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Die Angst geht um im heiligen Köln

Lesezeit 7 Minuten
Viele Laien sind von der Kirchenleitung verunsichert, aber nur wenige reden darüber.

Viele Laien sind von der Kirchenleitung verunsichert, aber nur wenige reden darüber.

Einsparungen gelten als willkommener Anlass, Kritiker mundtot zu machen.

So viel Feuer war lange nicht unterm Kirchendach. Beim Weltjugendtag 2005 wirkte alles so, als wäre das Erzbistum Köln bestens in Schuss: Jubel für den Papst und - immer in seinem Gefolge - Kardinal Joachim Meisner. „Die Kirche lebt, und sie ist jung“, rief Benedikt XVI. Fast mochte man es ihm glauben . . .

Doch ein Jahr danach erweist sich das friedliche Bild als schöner Schein. Überall im Erzbistum schwelen Enttäuschung, Angst und Zorn. Die umstrittene Ablösung von Bistumssprecher Manfred Becker-Huberti durch ein Mitglied des streng konservativen, hierarchietreuen Opus Dei wirkt wie ein Brandbeschleuniger: Kritik an Kardinal Meisner und seinem Generalvikar Dominik Schwaderlapp wird laut. Beider Umgang mit der Personalie habe einen „Vertrauensverlust“ zur Folge, „der nur sehr schwer wieder aufzuholen ist“, sagt Hannelore Bartscherer, Vorsitzende des Kölner Katholikenausschusses.

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Becker-Huberti hatte im Oktober erst durch den „Kölner Stadt-Anzeiger“ davon erfahren, dass er seinen Platz räumen sollte. Er fühlt sich vom Erzbischof und vom Generalvikar abserviert, ja demontiert. Jetzt verlangt er Schmerzensgeld. Die Kirche habe im Umgang mit Becker-Huberti „ein Bild gezeichnet, wie es nicht hätte gezeichnet werden dürfen“, urteilt Bartscherer als Vertreterin der Laien.

Viele sehen das so. Aber kaum einer wagt ein so offenes Wort. Die „blanke Angst“ gehe um, sagt Bartscherer. Mit einem rigiden Reformkonzept namens „Zukunft heute“ hat die Kölner Kirchenführung die Gemeinden an die ganz kurze Leine gelegt: Von den 800 Pfarreien des Erzbistums sollen mittelfristig nur gut 200 übrig bleiben. Da wackeln nicht nur jahrhundertealte Strukturen, sondern auch Stühle. „Wenn wir aufmucken, nehmen sie uns den Pfarrer weg“, das ist nur eine Sorge engagierter Katholiken. In „vorauseilendem Gehorsam“ versuchten viele Priester und Laien, sich auf keinen Fall „unbotmäßig zu verhalten“, so Bartscherer.

Unbotmäßig - ein vielsagendes Wort. Mit seinem feudalherrschaftlichen Gefolgschaftsanspruch deutet es an, wovon die Angst ausgeht: nicht von Programmen, sondern von Personen. Sicher, es gibt die harten Sparauflagen: jährliche Etatkürzungen von 90 Millionen Euro bis 2009, das sind rund ein Fünftel der Kirchensteuermittel. Aber Meisner und Schwaderlapp, sagt ein erfahrener Bistumsfunktionär, nähmen die Finanzen zum willkommenen Anlass, die Kölner Kirche umzukrempeln. Entmachtung der Laien und klerikale Konzentration seien die eigentlichen Gründe für die Auflösung mehrerer Hauptabteilungen im Generalvikariat gewesen.

2004 war das Jahr der großen Wende. Damals übernahm Schwaderlapp, zuvor viele Jahre Meisners Privatsekretär, das Amt des Generalvikars von Norbert Feldhoff. Einen regelrechten Kulturbruch diagnostiziert Christian Linker, Diözesanvorsitzender des Jugenddachverbands BDKJ. „Ich habe den Eindruck, die ganze Vielfalt von Laien-Engagement ist nicht mehr gewünscht. Die neue Führung ist amtsfixiert.“

Und sie greift durch. Über jedem, der nicht spurt, hängt das Damoklesschwert der Versetzung oder Kündigung. Bloß nicht auffallen - das ist daher für einen Pfarrer aus dem Umland die Devise. „Wir erledigen unsere Dinge möglichst innerhalb eines engen Zirkels, auf den man sich verlassen kann.“ So geschieht dann auch immer noch viel Gutes und Segensreiches im Erzbistum Köln - unbemerkt von der Zentrale.

Dort allerdings, im Erzbischöflichen Generalvikariat, weht seit Schwaderlapps Amtsantritt ein rauer Wind. In der Behörde macht ein Satz die Runde, der als Führungs-Credo des neuen Chefs gilt: Ich dulde keine Kritik. Was das heißt, bekam - lange vor Becker-Huberti - Bistumsjustiziar Wilhelm Meller zu spüren. Der bundesweit hoch geachtete Fachmann wandte sich gegen Schwaderlapps Reformpläne - und wurde im Mai 2005 geschasst, von einem Tag auf den anderen, nach 28 Dienstjahren. Allen im Generalvikariat musste klar sein: Das ist ein Exempel.

Diese Botschaft ist angekommen. Niemand riskiert mehr ein offenes Wort. Schließlich kann es die berufliche Existenz kosten. „Meisner und Schwaderlapp sind von Leuten umgeben, die ihnen nach dem Mund reden oder nach dem Ohr schweigen“, sagt Ulrich Harbecke, Verfasser zweier Schlüsselromane über die Verhältnisse im Erzbistum.

