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EntrümplungDer Aufräumer von Köln

Lesezeit 6 Minuten
Mit Handschuhen, Nierengurt und Helfer: Knut Hansen bei der Entrümplung einer Wohnung.

Mit Handschuhen, Nierengurt und Helfer: Knut Hansen bei der Entrümplung einer Wohnung.

Lindenthal/Köln – Das Bett sieht aus, als sei die alte Frau gerade aufgestanden. Ein knittriges Taschentuch liegt auf dem Nachttisch, auf dem Boden ein gebrauchter Gummihandschuh. Die Luft ist staubig, abgestanden. Der Handschuh sei wohl von der Kriminalpolizei, sagt der Mann mit den schulterlangen Haaren und der Baseballkappe. „Die kommt immer, wenn jemand in seiner Wohnung stirbt, Routine, die sind dann schnell wieder weg.“ Er nimmt einen schweren Hammer und zerschlägt die Schlafzimmermöbel. Jetzt besser nicht nachdenken.

Als Knut Hansen anfing, Wohnungen zu entrümpeln, sind ihm die Geschichten der Menschen oft nah gegangen. Er nahm die zehntausend Zeugnisse eines Lebens – so viele Gegenstände befinden sich in einem durchschnittlichen deutschen Haushalt – mit auf die Müllkippe, wenn ein Mensch ins Heim musste oder starb. Die Geschichten der Angehörigen nahm er mit nach Hause. Knut Hansen hörte zu.

Er sammelte Erzählungen von Gier und Gewalt, Liebe und Leiden, Lebensrechtfertigungen, Heldenepen und Angeberfabeln. Er ließ sich die Geschichte von Puppen mit bunten Kleidern erzählen oder solche von Wanderstöcken mit Aufklebern aus Garmisch und Zwiesel. Die Objekte erwachten zum Leben, Verbindungsfäden entstanden, so viele, dass ihm eines Tages schwindlig wurde. „Irgendwann waren die ganze körperliche Arbeit und die Geschichten zusammen zu viel.“ In seinen Ohren pfiff es, Tinnitus. „Neudeutsch würde man sagen: Ich hatte Burnout.“

Der 50-Jährige mit der Figur eines Zehnkämpfers und dem Blick eines Schelms steht vor einer schweren Eichengarnitur im Wohnzimmer und weist seine Helfer an: „Mach draußen einen Stapel für Metall, Lars, und denk an den Sondermüll, auch das Parfum. David, du kümmerst dich wieder um die Sachen, die verkauft werden können.“ Hansen selbst zerlegt eine Regalwand, zwischendurch geht sein Handy – ein neuer Auftrag. Einer, der fies werden könnte.

In der Tradition der Fuhrleute

Manchmal kommt er in Wohnungen, in denen Ratten hausen, Atemschutzmasken überlebenswichtig sind. „Die Preise berechne ich auch nach Verschmutzungsgrad.“ 90 bis 120 Euro pro Stunde für ihn und zwei Helfer sind Standard. Gebühren für die Müllkippe, Lieferwagen und Diesel inklusive. Wenn der Aufwand geringer ist, kann es deutlich günstiger werden.

Der Wagen ist Kult, jeder kennt ihn in Lindenthal. Ein erdbeerroter Transporter von 1989. In der Fahrerzelle grüßen Nina Hagen, Dennis Hopper und Hans Albers von Fotos. Pfannenheber, Fleischerhammer, Messerschärfer und Plastikweihnachtsmann schmücken die Ablagen. „Tagelöhner und Troubadure auf Coollanz“ und „Der Omagnet“ ist mit Filzstift in den Innenraum gekritzelt. Am Seitenfenster sind außen Visitenkärtchen mit Handynummer und Hansens Firmennamen „Der Aufräumer“ eingeklemmt. Mehr Werbung macht Hansen, der in Kalk aufgewachsen ist und seit 26 Jahren in Lindenthal lebt, nicht. „Ich sehe mich als Romantiker in der Tradition der Fuhrleute“, sagt er. Lange ist er zu Mittelalterfesten in ganz Europa gereist, um in Kampfmontur alte Schlachten nachzustellen. Inzwischen fährt er mit seiner Harley Davidson, Baujahr 1952, am liebsten „einfach raus, immer der Nase nach“. Ein anderer Tag, ein anderer Haushalt im Bauch des roten Wagens. Hansen fährt mit 60 Km/h über die Autobahn, ein Pkw-Fahrer macht den Handscheibenwischer. Ziel ist das „Entsorgungscenter“ in Gremberghoven – Hansen fährt öfter zur Müllkippe als zur Tankstelle.

