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Adolf Eichmann„Er war nicht nur ein Mörder“

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Adolf Eichmann vor Gericht in Jerusalem. (Bild: Archiv)

Adolf Eichmann vor Gericht in Jerusalem. (Bild: Archiv)

Herr Bach, welches Bild haben Sie vor Augen, wenn Sie an den Eichmann-Prozess zurückdenken?

GABRIEL BACH: Den ersten Moment dieses Prozesses werde ich nie vergessen, als die Richter in den Saal kamen und dieser Mann, Adolf Eichmann, dessen einziges Bestreben es war, die Juden in der Welt zu vernichten, aufstand und Haltung annahm vor dem Gericht eines souveränen israelischen Staates. Da war mir die Bedeutung unserer Staatsgründung klarer denn je.

Sie hatten Eichmann schon während der Prozessvorbereitung im Gefängnis gesehen. Was dachten Sie bei der ersten Begegnung?

BACH: Ich saß an diesem Tag in meinem Büro und las die Autobiografie von Rudolf Höss, des Kommandanten von Auschwitz. Er beschrieb darin, dass sie an manchen Tagen tausend Kinder getötet hatten und wie einige bettelten, verschont zu bleiben. Höss schrieb: „Wenn ich diese Kinder in die Gaskammer stoßen musste, bekam ich manchmal Kniezittern.“ Aber er hätte sich für diese Schwäche immer geschämt, nachdem er mit Obersturmbannführer Eichmann gesprochen habe. Der habe ihm erklärt, dass es hauptsächlich die Kinder seien, die man umbringen solle; denn wo sei die Logik, die Älteren zu töten, während man die jüngere Generation, die „möglichen Rächer, eine Keimzelle für die jüdische Rasse“ am Leben lasse. Zehn Minuten, nachdem ich das gelesen hatte, sagte man mir, Eichmann wolle mich sprechen. Als ich seine Schritte hörte und er mir dann gegenübersaß, war es nicht leicht, eine ruhige Miene zu bewahren.

Haben Sie das zusammenbekommen, den Menschen, der solche monströsen Taten angeordnet hatte, und die Person vor Ihnen?

BACH: Ich werde oft gefragt, was für ein Typ Eichmann war. Ich lehne es allgemein ab, einen Angeklagten nur als Mörder, Roboter oder Bürokraten zu sehen. Menschen sind nie nur etwas. Sie sind eine Kombination und gehen durch Entwicklungsstadien. Ich glaube, das war auch bei Eichmann so. Am Anfang war er Experte für Juden-Angelegenheiten, weil er dachte, das sei gut für seine Karriere. Dann hat er jahrelang Millionen Menschen umbringen lassen und das zu seinem persönlichen Kampf gemacht. Noch gegen Kriegsende hat er einem Freund gesagt: „Ich weiß, der Krieg ist verloren, aber ich werde meinen Krieg gewinnen.“ Daraufhin fuhr er nach Auschwitz, um die Tötungen pro Tag von 10.000 auf 12.000 heraufzusetzen.

Die Verteidigung sagte, Eichmann habe nur Befehle ausgeführt.

BACH: Tatsächlich hat er sogar einen Führerbefehl hintergangen. Das macht kein kleiner Befehlsempfänger. Als die Deutschen nach Ungarn einmarschierten, traf sich Hitler mit Miklos Horthy an der Grenze. Hitler wollte sicherstellen, dass die Ungarn weiter an deutscher Seite kämpfen und sich an der Deportation der Juden beteiligen. Horthy willigte unter der Bedingung ein, etwa 8700 jüdischen Familien aus Budapest die Ausreise in neutrale Länder zu erlauben. Hitler sagte dies zu. Aus einem Brief des deutschen Botschafters in Budapest an Außenminister Ribbentrop geht aber hervor, dass Eichmann außer sich war, als er von diesem Abkommen hörte. Denn diese Familien könnten in Palästina die jüdische Rasse wieder aufbauen. Eichmann ordnete daher an, ihre Deportation zu beschleunigen, damit ihnen nicht genug Zeit bleibe, die nötigen Ausreisevisa zu organisieren.

Dabei ging er besonders perfide vor.

