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Die Begegnung fremder Welten

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Alles anders, alles neu? Lässt der Bundeskanzler nun doch keine deutschen Soldaten in den Krieg gegen den Terror fliegen? Und macht der Innenminister gleich heute Morgen ein paar Rückzieher in seiner Überwachungs-Offensive? Schließlich hatte Gerhard Schröder, mit Otto Schily an seiner Seite, am Samstag zahlreiche Intellektuelle in Berlin zu Gast, um einen abendlichen Gedankenaustausch zu pflegen. Schriftsteller zumal waren es, die zum Ernst der Lage Stellung nehmen sollten. Von denen hatten einige zuvor schon wissen lassen, was ihnen missfällt an der deutschen Reaktion auf den „11. September“ und an der „uneingeschränkten Solidarität“ mit den Vereinigten Staaten.

Da war sie also wieder, die viel umraunte Begegnung von Poesie und Politik! Weil diese eine solche Seltenheit ist, wird sie immerzu mit erhöhter Aufmerksamkeit verfolgt, allerdings mit nicht gar so hoher Erwartung. Denn es geht um einen Dialog der Kulturen, die auf ungleichen Fundamenten gründen: Der Politiker sorgt sich um das Machbare unter besonderer Berücksichtigung des Parteiwohls, der Intellektuelle um das Wünschenswerte, das ihm so leicht nicht auszureden ist. Eine Begegnung fremder Welten. Das mag den Reiz der einschlägigen Gespräche erhöhen, lähmt aber ein wenig die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen.

Zudem zuckt „der“ Schriftsteller zusammen, wenn ihm „Engagement als Pflichtfach“ aufgebürdet wird, wie es Martin Walser einmal dargelegt hat. Nur die Provokationen des Lebens, die zur Dichtung führen, seien vom Schriftsteller zu verfolgen. Aber nicht die von der Öffentlichkeit immer wieder angemahnten Ein- und Auslassungen, die nur den allgemeinen „Reizlärm“ erhöhen. Dieser Reizlärm allerdings ist eine zentrale Ausdrucksform der Politik - und jeder erfahrene Politiker unserer Tage kann auf Knopfdruck sich erregen. Fremde Welten, auch deshalb.

Trotz alledem hat Willy Brandt wie kein anderer deutscher Nachkriegspolitiker die Nähe zu den Autoren gesucht - auch zu Günter Grass und Walser, die nun, Jahrzehnte später, bei Schröder am Tisch saßen. Brandt ging dabei davon aus, dass die Sphären einander so fremd nun doch nicht sind. Die schroffe Unterscheidung von „Geist und Macht“ wertete er als „stereotyp-langweilig“ und unrealistisch. All dies hat er dargelegt im Jahre 1970 in Stuttgart, als er seine immer wieder gepriesene Rede hielt über „Schriftsteller und Politik als Partner in der Verantwortung für Staat und Gesellschaft.“ Eine Partnerschaft ist daraus allerdings nie geworden - und nicht nur aufgrund der unseligen Erinnerung an die „Reichsschrifttumkammer“, die den Geist ins Geschirr der Macht einspannte.

Wenn nun Schröder den Dialog mit den Intellektuellen sucht, übrigens mit auffallend vielen älteren Semestern unter ihnen und mit nur einer Frau in der Runde, dann ist dies in erster Linie eine Geste: Gut, dass sie darüber geredet haben! Politik lebt mehr denn je von Symbolen, und da macht diese Premiere keinen schlechten Eindruck. Kultur schmückt eben ungemein, selbst wenn sie mit Kritik aufwartet.

Dass sich die Berliner Politik nach diesem Abendessen allerdings anders dreht als bislang, ist nicht zu erwarten. Schließlich denkt die nicht nur an das Wünschenswerte, sondern auch an die nächsten Wahltermine.

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