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Stollwerck verlässt KölnErinnerungen an den „Kamelle-Dom“

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Stollwerck-Belegschaft vor dem früheren Werk im Severinsviertel

Stollwerck-Belegschaft vor dem früheren Werk im Severinsviertel

Köln – Wenn jede Stadt, jedes Viertel einen eigenen Geruch, einen eigenen Geschmack hat, so war der des Severinsviertels vor gut 100 Jahren vor allem eines: süß. Zuckersüß. Stollwercks „Kamelle-Dom“ im Herzen der Südstadt verströme einen „ganz deliziösen Karamellgeruch“, der auch benachbarte Straßen erfülle, schwärmt ein Auslandskorrespondent Anfang des 19. Jahrhunderts seinen französischen Lesern vor. Und Eindruck machen offenbar nicht nur die „Kamelle“: Bewohner im Veedel nennen die vielen jungen Fabrikarbeiterinnen, die morgens ins Werk des damals größten Arbeitgebers im Viertel strömen, „Stollwercks extrazart“. Angesiedelt hatte sich Stollwerck dort in den 1870er Jahren, doch die Firmengeschichte reicht noch viel weiter zurück: Sie beginnt vor gut 175 Jahren.

1839 gründet der Bäckermeister Franz Stollwerck in der Blindgasse (heute: Cäcilienstraße) eine Mürbebäckerei, wo er der Kundschaft neben Gebäck und Spirituosen auch Schokolade anbietet. Erste Berühmtheit erlangt er mit der Produktion von Hustenbonbons, mit deren Verkauf er aber auch den Zorn der örtlichen Apothekerschaft auf sich zieht. Stollwerck expandiert, eröffnet eine Kaffeestube, gliedert ein Theater an, errichtet Ausflugslokale. Seine Söhne gründen nach familiären Konflikten schließlich einen eigenen Zucker-Betrieb.

Nach dem Tod des Vaters werden die Unternehmen zusammengelegt, die Produkte zunehmend erfolgreich vermarktet. Im In- und Ausland entstehen weitere Fabriken. Und nicht nur die: Der Stollwerck-Clan ist erfinderisch. Heinrich entwickelt Maschinen für die Schokoladen-Produktion, Ludwig startet eine neuartige Vermarktungsstrategie: den Vertrieb von Schokolade und anderen Dingen über Automaten, ein völlig neuer Geschäftszweig.

Tausende Stollwerck-Automaten stehen in den 1890er Jahren allein an Bahnhöfen in New York. Ludwig Stollwerck entwickelt gemeinsam mit Thomas Alva Edison auch eine „sprechende Schokolade“: eine Schallplatte, die auf einem Spielzeugphonographen abgespielt werden kann.

Der Erste Weltkrieg wirft das Unternehmen zurück. Im Zweiten Weltkrieg werden viele Produktionsanlagen schwer beschädigt. Von den Wirtschaftswunderjahren profitiert die AG kaum. Vor allem die Aufhebung der Preisbindung 1964 verschärft die Konkurrenz. Die Wende kommt erst 1972, in einer existenzbedrohenden Krise, als mit Hans Imhoff ein gewiefter Unternehmer einsteigt. Damit endet allerdings auch Stollwercks Zeit im Severinsviertel: Imhoff verkauft das Gelände. Im Zusammenhang damit hatte er zuvor vom Käufer ein Stollwerck-Aktienpaket erworben, das ihm die Mehrheit sichert. 1975 zieht Stollwerck in ein modernes Werk in Porz. Den erbitterten Streit um die Zukunft des Geländes in der Südstadt haben viele Kölner noch in lebhafter Erinnerung: Wochenlang werden 1980 die alten Gebäude besetzt. 600 Hausbesetzer wollen den Abriss verhindern. Die Situation eskaliert, das Gelände wird geräumt. Kurz darauf beginnt die Stadt mit dem Abriss großer Teile der Gebäude.

Imhoff bringt Stollwerck mit einem ehrgeizigen Sanierungsplan und einem klaren Markenkonzept wieder auf die Erfolgsspur und stärkt Stollwerck durch Zukäufe von Marken wie Eszet, Sarotti, Alprose, Sprengel und Gubor. Für Stollwercks Aktionäre sind die Hauptversammlungen in der Ära Imhoff ein Fest mit großem Unterhaltungswert – und viel, viel Schokolade.

Doch Hans Imhoff hat keinen Nachfolger – und so verkauft er das Unternehmen im Jahr 2002 an den Schokoladeproduzenten Barry Callebaut aus der Schweiz. Dieser gibt nicht nur einige Marken wieder ab, sondern schließt auch 2005 die Produktion in Köln – ein erster herber Einschnitt. Schließlich verkaufen die Schweizer Stollwerck an Baronie aus Belgien.

Stollwerck in Köln – das ist bald Geschichte. Geworben, geforscht, verwaltet wird nach 175 Jahren weit weg vom echten Dom und dem früheren Kamelle-Dom: in Norderstedt bei Hamburg.

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