BACH: Allerdings. Heinrich Himmler hatte ihn persönlich nach Budapest geschickt, um dafür zu sorgen, dass es bei der Deportation einer halben Million ungarischer Juden keinen Aufstand wie im Warschauer Ghetto gebe. Eichmann selbst hat uns von der Instruktion erzählt, die ersten in Auschwitz ankommenden Juden zu zwingen, Postkarten nach Hause zu schicken. Den Text hatte Eichmann aufgesetzt: „Wir sind an einem wunderschönen Waldsee, machen Ausflüge in herrlicher Gegend bei leichter Arbeit.“ Nur gebe es nicht mehr viele Plätze, man solle daher schnell nachkommen und gute Schuhe mitbringen. Die wollte die Armee haben.

Hat es Ihnen bei solchen Beschreibungen nicht manchmal die Sprache verschlagen?

BACH: Lassen Sie mich dazu von der Postkartenaktion weiter erzählen. In Israel konnte ich einen Mann ausfindig machen, der noch so eine Postkarte besitzt. Am nächsten Tag beschrieb er im Prozess, wie er von Frau, Sohn und dem zweijährigen Töchterchen bei der Selektion in Auschwitz getrennt wurde. „Ich sah meine Frau nicht mehr, auch meinen Sohn verlor ich in der Menge aus den Augen, nur mein Töchterchen, das einen roten Mantel anhatte, war noch als kleiner werdender roter Punkt zu erkennen. So verschwand meine Familie aus meinem Leben.“ Zufällig war meine Tochter damals zwei Jahre alt, ihr hatte ich gerade einen roten Mantel gekauft. Als der Zeuge seine Geschichte erzählte, brachte ich keinen Ton mehr heraus. Es dauerte Minuten, da hatte ich mich wieder unter Kontrolle. Noch heute geht es mir so: Ich kann in einem Fußballstadion sitzen oder in einem Restaurant, wenn ich ein Kind in einem roten Mantel sehe, kriege ich Herzklopfen.

Hannah Arendt beschreibt in ihrem Buch zum Prozess Eichmann als Schreibtischtäter. Staatsanwalt Gideon Hausner wirft sie vor, er habe zu viel an Eichmann persönlich festgemacht, ihn als Monstrum präsentiert, dabei sei das Böse viel banaler.

BACH: Bereits vor dem Prozess hörte ich, da ist eine jüdische Philosophin, sie möchte etwas schreiben gegen das Verfahren. Sie hatte a priori die Meinung, wir hätten den Fall aufgebauscht. Mein Angebot, sie zu treffen, schlug sie aus. Wir haben ihr trotzdem Einsicht in die Prozessakten gestattet. Aber die Hauptdokumente hat sie verfälscht wiedergegeben.

An Eichmanns Schuld hat Arendt allerdings nicht gezweifelt, nur an der Bewertung seiner Rolle in der NS-Vernichtungsmaschinerie.

BACH: Selbst der Verteidiger hat etwas verstanden, was Arendt nie verstanden hat. So verwies sie auf jüdische Leiter in polnischen Ortschaften, die unter dem Druck der Deutschen Deportationslisten zusammengestellt haben. Sie machten es, weil sie ihre Familien retten wollten oder um Zeit zu gewinnen. Arendt meinte, die Kollaboration einiger Juden wäre als mildernder Umstand für Eichmann zu werten gewesen. Das ist lächerlich. Eines Tages kam Eichmanns Verteidiger Robert Servatius zu mir, es hätten sich Israelis als Zeugen gemeldet, die andere Juden wegen der Zusammenarbeit mit den Nazis beschuldigten. Er sagte, „wenn ich davon ausgehen würde, dass es dem Angeklagten helfen könnte, müsste ich sie benennen. Aber die Tatsache, dass man, bevor man die Körper vernichtet hat, mit den Seelen der Menschen ein Katz- und-Maus-Spiel trieb, ist für mich ein erschwerender Umstand, kein mildernder.“

Im Eichmann-Prozess kamen erstmals die Opfer ausgiebig zu Wort. Das war auch in Israel neu, wo man mit dem Staatsaufbau beschäftigt gewesen war und sich um die Holocaust-Überlebenden nicht groß gekümmert hatte. Waren es die Aussagen der 115 Zeugen, die den Prozess zu einem historischen machten?

BACH: Die Bedeutung des Prozesses war ungeheuer, in Israel wie in der Welt. Viele Überlebende fingen dadurch erst an, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Das war auch für unsere Jugend wichtig. Ein Israeli kann verstehen, dass man im Kampf getötet wird, aber nicht, dass Millionen auf die Schlachtbank gehen, ohne Widerstand zu leisten. Das war nicht das Hauptthema des Prozesses. Dennoch wollten wir zeigen, wie die Opfer irregeführt wurden, dass hier kein Grund zur Scham war.

Das Gespräch führte Inge Günther

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