Kleine Schätze tauchen auf

Er parkt vor einem Container, stellt sich auf die Ladefläche und schmeißt die Lebensbegleiter in einen Metallcontainer: Blümchengeschirr und Fotobücher, Gourmetkochbücher, Porschekataloge und Goethe-Romane, Babypuppen, Gummienten, Edelholzstühle, Bücherregale. „Kein schlechter Haushalt, der Mensch hatte Stil und Kohle“, sagt Hansen und legt einen klobigen Apple-Computer der ersten Stunde für den Elektroschrott zur Seite. Ein Mitarbeiter der Kippe legt einen Hebel um, es knirscht und quietscht, als die mit Zacken bestückte Stahlrolle über Puppen und Porzellan walzt. Knut Hansen sagt, er nehme nur selten etwas für sich mit, um die nötige Distanz zu wahren. „Was mich interessiert, sind die kleinen Schätze, die hin und wieder auftauchen. Teures Besteck, ein Bild, für das auf dem Antikmarkt schon mal 500 oder 1000 Euro gezahlt wird, oder ein Goldstück.“ Dass alles, was er entrümpelt, ihm gehört, lässt Knut Hansen sich von seinen Kunden unterschreiben. Was für die Bewohner oder Angehörige von Wert ist, müssen sie aus der Wohnung schaffen, bevor der Aufräumer kommen darf.

Kühlschränke für Bedürftige

„Ich mache den Job nicht, weil ich ein Samariter bin. Dinge, die mir wertvoll erscheinen, werden verkauft“, sagt Hansen. „Es kommt allerdings auch mal vor, dass ich zu Pfarrer Meurer fahre und ein paar Kühlschränke oder Waschmaschinen für Bedürftige vorbeibringe.“ Hansens Wohnung auf der Dürener Straße glich früher einem Museum. Noch heute stammen fast alle Möbel aus Entrümpelungen – „aber es gibt nur noch sehr wenige Möbel“. Er wisse inzwischen, dass Gerümpel krank mache. „Ich will nicht enden wie diese kleingeldorientierten Antiquitätenhändler, deren Wohnungen genauso aussehen wie ihre Flohmarktstände.“

Dass Knut Hansen, der Vorfahren in Schweden und eine Familie in der Eifel hat, durch Köln kutschiert und Wohnungen entrümpelt, war so nie geplant. 20 Jahre hat er für den Bundesgrenzschutz gearbeitet. Als Berufsanfänger ist er vor der Wende an der Ostgrenze „marschiert wie ein Zinnsoldat“, im Kosovo-Krieg hat er gesehen, was niemand sehen will. Er hat Menschen und Gebäude bewacht, zuletzt war er für die Grenzschützer nur noch im Büro. Mit 41 musste er aufhören,. „Nach 20 Jahren war ich ziemlich kaputt.“

Seit fünf Jahren „Der Aufräumer“

Kaum außer Dienst, kaufte er das rote Gefährt. Könnte man als Wohnmobil oder für Umzüge nehmen, sagte der Vorbesitzer, der nur 2000 Euro haben wollte. Dass er einen Transporter hat, sprach sich an der Dürener Straße, auf der Hansen lebt, schnell rum. Irgendwann fing er an, für kleines Geld Umzugs- und Entrümpelungsdienste anzubieten. „Da ich ’ne Schnackbüdel bin, der gern mit allen redet, hat sich das in ganz Köln rumgesprochen.“

Seit fünf Jahren arbeitet er professionell als „Der Aufräumer“. Knut Hansen hat ein Gewerbe angemeldet und beschäftigt 400-Euro-Jobber. Früher hat er Brauchbares aus den entrümpelten Haushalten auch selbst im Internet und auf Flohmärkten verkauft. „Das macht inzwischen mein Sohn, um während des Studiums ein bisschen Geld zu verdienen. Mir war das zu viel geworden.“ Zu viel Arbeit – und zu viel Kopfkino. Die Couchgarnituren mit Popelinbezügen, Ölbilder mit röhrenden Hirschen, das Silbergeschirr mit all den deutschen Geschichten, die daran klebten... „Ich musste für meinen Job eine Mauer ziehen, damit diese Geschichten mich nicht verfolgen. Ich konnte die Sachen nicht auch noch verkaufen.“

Die Mauer hat ihm gutgetan, im Moment ist er fit. Seine Arme sind geformt, als lebe er im Fitnessstudio, obwohl er so ein Studio nie von innen gesehen hat. Seit einem halben Jahr fährt er nach der Arbeit manchmal mit einem Skateboard durch Lindenthal. Die Geschichte des Rollbretts kennt Knut Hansen nicht. Er hat es gekauft.

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