Anne WillSteinmeier haderte mit Gott

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Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender im Juni 2009. (Bild: dpa)

Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender im Juni 2009. (Bild: dpa)

BERLIN - Es kommt nicht oft vor, dass ein Spitzenpolitiker in einer großen TV-Talkshow vor einem breiten Publikum über eine existentielle Frage seines Privatlebens spricht. Bei Anne Will tat SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier am Sonntagabend genau das. Es ging um Angst und Zuversicht eines deutschen Spitzenpolitikers, der seiner Frau eine Niere gespendet hatte. Und es ging um nicht weniger als um Leben und Tod und das, was im Leben wirklich zählt.

Steinmeier ließ bei Anne Will den früheren Kanzlerkandidaten vergessen. Da saß ein Mensch, der offenbarte, dass er mit Gott haderte, als seiner Frau die Dauerdialyse drohte. Und er sprach von den schwierigen Gesprächen mit der Tochter: Was wäre, wenn die Mutter das Organ abstoßen und nicht überleben würde?

Auch die anderen Gäste des Abends mussten schlimme Schicksalsschläge verkraften. Nathalie Todenhöfer erzählte, dass sie mit 19 die Diagnose Multiple Sklerose bekam. Ein in Mailand begonnenes Studium musste sie wegen der Erkrankung aufgeben. Der Journalist Marcus Bornheim erfuhr, dass er an einer besonders aggressiven Form von Leukämie erkrankt war. Nur mit einer sehr seltenen und hochriskanten Behandlungsmethode konnten die Ärzte sein Leben retten. Der junge Mann hatte dem Tod ins Auge geblickt.

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Geringe Spende-Bereitschaft

Frank-Walter Steinmeiers Ehefrau, Nathalie Todenhöfer und Marcus Bornheim sind drei Beispiele, die stellvertretend für zahllose ähnliche Schicksale in Deutschland stehen. Menschen, die schwer erkranken und dringend auf ein Spenderorgan angewiesen sind. Jeden Tag sterben hierzulande drei Menschen, weil nicht genügend Organe zur Verfügung stehen, betonte Steinmeier. Nirgendwo in Europa ist die Bereitschaft zur Organspende so gering ausgeprägt wie hierzulande.

Warum ist das so? Darauf gab der Transplantationsmediziner Eckhard Nagel eine schlüssige Antwort: Weil die Menschen Angst davor haben, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. In der durch und durch säkularen Bundesrepublik werde der Tod radikal verdrängt. Es ist ja auch nur zu verständlich: Wer will sich schon mit dem eigenen Ableben beschäftigen, vor allem dann, wenn man jung und gesund ist.

Rechtsänderung gefordert

Und so kommt es, dass in Deutschland in 80 Prozent der Fälle die Angehörigen eines Verstorbenen nicht wissen, was dessen Meinung zur Organspende war, erläuterte Nagel. Steinmeier nennt das eine Zumutung. Zu Recht: Denn die Verwandten müssten ja schon mit dem Schmerz fertig werden, einen Menschen verloren zu haben. Daher würden auch nur 50 Prozent der Organentnahme zustimmen. Während etwa in Frankreich und Schweden die Angehörigen im Nachhinein darüber informiert werden, dass Organe entnommen wurden, wird in vielen anderen Ländern unterstellt, der Mensch sei mit der Organentnahme einverstanden – es sein denn, er widerspricht.

Steinmeier plädierte für einen dritten Weg in Deutschland. Es sollte eine Äußerungspflicht geben. Jeder sollte sich ausdrücklich entscheiden müssen, ob er mit der Organentnahme einverstanden ist, damit eben nicht mehr die Angehörigen den Schwarzen Peter haben. Entscheidend ist dann nicht mal so sehr Zustimmung oder Ablehnung, sondern dass überhaupt frühzeitig eine Festlegung getroffen wurde. Die Diskutanten bei Anne Will zeigten einen gangbaren Weg auf – und zwar den der Eigenverantwortung in einer existentiellen Lebensfrage.

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