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Mein VeedelDurch Braunsfeld mit Carmen Thomas

Lesezeit 6 Minuten
Grabstein mit Schmetterling – ein gutes Omen.

Grabstein mit Schmetterling – ein gutes Omen.

Braunsfeld – Vom Rhein-Energie-Stadion wehen Fanfaren und Schlachten-Gesänge herüber. „An Spieltagen ist das bis hierher zu hören, obwohl das Stadion fast drei Kilometer entfernt ist“, sagt Carmen Thomas. „Aber eigentlich zeichnet sich Braunsfeld, zumindest in den Nebenstraßen, durch eine fast dörfliche Stille aus.“

Sie parkt ihr Fahrrad mit den ausladenden Seitentaschen vor der Bäckerei Schmitz-Nittenwilm an der Aachener Straße. Dort wollen wir vor dem Start die Route unseres Veedel-Spaziergangs besprechen. Über Fußball reden wir nicht. Nicht über Arminia Dortmund, nicht über Hannover 2010, nicht über den 1. SC Köln und schon gar nicht über Schalke 0... Ich oute mich als Fußball-Greenhorn: Wie heißen die Vereine bloß alle?

Carmen Thomas kennt die Namen. Sie kannte sie auch 1973. Sonst hätte man ihr, damals 26 Jahre alt, wohl kaum die Moderation des ZDF-Sportstudios angetragen. Übrigens als erster Frau in dieser Männerwelt. Und dann der legendäre Zahlendreher: „Schalke 05“– statt Schalke 04. Ein Lapsus. Komischerweise reagierte zunächst kaum jemand. Die meisten Zuschauer nahmen es ihr nicht übel. Aber die „Bild“ fand es skandalös. Die Medien schufen auch die bis heute unausrottbare Legende, Carmen Thomas habe nach dem Hänger nie mehr ein Sportstudio moderiert. Wahr ist, dass die junge Journalistin noch weitere eineinhalb Jahre im Wechsel mit Kollegen vor der Kamera stand. Direkt im Anschluss daran kam „Hallo Ü-Wagen“, die WDR-Sendung mit freier Moderation, Experten und aktiver Publikumsbeteiligung. Damit wurde Carmen Thomas dann selbst zur Legende. „Letztlich war der Versprecher Auslöser für eine wichtige Wende in meinem Leben.“

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Seit 35 Jahren lebt sie in Braunsfeld. Sie ist zu Fuß oder noch lieber mit dem Fahrrad unterwegs. Hier kauft sie ein. „Ich lebe richtig gerne in diesem Viertel, vor allem, seit hier mehr junge Familien sind und weniger Pudel und Persianer als am Anfang.“ Sicher, die Wohngegend sei nach wie vor teuer, gleichzeitig habe sich durch die liebevoll restaurierten alten Häuser ein historisches Flair erhalten. „Und: Auf kurze Distanz sind auf der Braunsfelder Zeile noch so viele Geschäfte und Dienstleister, dass sich alles in kürzester Zeit fußläufig erreichen lässt.“

Gut integrierter Spanier

Zum Beispiel die Postfiliale – „ein Wunder, dass hier noch eine ist“, die Schusterwerkstatt, die Buchhandlung, die Änderungsschneider sowie der Fisch- und Feinkostladen Görtz und „Bags & Hats“, ein Taschengeschäft. Die Inhaberin Lotte Gaertner ist 86 Jahre alt. Sie weiß alles über feines Leder, Gerbung und Machart. Tochter Bärbel unterstützt die alte Dame. „Ein Geheimtipp für Leute, die selbst gemachtes, italienisches Eis schätzen.“

Carmen Thomas stattet ihrem Stammfriseur José Luis Menéndez einen Besuch ab. Gleich nach seiner Lehre zog es den 18-jährigen Spanier von Asturien ins Ausland. „40 Jahre bin ich jetzt in Köln. Und zufrieden. Wenn du freundlich bist, sind die Leute auch freundlich zu dir. Außerdem habe ich mich auch gut integriert“, sagt er lachend und nimmt seine deutsche Frau Antoinette in den Arm.

Auf dem Weg zum Stadtwald überqueren wir die Friedrich-Schmidt-Straße. Im Hintergrund rattert die Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn vorbei. „Die Kölner sagen Klüttenbahn. Sie steht unter Denkmalschutz, ein ziemlich bewegliches Denkmal.“ Vom Clubhaus der Tennisanlage Lese Grün-Weiß TC – „früher habe ich hier auf der städtischen Anlage mit Janus Fröhlich von den Höhnern Tennis gespielt, zurzeit mache ich lieber Yoga“ – spazieren wir zu einer grün lackierten Parkbank an der Marcel-Proust-Promenade. „Das ist meine“, sagt Carmen Thomas ein wenig stolz. „Es wäre auch möglich gewesen, einen Mülleimer zu stiften. Aber eine Bank war mir sympathischer.“ Und nicht einmal viel teurer: 730 Euro kostet die Bank, 710 Euro ein Abfallkorb.