Nur anonym schreibt sich ein Angestellter des Generalvikariats den Frust von der Seele: „Kirche ist doch mehr als Bischof und Generalvikar. Aber deren Beispiel ist tödlich für unsere Kirche. Beiden ist die Demut abhandengekommen, die der Kardinal bei Priesterweihen immer wieder seinen Mitbrüdern predigt. Leider kann ich mich nicht outen. Es kann ja keiner aufschreien, wir haben Eigenheim und Kinder.“ Doch selbst ein hochdekorierter Geistlicher klagt: „Sie ahnen ja gar nicht, wie wir seit Jahren geknebelt werden.“ Manchmal hilft dann nur noch die Flucht in Sarkasmus: Wer freitags das Generalvikariat verlässt, solle bloß seinen Stuhl mitnehmen - damit er ihn nicht vor die Tür gesetzt bekommt . . .

Zu Feldhoffs Zeiten, erinnert sich ein Verbandsfunktionär, habe man schon mal zum Generalvikar gehen und ihn nach einem Tipp fragen können, wie das ein oder andere dem Erzbischof wohl zu vermitteln sei. Deshalb hätten sich viele Kleriker auch mehr getraut. „Sie wussten, dass ihnen im Zweifelsfall der Generalvikar hilft.“ Heute gebe es nur noch „Meisner pur“: „Was Sie Schwaderlapp sagen, sagen Sie dem Erzbischof.“

Im Priesterrat, der früher seiner lebhaften Diskussionen wegen eigens einen Moderator brauchte, erlebt ein häufiger Teilnehmer heute nur noch Eintönigkeit: lange Monologe, kaum Debatte und schon gar keine Widerrede. Eine Hauptamtliche aus der Seelsorge bringt es drastisch auf den Punkt: „Das Erzbistum verwandelt sich in einen SED-Staat, und wir tun nichts dagegen.“

Von Gängelei, Überwachung und Drohung können viele Priester aus eigener Erfahrung erzählen. Offen tun es nur wenige - und an Protest denkt kaum mehr einer. „Ich kämpfe nur, wenn ich die Aussicht habe zu gewinnen“, sagt ein Pfarrer. Manch einer will sich zu den Strapazen in der Seelsorge nicht auch noch eine Auseinandersetzung mit dem Erzbischof aufhalsen. Denn so ein Streit bedeutet emotionalen Stress: „Wenn Meisner was gegen dich hat, dann kennt er dich nicht“, sagt ein Pfarrer, der unter dieser Geringschätzung leidet.

Liebesentzug ist im Konfliktfall freilich noch die gelinde Variante. Der Dortmunder Theologieprofessor Thomas Ruster sieht sich mit weitaus härteren Sanktionen konfrontiert. Kritische Fragen an Papst Benedikts Antrittsenzyklika in einem Vortrag für das Katholische Bildungswerk im Oberbergischen Kreis - das war Weihbischof Rainer Woelki vor ein paar Wochen bereits zu viel. Ruster soll nicht mehr reden dürfen - und wenn doch, schickt das Generalvikariat einen Aufpasser.

Solche gibt es beileibe nicht nur von Amts wegen. In einem Klima des Misstrauens gedeihen üble Nachrede und Denunziantentum. Hannelore Bartscherer vom Katholikenausschuss weiß von der ständigen Sorge eines Pfarrers zu berichten: Wenn er an den Altar trete, dann wisse er ja nie, wer da in der Kirchenbank sitzt und weitergibt, was ihm nicht passt.

Einer, der von alledem nichts wahrgenommen haben will, ist Thomas Nickel. Der Vorsitzende des Diözesanrats, eines mit Laien und Priestern besetzten Gremiums, hält das ganze Angst-Gerede für „nicht nachvollziehbar“. Er zum Beispiel habe „keine Angst, mit dem Kardinal oder dem Generalvikar zu sprechen“. Bei Insidern ruft dieser Satz Hohnlachen hervor. Sie erinnern daran, wie der Diözesanrat 2001 einen Tag der Begegnung komplett abblies. Der Grund: Meisner hatte wegen einem missliebigen Referenten gedroht, die Veranstaltung zu boykottieren. „Ich hätte ihm geantwortet, »Gut, Herr Kardinal, dann bleiben Sie eben in ihrem Palais«“, sagt der Ehrenvorsitzende des Diözesanrats, Hans Deckers. Doch der amtierende Vorstand mied die Konfrontation. „Wer da behauptet, es gebe weder Druck noch Angst“, sagt Deckers, „der erzählt Quatsch.“

Solche Funken christlichen Freimuts sind für den Autor Ulrich Harbecke Indizien dafür, dass das Kölner Regiment nicht von Dauer sein kann. Bestes Erneuerungsprogramm für die Kirche sei die Bibel mit ihrer Botschaft von einem Leben ohne Angst. Insgeheim warten im Erzbistum viele auf Weihnachten 2008. Dann wird Kardinal Meisner 75 Jahre alt - und muss dem Papst seinen Rücktritt anbieten. Andererseits ist es höchst zweifelhaft, dass Benedikt XVI. das Gesuch auch annimmt. „Ich glaube“, sagt Harbecke, „wir befinden uns in einer Situation wie Frankreich kurz vor Ende des Ancien Régime: Erst kommt ein rapider Autoritätsverfall und dann die Revolution.“

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