Der Lohn detektivischer Forschungen

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Die Laokoon-Gruppe - eine Studie, die das Wallrfaf-Richartz-Museum Peter Paul Rubens zuschreibt.

Die Laokoon-Gruppe - eine Studie, die das Wallrfaf-Richartz-Museum Peter Paul Rubens zuschreibt.

Fast ein Krimi: Eine lange verschollene Studie zur Laokoon-Gruppe und zwei Kentauren könnten von Rubens gezeichnet sein.

Eine Sensation bahnt sich im Kölner Wallraf-Richartz-Museum an. Eine Sensation der stillen Art, in der Graphischen Sammlung. Ruhig und vorsichtig, sorgsam und skrupulös wie dort gearbeitet wird, entspricht das Wort „Sensation“ auch nicht dem Vokabular der dort arbeitenden Wissenschaftler.

In jedem Fall sollen die Fakten noch auf den national-internationalen Prüfstand der kritischen Kollegen und Rubens-Experten. Denn es geht um drei Zeichnungen, die der Leiter der Graphischen Abteilung des WRM, Uwe Westfehling, dem niederländischen Maler Peter Paul Rubens (1577-1640) zuschreibt.

Der erste Schritt zur wissenschaftlichen Diskussion ist Westfehlings Publikation „Drei verschollene Zeichnungen von Peter Paul Rubens“ auf den Seiten 171 bis 222, inklusive 38 schwarz-weißen Abbildungen - und 109 Fußnoten in Band LXII des „Wallraf-Richartz-Jahrbuchs“, soeben im DuMont Literatur und Kunst Verlag erschienen. Der nächste Schritt soll die Präsentation der ziemlich großen Blätter (rund 48 mal 37 cm) im zweiten Teil der Ausstellung „ZeichnungSehen“ ab 14. März im WRM sein (siehe dazu den „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 12. / 13.1.). Und zur endgültigen Klärung könnte ein Experten-Kolloquium führen, zu dem Westfehling möglichst bald nach Köln einladen möchte.

Fast kriminalistisch

Die „Entdeckung“ hat etwas geradezu kriminalistisches, und Westfehling konnte sie in detektivischer Feinarbeit vorantreiben. Angefangen hat es bereits im Frühjahr 2000 bei den Vorbereitungen zum Umzug des WRM von dem Doppelhaus am Rhein in den Neubau neben St. Alban. Bei der Bestandsdurchsicht nahmen sich der Verwalter der Graphischen Sammlung, Karl-Heinz Schultz, und der wissenschaftliche Mitarbeiter Olaf Mextorf auch ein Konvolut vor, das außerhalb der Systematik lag und überwiegend unbedeutende oder extrem schlecht erhaltene Zeichnungen enthielt, Material also, das man offenbar seit langem ausrangiert und zu den Akten gelegt hatte. Dabei fiel eine Reihe von Stücken auf, die dort eigentlich nichts zu suchen hatten, u. a, die drei, um die es hier geht. Wann und wieso die überhaupt zum „Ausschuss“ geraten sind, ist heute nicht mehr zu rekonstruieren.

In jedem Fall läuteten bei Uwe Westfehling sofort die Alarmglocken als er sich den Fund seiner Mitarbeiter anschaute. Und je intensiver er sich mit der „Laokoon-Gruppe“ und den beiden Kentaur-Darstellungen beschäftigte, desto mehr wuchs seine Sicherheit: Es handelt sich um Zeichnungen mit schwarzer Kreide, die Rubens während eines Rom-Aufenthalts gemacht hat. Anfang des 17. Jahrhunderts, zu der Zeit also, da Rubens sich in Italien aufhielt, war für jeden Künstler, der nach Rom kam, eine der wichtigsten Aufgaben, sich mit den Spuren der Antike zu beschäftigen. Auch Rubens machte sich mit der Welt der alten Mythen vertraut, deren Götter und Helden, in Marmor gemeißelt, schon damals zu den Attraktionen der „Ewigen Stadt“ gehörten. Die beständigste Art der Aneignung war für einen Maler, die antiken Skulpturen zu zeichnen, in allen möglichen Details. Und die Darstellung des verzweifelt mit einer Schlange kämpfenden Laokoon und seiner Söhne gehörte im 17. Jahrhundert zu den viel diskutierten mythologischen Gestalten.

