni“ benannte sich nach dem Todestag des Studenten Benno Ohnesorg, der am 2. Juni 1967 in Berlin bei einer Demonstration erschossen wurde. Als die Gruppierung einen Bombenanschlag auf den britischen Jachtclub in West-Berlin verübte, bei dem ein Bootsbauer getötet wurde, wurde Becker zu einer sechsjährigen Jugendstrafe verurteilt.

Diese Strafe verbüßte Becker jedoch nicht. Denn als die „Bewegung 2. Juni“ im Februar 1975 den damaligen Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz entführte und fünf Tage lang gefangen hielt, pressten die Täter damit Verena Becker und vier andere Gesinnungsgenossen aus der Haft frei.

Die fünf deutschen Terroristen wurden in den Jemen ausgeflogen und dort in einem Lager im Guerillakampf geschult. Dort hatte Becker Kontakt zu Mitgliedern der Roten Armee Fraktion (RAF), die Anschläge auf führende Vertreter des deutschen Staates plante.

Laut Anklage der Bundesanwaltschaft trat die heute 59-jährige Becker dann bei den „konkreten Tatplanungen“ im November 1976 im Harz und zum Jahreswechsel 1976/1977 in Holland „permanent“ für den Mordanschlag auf den von der RAF verhassten Generalbundesanwalt Siegfried Buback ein. Sie selbst bestritt am 14. Mai 2012 jedoch in einer persönlichen Erklärung, an dem Mordanschlag mitgewirkt zu haben. „An einer konkreten Anschlagsvorbereitung war ich nie beteiligt“, sagte Becker im Prozess.

Laut Bundesanwalt soll sie nach dem Attentat an der Verbreitung der Bekennerschreiben mitgewirkt haben. Dies gestand sie ein. Am 3. Mai 1977 wurde Becker zusammen mit dem RAF-Terroristen Günter Sonnenberg in Singen festgenommen. Es kam zu einer Schießerei mit der Polizei. Das beim Buback-Attentat eingesetzte Gewehr befand sich in Sonnenbergs Rucksack.

Im Dezember 1977 wurde Becker wegen der Singener Schießerei zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Für den Buback-Mord wurde sie damals jedoch nicht belangt. Das Ermittlungsverfahren gegen sie wurde am 31. März 1980 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Ab Herbst 1981 soll Becker aus dem Gefängnis zwei Jahre lang Kontakte zum Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gehabt haben. Hierzu äußerte sie sich nicht.

Im September 1989 wurde Becker vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker begnadigt und am 30. November 1989 aus der Haft entlassen. Die Ermittlungen gegen sie wurden im April 2008 wieder aufgenommen.

Am 27. August 2009 wurde Becker in Berlin festgenommen. An Briefumschlägen der RAF-Bekennerschreiben zum Buback-Attentat waren ihre DNA-Spuren gefunden worden. Am 30. September 2010 begann der Prozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen Verena Becker.

Am 6. Juli 2012 verkündete das Oberlandesgericht Stuttgart das Urteil. Vier Jahre Haft lautete der Schuldspruch. Zweieinhalb Jahre gelten davon bereit als vollstreckt aufgrund einer früheren Verurteilung.

Keine Anhaltspunkte fanden die Stuttgarter Richter dagegen für Spekulationen, wonach der Verfassungsschutz Becker geschützt haben könnte. Es habe sich in dem Verfahren keine Basis für die These ergeben, dass eine „schützende Hand“ Becker vor Strafverfolgung wegen des Attentats auf Buback bewahrt habe, befand das Gericht. Dasselbe gelte für Mutmaßungen, Becker habe die Tat unter den Augen des Verfassungsschutzes begangen beziehungsweise der Inlandsnachrichtendienst habe sie gar zu der Tat angeleitet.

In einer Vorbemerkung vor der Urteilsbegründung wies Wieland die zuvor vom Nebenkläger und Sohn des Opfers, Michael Buback, geäußerte Kritik an der Verhandlungsführung des Gerichts zurück. Buback, der von der Täterschaft Beckers überzeugt ist, habe „die Realität mit Wunschvorstellungen vermischt“, sagte der Richter. Auch habe Michael Buback „wesentliche Umstände ausgeblendet“, die gegen eine unmittelbare Tatbeteiligung sprechen.

Becker war 1977 knapp einen Monat nach dem Buback-Attentat zusammen mit dem damaligen RAF-Mitglied Günter Sonnenberg im baden-württembergischen Singen nach einer Schießerei mit der Polizei gefasst worden. Noch im Dezember 1977 wurde sie im Zusammenhang mit der Schießerei bei ihrer Festnahme wegen sechsfachen Mordversuchs zu lebenslanger Haft verurteilt. 1989 wurde sie begnadigt.

Der Mord an Buback markierte den Beginn des Terrorjahres 1977, das mit der späteren Entführung und Ermordung von Schleyer durch die RAF und der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ seinen Höhepunkt erreichte. Die damaligen Ereignisse gingen als „Deutscher Herbst“ in die Geschichte der Bundesrepublik ein. (AFP)

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