Alternative EhrenbürgerPersönlicher Einsatz für die Schwachen

Lesezeit 4 Minuten
Hedwig Neven DuMont und Kurt Holl werden in diesem Jahr als alternative Ehrenbürger ausgezeichnet. (Bild: Worring)

Hedwig Neven DuMont und Kurt Holl werden in diesem Jahr als alternative Ehrenbürger ausgezeichnet. (Bild: Worring)

Köln – „Alternativlos“ ist nicht nur das Unwort des Jahres 2010 – es ist auch ein gänzlich unkölsches Wort. Denn Köln hat die Alternative zum Lebensprinzip gemacht: Immer geht es in dieser Stadt so – oder eben ganz anders. Das gilt auch für die Kölner Ehrenbürger. Neben die Männer und Frauen, die vom Rat der Stadt ausgewählt werden, stellt ein „Bürgerkomitee“ seit neun Jahren eigene Persönlichkeiten, die sich in besonderer Weise um die sozialen, kulturellen und rechtlichen Belange der Kölner verdient gemacht haben. Dabei geht es den Mitgliedern des Komitees gerade nicht um Verdienste „von Berufs oder Amts wegen“, sondern um das „uneigennützige und engagierte“ ehrenamtliche Handeln „zum Erhalt und zum Ausbau einer solidarischen Gesellschaft“.

Initiatoren sind der Publizist Martin Stankowski und der Kabarettist Heinrich Pachl. Zu der 30-köpfigen Runde gehören Musiker wie Stephan Brings („Brings“), Wolfgang Niedecken („BAP“) und Tommy Engel, der Schriftsteller Günter Wallraff, die Journalistinnen Elke Heidenreich und Carmen Thomas oder die frühere Familien- und Jugendministerin Katharina Focke, eine Grande Dame der SPD. Nicht von ungefähr mischt auch ein Mann wie Kabarettist Jürgen Becker mit: Der „fröhliche kölsche Elan, der Ansporn und Ermutigung ausstrahlt“, zählt jedenfalls zu den Kriterien, nach denen das Bürgerkomitee die alternativen Ehrenbürger aussucht. Genau wie Kontinuität und Effizienz im Handeln, das sich auf schwierige Problemlagen einlässt. „Alternativ – das ist für uns keine Frage von Milieu oder politischer Gesinnung“, sagt Becker.

Das Bürgerkomitee verstehe den Begriff vielmehr im Sinne des Außergewöhnlichen – und des Vorbildhaften. „Mit der Vergabe der alternativen Ehrenbürgerschaft wollen wir dazu animieren, die in der Stadtgesellschaft Kölns vorhandenen, schlummernden Kräfte für sozialen Einsatz freizusetzen“, erläutert Martin Stankowski. Damit sehe sich das Bürgerkomitee nicht im Widerspruch zur Stadt, sondern in komplementärer Funktion. „Wir sind nicht mandatiert, aber engagiert“, so Stankowski. Dieses Selbstverständnis werde unterdessen auch von den kommunalen Honoratioren anerkannt. Eine ganze Reihe habe sich zur Vergabe der alternativen Ehrenbürgerschaft am Sonntag angesagt.

Alles zum Thema Wolfgang Niedecken

Geehrt werden 2011 Hedwig Neven DuMont, Vorsitzende des Vereins „wir helfen“, und Kurt Holl, Mitbegründer des „Rom e.V.“ und des Schulprojekts „Amaro Kher“ für Romakinder. Beide hätten „in Kombination“ sehr viel für die Minderheit der Sinti und Roma getan, betont Martin Stankowski – mit unermüdlichem persönlichem Einsatz, oft genug im Verborgenen und auch im Überschreiten von Grenzen. „Nur mit Geld und guten Worten können wir die Ausweisung von Sinti und Roma nicht verhindern.“ Diese Intuition habe Hedwig Neven DuMont und Kurt Holl etwa zu einem „Go-in“ bei einem früheren städtischen Rechtsdezernenten veranlasst. Beispielhaft, findet das Bürgerkomitee: „Wenn jeder Asylsuchende auf Behördengängen von einem »bürgerlichen« Paten begleitet würde, wäre die Behandlung besser.“

Außergewöhnlich und exemplarisch – das trifft gewiss auch auf den ersten alternativen Ehrenbürger zu, der 2002 erkoren wurde: Franz Meurer, katholischer Pfarrer, in Vingst und Höhenberg. Der heute 60-Jährige ist als „Don Camillo von Köln“ weit über die Grenzen der Stadt und des Erzbistums hinaus bekannt. Trotz mancher schnoddriger Sprüche und Spitzen Meurers gegen das kirchliche Establishment lässt Kardinal Joachim Meisner seinen unkonventionellen Pfarrer gewähren, weil er weiß: Meurer verkörpert wie kaum ein zweiter in Deutschland das soziale Gewissen der Kirche. Aus Liebe zu Gott und den Menschen ist Meurer so etwas wie eine leibhaftige Alternative.

Das gilt in abgewandelter Form auch für Gunter Demnig, den alternativen Ehrenbürger des Jahres 2006. Seine Aktion „Stolpersteine“ steht für eine Kunst, die buchstäblich aneckt und zum Innehalten zwingt. In 500 deutschen Ortschaften sowie im europäischen Ausland hat Demnig inzwischen seine Messingtafeln vor der jeweils letzten freiwillig gewählten Wohnung jüdischer Bürger verlegt, die von den Nazis deportiert und ermordet worden waren.

Die Ehrung findet am Sonntag um 12 Uhr im Kinosaal des Museums Ludwig statt. Laudatoren sind Schauspiel-Intendantin Karin Beier und der Rechtsanwalt Louis Peters, Mitglied des Bürgerkomitees. Den Festvortrag über bürgerschaftliches Engagement – Arbeitstitel „Mut statt Wut“ – hält der Sozialwissenschaftler Claus Leggewie vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen. Unter den weiteren Mitwirkenden sind Günter Wallraff und Franz Meurer. Der Eintritt ist frei.

KStA abonnieren