Seit langem kennt man eine Rubens-Zeichnung der Laokoon-Gruppe, die sich in der Mailänder Biblioteca Ambrosiana befindet. Außerdem sind Einzeldarstellungen bekannt, die ebenfalls mit Sicherheit von Rubens stammen: Laokoon in Untersicht (einer im Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und einer in Mailand) sowie der Sohn links von Laokoon in Vorder- und in Rückansicht (auch in Mailand).

Beträchtlicher Ugewinn

Somit wäre der Kölner Laokoon die sechste authentische Rubens-Zeichnung zu dem Thema, wobei vier Blätter Detail-Darstellungen sind. Die zwei Kentaur-Zeichnungen in Köln würden die Gesamtzahl sogar verdreifachen, da bislang nur ein Kentaur in Moskaus Puschkin Museum als Rubens identifiziert wurde. Der Zugewinn an Rubens-Originalen wäre also beträchtlich - und das Rätsel, wie sie aus dem Blickfeld der Rubens-Forscher verschwinden konnten, bliebe es auch.

Wesentliche Elemente für die Identifizierung waren für Westfehling Vergleiche der Kölner Blätter mit den bereits zweifelsfrei Rubens zugeschriebenen Zeichnungen in Mailand, Dresden und Moskau. Das ist Kunsthistoriker-Handwerk - Ähnlichkeiten der Linienführung, des „Temperaments“ des Strichs, der Auslassungen zu sehen. Zum Beispiel: was Rubens nicht wichtig erschien, zeichnete er nur andeutungsweise - beim Kentaur den Stumpf des abgeschlagenen Marmorarms - oder sichtbar lustlos - bei der Laokoon-Gruppe den Fuß und Arm des links sich windenden Sohnes sowie die Hand der zentralen Figur. Vielleicht wollte er sich in eben diesen Details auch nicht festlegen, denn über sie wurde damals heftig diskutiert. An der antiken Skulptur fehlten sie, und man stritt darüber, wie sie zu rekonstruieren seien.

Ein neue Möglichkeit, die Westfehling nutzte, um den Kölner Laokoon als von Rubens gezeichnet zu erkennen, war eine Computer-Collage. Da kommt dann der quasi kriminalistische Touch in die Forschungs-Geschichte - und es muss etwas weiter ausgeholt werden: Zeichnungen, zumal Detail-Studien, wurden in den Künstler-Ateliers oft als Entwurfsvorlagen benutzt. Und so hatte Rubens in seiner Antwerpener Werkstatt eine Art Archiv, sein „Cantoor“. Und er hatte einen Mitarbeiter, einen Mann seines Vertrauens, Willem Panneels, der viele der Rubens-Zeichnungen kopierte. Unter diesen Kopien, die sich heute als „Rubens Cantoor“ im Kopenhagener Museum befinden, gibt es auch Laokoon-Studien.

So ließ Westfehling vom Computer-Spezialisten des WRM, Tobias Nagel, das rechte, schlangen-umwundene Bein, den linken Oberschenkel und den Torso des Laokoon maßstabgerecht - elektronisch - zusammenfügen. Und siehe da, die Ähnlichkeit mit der Kölner Zeichnung ist frappierend. Zu Panneels ist noch hinzuzufügen, dass Rubens sich nach einer seiner Reisen (1630) von ihm trennte. Hatte es Streit gegeben? Schließlich, was heute ein Computer kann, konnte damals sicherlich auch ein geschickter Kopist, und das eventuell nicht nur zu Ehre und Nutzen des Meisters.

Letztes und vielleicht unumstößliches Indiz dafür, dass es sich bei den drei bislang verschollenen Blättern im WRM um Rubens' Handschrift handelt, ist das Wasserzeichen des Papiers, auf dem er gezeichnet hat. Gerade weil es ein rein technisches, also objektives Mittel ist und nicht ein kunsthistorisch-vergleichendes, das stets einen Hauch von Subjektivität behalten muss, ist es über jeden Zweifel erhaben. Dieses Wasserzeichen, ein Männlein mit Wanderstab (also ein Pilger), taucht auf zweien der drei Blätter auf, und es ist identisch mit dem italienischen Papier, das schon auf anderen Rubens-Zeichnungen sichtbar gemacht wurde, zum Beispiel im Louvre und im Antwerpener Rubenshuis. Ein Symposium in Köln verspricht also, äußerst spannend zu werden.

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