Vor ein paar Jahren rief die Kölner Grün-Stiftung die Aktion „1000 Bänke für Köln“ ins Leben.1995 erhielt Carmen Thomas den Kölner Ohrenorden „Weil ich das Ohr am Puls der Zeit habe. So sagte jedenfalls Gerd Ruge in seiner Laudatio.“ Anlässlich des Ohrenordens 2010 hörte sie von den 1000 Bänken. Auf dem Messingschild ihrer Parkbank ist zu lesen: Keine-r ist so klug wie alle. Das ist der Wahlspruch der Moderations-Akademie, die Carmen Thomas vor zwölf Jahren gegründet hat. Thomas ist in Köln gut vernetzt und sitzt beispielsweise auch im Komitee der Alternativen Kölner Ehrenbürgerschaft. Damit ausgezeichnet wurden unter anderem Pfarrer Franz Meurer, Gunter Demnig für seine „Stolpersteine“ und Hedwig Neven DuMont für ihre Initiative „wir helfen“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Vom Stadtwald aus überqueren wir noch einmal die Aachener Straße und schlendern zum Pauliplatz. „Köln“, sagt Carmen Thomas, „ist eigentlich ein steingewordenes Drama. Dieser unglaubliche Siedlungsbrei, der aus der Not in der Zertrümmerung hier gebaut wurde. Da ist der Pauliplatz eine rühmliche Ausnahme.“

Ein Ensemble – wie gemalt. Mit Weinlaub bewachsene Bürgerhäuser in Reihen, die wie auf einer ellipsenförmigen Umlaufbahn um eine Grünfläche in der Mitte angeordnet sind. „Angelegt wurde der Platz 1914 zur Kölner Werkbund-Ausstellung, einer Präsentation von Kunst und Architektur der damaligen Zeit. 2011 wurde er nach historischen Vorbild restauriert. Mit Spenden der Bürgerinnen und Bürger. Zum Beispiel hat hier Fritz Gruber gewohnt, der Mitbegründer der Photokina.“

Im Besitz des ältesten Grabsteins

Vor einer prächtigen Villa des Pauliplatzes steht der Pan-Brunnen. Im Zweiten Weltkrieg traf es die Figur des kleinen Hirtengotts schwer: „Kopflos saß er da. Bis das fehlende Stück 15 Jahre nach Kriegsende im Keller einer Anwohnerin entdeckt wurde.“ Pan bekam seinen Kopf zurück, noch heute lässt sich bei genauem Hinsehen die Narbe am Hals entdecken. Der kleine Brunnen wurde schon früher als der restliche Platz restauriert. Zu dieser Zeit wollte Carmen Thomas ihn eigentlich Gästen zeigen. „Wir biegen um die Ecke. Ich weise mit großer Geste in Richtung Brunnen. Alle gucken mich fragend an. Ich schaue hin und muss feststellen: der Brunnen mitsamt dem Hirtengott ist weg.“

„Ich habe schon ein Grab mit Stein im Viertel“, sagt Carmen Thomas bei unserem Rundgang beiläufig. „Ich werde mal bei Anna Katharina Glasmacher auf Melaten liegen.“ Was andere vielleicht schockt, nach 36 Hallo-Ü-Wagen-Sendungen über Tod und Sterben und ihrem Bestseller „Vom Umgang mit der Leiche“ hat sie keine Berührungsängste mit dem Thema mehr. Also machen wir uns auf den Weg zum Friedhof. An einem schmalen Durchgang, verdeckt von wucherndem Kirschlorbeer, steht er: ein schlichter Sandstein mit fast verwittertem Schriftzug und – für Carmen Thomas geradezu schicksalhaft – einem Schmetterling. „Zunächst reiner Zufall.“ Sie hatte sich bei der Friedhofsverwaltung nach einer Patenschaft für einen historischen Grabstein erkundigt. „Die Idee ist, so für den Erhalt historisch wertvoller Grabsteine zu sorgen und zugleich das Recht zu erwerben, dort auch beerdigt zu werden.“ Die Mitarbeiterin des Amts zeigte auf rund 20 Ordner: „Da können Sie sich einen aussuchen.“ „Na, bis ich die durchhabe, bin ich längst tot“, meinte Carmen Thomas. „Haben Sie nicht ne schöne Empfehlung?“

Daraufhin griff die junge Frau zielstrebig einen Ordner und sagte: „Hier, wie ist der? Er ist schön und einer der ältesten auf Melaten – von 1815. Aber vor allem hat er einen Schmetterling“, pries die Dame einen Grabstein an. „Ich musste so lachen. Das war genau meiner. Denn alle meine drei Bücher zum Thema Urin haben einen Schmetterling auf dem Umschlag.“ Nicht ohne Grund, wie Thomas erläutert: Die mexikanischen Medizinmänner stellen eine Schale mit dem Urin ihrer Patienten vor die Tür und beobachten: Wenn Fliegen kommen, ist zu viel Eiweiß im Urin und der Mensch krank. Wenn Bienen angezogen werden, ist zu viel Zucker drin, was auf Diabetes hinweist. Aber wenn Schmetterlinge kommen, ist der Mensch gesund.

Dieses gute Omen lässt hoffen, dass Carmen Thomas das Grab der Schankwirtin Anna Katharina Glasmacher nicht so bald wird selbst nutzen müssen.

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