Sexismus im JournalismusKollegen, zeigt nicht nur auf Brüderle!

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Willkommen in einer Männerwelt: die Bonner Bundespressekonferenz im Jahre 1983.

Willkommen in einer Männerwelt: die Bonner Bundespressekonferenz im Jahre 1983.

Köln – Die Landtagswahl in Niedersachsen ist abgefrühstückt, innenpolitisch ist nicht viel los, Aufregerthemen müssen her. Nun also Rainer Brüderle mit seiner Anmache. Natürlich wird darüber spekuliert, warum der „stern“ den Bericht seiner Redakteurin Laura Himmelreich mit einer Verspätung von einem Jahr veröffentlicht hat, selbstredend vermuten Brüderles FDP-Kollegen pflichtgemäß, hier solle einer der Ihren politisch kaputtgemacht werden. Es wird kommentiert, getwittert, gebloggt. Aber schon gibt es – vorhersehbar – Anzeichen einer Gegenbewegung, denn das Thema wird so lange am Kochen gehalten, bis eine neue breite Empörung losgetreten wird.

Die Frauen sollten sich nicht so haben, heißt es hier und dort, so etwas habe es schon immer gegeben, daran werde sich nichts ändern. Und überhaupt: Nicht jedes Kompliment sei sexistisch. So etwa Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP. „Kompliment“, aha!

Wenn wir uns auf den Ausgangspunkt der jetzigen Debatte beschränken: War es wirklich „schon immer so“ im Umgang zwischen Politikern und Journalistinnen?

Ja, es war immer so – früher vielleicht in subtilerer Form und versteckter als heute. Beispiele: Als Anfängerin im Journalismus musste ich – einzige Frau in einer sechsköpfigen Berliner Redaktion – mich mehrmals vor den Zudringlichkeiten eines „zufällig“ während meines Spätdienstes vorbeikommenden Kollegen durch Flucht auf die Damentoilette entziehen. Weshalb ich mich nicht bei der Chefredaktion beschwert habe? Weil ich mich geschämt habe – ich mich! Aber das war wohl typisch für viele Frauen meiner Generation. Und vielleicht habe ich auch deshalb nicht Krach geschlagen, weil der Chefredakteur bei meiner Einstellung erklärt hatte, er gehe ein „Wagnis“ ein: Die erste und einzige Frau in der Redaktion – das könne doch Schwierigkeiten im Team bedeuten.

Erst sehr viel später ist mir klar geworden, dass ich auch in meinen ersten Bonner Jahren Anfang der 70er – ich war eine von nur drei oder vier politischen Korrespondentinnen – vielgesichtigem Sexismus ausgesetzt war. Ich war in einer von Männern dominierten Welt aufgewachsen, war unerfahren und schüchtern und hatte mir wohl deshalb zum Selbstschutz eine sehr distanzierte Haltung zugelegt.

Es bekümmerte mich überhaupt nicht und machte mich sogar irgendwie stolz, dass einige Politiker und auch männliche Kollegen urteilten, ich sei unzugänglich, sei „frigide“. Der selbst zugelegte Panzer verhinderte, dass ich Ungeheuerlichkeiten damals als solche wahrnahm. So etwa die, dass einer der renommiertesten Bonner Kollegen den Politiker anrief, mit dem ich mich am Abend zuvor zu einem Hintergrundgespräch in einem beliebten Restaurant getroffen hatte. Er habe uns beide gesehen, so der Journalist, und er müsse warnen: „Wenn das ein berufliches Treffen war: die Kollegin ist keine Sympathisantin Ihrer Partei. Und wenn es privat war: die hat einen Freund!“.

Üble Anmache

Oder der Vorfall auf einer Dienstreise nach Moskau mit großer Bonner Delegation, als ein älterer Rundfunk-Redakteur einen jungen, mir völlig unbekannten lettischen Kollegen dazu animierte, mich zu einem üppigen und im Voraus bezahlten Essen – Stehgeiger inbegriffen – in ein sündhaft teures Restaurant einzuladen. Auf meine Ablehnung reagierte der junge Kollege, wie ich am nächsten Tag erfuhr, mit einem fürchterlichen Frust-Besäufnis. Der Rundfunkmann hatte dem Letten erklärt, eine solche Einladung sei die in Deutschland gängige Methode, eine Journalistin ins Bett zu kriegen...

Ebenso ungeheuerlich der Generalverdacht, in den jede Kollegin geriet, die von ihrer Redaktion auf die Wahlkampfreisen mit Willy Brandt geschickt wurde.

Apropos: die lieben männlichen Kollegen. Einer von ihnen hat mir erzählt, dass es vor dem Beginn einer Auslands-Dienstreise üblich gewesen sei, Absprachen darüber zu treffen, wer die eine oder die andere der wenigen mitreisenden Journalistinnen ungestört von den anderen „anbaggern“ dürfe. Und ich habe erlebt, dass ein Kollege, der bei mir nicht landen konnte, sich sturzbetrunken an der Hotelbar lauthals in übler Weise über meine „Frigidität“ beschwerte. Und so weiter, und so weiter.

Ich persönlich konnte mich meistens übler Anmache entziehen. Und ich war wohl später auch dadurch geschützt, dass ich einen Bonner Journalisten geheiratet hatte. Um wie viel rüder der Sexismus gegenüber den inzwischen zahlreicher gewordenen Journalistinnen in den folgenden Jahren geworden war, hat Ursula Kosser in ihrem eindrucksvollen Buch „Hammelsprünge“ geschildert.

Und warum lassen sich Journalistinnen das alles gefallen? Es sei zugestanden, dass einige Kolleginnen – wie Frauen in anderen Branchen auch – ihren weiblichen Charme bewusst im Beruf einsetzen. Warum auch nicht? Und es gab dann auch den Zeitpunkt, ab dem große Medien einige Posten in ihrer Bonner Redaktion bewusst mit Frauen besetzten, weil man sich mit Hilfe dieser Kolleginnen einen leichteren Zugang zu den (männlichen) Informationsquellen erhoffte.

Gibt das Politikern das Recht, mit Journalistinnen so umzugehen, wie das die Stern-Redakteurin Laura Himmelreich oder Annett Meiritz von „Spiegel Online“ oder Ursula Kosser geschildert haben? Und gibt das irgendwem das Recht, vorzuschlagen, Frauen sollten doch mit gleicher sexistischer Münze heimzahlen, sich also ebenfalls auf dieses miese Niveau begeben?

Ist dies nur ein Aufregerthema, das bald durch ein anderes ersetzt werden wird? Wird diese „Sexismus“-Debatte wirklich nichts ändern? Oder wird sie vielleicht doch etwas bewirken?

So, wie etwa seinerzeit die hitzige Diskussion über die Vergewaltigung in der Ehe ein Umdenken bewirkt und gesetzliche Konsequenzen gebracht hat, oder der Streit über die Einrichtung von Frauenhäusern, oder der um das Verbot des Einsatzes von Gewalt in der Erziehung.

Wie bei diesen Themen wird der Erfolg auch im Kampf gegen Sexismus vor allem von der Durchhaltekraft der Frauen abhängen.

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