50 Jahre Senftöpfchen„Klagen hilft nichts”

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Prinzipalin in Pose: Alexandra Kassen auf der Bühne ihres Theaters. (Bild: Bause)

Prinzipalin in Pose: Alexandra Kassen auf der Bühne ihres Theaters. (Bild: Bause)

KÖLNER STADT-ANZEIGER Frau Kassen, was ist ein guter Kabarettist?

ALEXANDRA KASSEN Sprechen wir von einem Nachwuchskünstler, einer Neuentdeckung sozusagen? Den erkenne ich nicht sofort. Erst, wenn er auf der Bühne mit seinem Programm zu fesseln vermag. Besonders gut ist der Künstler, wenn er die deutsche Sprache pflegt und nicht nuschelt. Zum Beispiel Wilfried Schmickler, der ist für mich persönlich Spitze in Text und Wort.

Schmickler ist ein Beispiel für jemanden, der sich immer wieder in Frage stellt. Heißt das nicht auch, dass ein Kabarettist glaubwürdig sein muss?

KASSEN Da sollte man sehr vorsichtig sein. Er muss vor allem ein guter Schauspieler sein, nicht unbedingt ein guter Mensch. Übrigens: Sie dürfen ruhig rauchen, wenn Sie möchten. Ich habe früher auch täglich 60 Zigaretten geraucht.

Sie haben zahllose Kleinkünstler gefördert. Auf welche Entdeckung sind Sie besonders stolz?

KASSEN Das Wort „stolz“ ist in meinem Vokabular nicht vorhanden. Ich habe es schon als Schülerin nicht gemocht, da wir alle auf Deutschland stolz sein mussten. Was da an einem einzigen Tag gestolzt wurde. Die Aversion gegen den Stolz ist bis heute bei mir hängen geblieben. Aber ich freue mich natürlich über jede erfolgreiche Entdeckung. Mit Namensnennungen bin ich allerdings vorsichtig, vielleicht ist der Künstler, den man nicht erwähnt, enttäuscht.

Was hat sich gegenüber Ihren Anfängen als Theaterleiterin gravierend geändert?

KASSEN Früher hatte man beispielsweise in einem Jahr 30 verschiedene Künstler im Haus, heute sind es um die 150, die auftreten. Das ist eine Entwicklung all over the world, die man keinesfalls ignorieren darf.

Nach welchen Kriterien suchen Sie sie aus?

KASSEN Die Künstler müssen einfach sehr, sehr gut sein. Natürlich kann man nicht alle gleich gut finden. Auch das ist schließlich Geschmacksache und damit individuell. Da hat man seine Lieblingskünstler und Lieblingsprogramme. Und den Nachwuchs muss man aufbauen. Das Senftöpfchen-Theater ist eine Aufbau-Bühne. Dieter Nuhr zum Beispiel hat sieben Jahre lang bei uns gespielt, bis er dann große Hallen gefüllt hat.

Inzwischen treten bei Ihnen auch Comedians auf.

KASSEN Comedy wird oft mit Herumgehüpfe verwechselt. Das "sich in den Schritt fassen" ist Gott sei dank etwas weniger geworden. Ganz wichtig ist auch hier die Sprache, selbst wenn jemand Dialekt spricht. Das kann ganz wunderbar sein. Hauptsache, er drückt sich klar und deutlich aus.

Stimmt es, dass die Beschäftigung mit Kleinkunst jung hält?

KASSEN Ich kann das nicht vergleichen, weil ich nicht weiß, wie andere alt werden und ihr Leben bewältigen - ganz subjektiv hilft es, kritisch und risikobereit zu sein. Schließlich geht es darum, sich bis zum nächsten Monatsersten über Wasser zu halten.

Das heißt, Sie haben Existenzängste?

KASSEN Ängste? "Angst essen Seele auf". Es ist ein ewiger Überlebenskampf, ein nicht subventioniertes Theater zu leiten. In diesen Zeiten ganz besonders.

Würden Sie sich noch einmal dafür entscheiden, Senftöpfchen-Prinzipalin zu werden, wie 1972 als Ihr Mann Fred Kassen gestorben ist?

KASSEN Das kenne ich ja alles schon. Ich würde etwas anderes machen, in die Politik gehen, Kulturpolitik. Nicht ohne Grund bin ich damals direkt nach dem Tod meines Mannes in die SPD eingetreten.

Konnten Sie sich seinerzeit nicht vorstellen, noch einmal zu heiraten?

KASSEN Es hat mich bisher keiner mehr gefragt: "Willst Du meine Frau werden?" Die Jahre gingen bei meiner Arbeit so schnell vorbei. Und mein Leitspruch "Qui cherche, qui trouve" hat nicht funktioniert, weil ich keine Zeit zum Suchen hatte. Ich bin anspruchsvoll. Dieser Mann hätte wie Fred Kassen mein Professor Higgins sein müssen, sprachkundig, weltgewandt, verständnisvoll. Für One-night-stands oder Ähnliches eigne ich mich nicht. Vielleicht habe ich was verpasst!

Es ist jetzt 50 Jahre her, dass Sie nach Köln gezogen sind - das muss ein Kulturschock gewesen sein.

KASSEN Der Anfang war schwer nach den aufregenden Gründerjahren in München. Ich hatte großes Heimweh und ich sehe mich auch heute noch als Bayerin in Köln. Damals schrieb man Kabarett hier noch mit "C", wir waren die erste Kabarettbühne mit "K" in der Stadt.

Sie sind hart im Nehmen, jammern nie über irgendwelche Wehwehchen und beklagen sich nicht einmal, wenn Sie operiert werden müssen.

KASSEN Klagen hilft nichts, Operationen helfen. Die notwendige Disziplin habe ich bereits als Kind in einer klösterlichen Internatsschule vermittelt bekommen. Da wurde nicht diskutiert, die Regeln waren klar, zum Beispiel, dass eine Dame nicht ohne Hut und Handschuhe das Haus verlässt. Als meine Mutter starb, war ich erst fünf Jahre alt. Die Schwestern im Internat, Ordensfrauen und fast alle Akademikerinnen, haben bei mir den religiösen Grundstein gelegt. Ich bete immer noch jeden Abend vor dem Schlafen gehen.

Wie stellen Sie sich die Zukunft vor?

KASSEN Wäre ich eine begüterte Frau, ich würde meinen Lebensabend mitten in München verbringen. Aber das ist ein Traum, Träume verschönern das Leben. Mein Wunsch ist, noch viele Jahre das "Töpfchen" in der liebenswerten Stadt Köln leiten zu können, und zwar eines, das nach 50 Jahren Drahtseilakt dann doch einmal subventioniert wird.

Das Gespräch führte Marianne Kolarik.

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