Die Mundorgel wird 50

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Vier Gruppenleiter des CVJM entwarfen das Heftchen, von dem bis heute mehr als 14 Millionen Exemplare verkauft wurden.

Süßigkeiten mussten in den Rucksack, die Zahnbürste natürlich auch (wurde allerdings nur in Ausnahmefällen benutzt), dazu der Trainingsanzug für die Nacht - und selbstverständlich die „Mundorgel“. Für Generationen von Jugendlichen war das handliche rote Liederbuch unverzichtbares Utensil für kurzweilige Busfahrten oder stimmungsvolle Abende am Lagerfeuer. „Wenn die bunten Fahnen wehen“, „Die Affen rasen durch den Wald“, „Die Gedanken sind frei“, . . . Je später, desto lauter schallte es über Zeltplätze, durch Wälder und Jugendherbergen überall in Deutschland.

Die Mundorgel wird in diesem Jahr 50. 1953 von vier Gruppenleitern des Christlichen Vereins Junger Männer (CVJM) in Köln erstellt, hat sich das mehrfach überarbeitete und aktualisierte Büchlein mit mehr als 14 Millionen verkauften Exemplaren zu einem absoluten Bestseller entwickelt. Der 1994 verstorbene Kölner Realschullehrer Dieter Corbach hatte mit seinen CVJM-Freunden Ulrich Iseke, Peter Wieners und Hans-Günther Toetemeyer die Idee, sich für ihre Gruppenfahrten die Sammlung gängiger Volkslieder und geistlicher Gesänge selbst zusammenzustellen, an der es so kurz nach der Nazi-Zeit fehlte. Der CVJM-Vorstand stellte sich anfangs quer, finanzierte dann aber doch die Herstellung von zunächst 500 Exemplaren. Die brachte der Drucker aus dem oberbergischen Waldbröl eigenhändig mit dem Fahrrad ins Zeltlager im Westerwald. Als die Büchlein kurz darauf auch in „Jugendsonderzügen“ Richtung Süden für 50 Pfennig das Stück an den Mann gebracht wurden, war die rasante Verbreitung der Mundorgel nicht mehr aufzuhalten. 1964 wurde für das Buch, dessen Namen an den ehemaligen CVJM-Kreisvorsitzenden Horst Mundt erinnern soll, ein eigener Verlag gegründet. Noch immer werden nach dessen Angaben pro Jahr bis zu 50 000 Exemplare verkauft.

„Ernsthaftes und Fröhliches sollen im Einklang stehen“, charakterisiert Irene Corbach, die für ihren verstorbenen Mann heute als Mitherausgeberin fungiert, die Liedauswahl. 132 Texte enthielt die erste Ausgabe, heute sind es knapp 280, seit 1964 gibt's auch eine Ausgabe mit Noten. In den 60er Jahren wurde das Repertoire unter anderem um Beatles-Hits und Gospels erweitert, in den 70ern kamen die Liedermacher zu Ehren (etwa Degenhardts „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“), englisches und französisches Liedgut fand seinen Platz. „Die Herausgeber haben dem Volk aufs Maul geschaut“, nennt Corbach ein Auswahlkriterium. „Was auf Katholiken- und Kirchentagen gesungen wurde oder im Radio lief, kam für die Mundorgel in Frage.“

Bei aller Begeisterung für das vielfältige Liedgut mussten die Mundorgel-Macher auch kräftige Kritik einstecken. Für das Lied vom „armen Dorfschulmeisterlein“ aus dem Schwabenland etwa, der die Buben übern Stuhl legt, dazu maßlos frisst und säuft. Die bayerischen Lehrergewerkschaften schäumten, sahen die Autorität der Pädagogen untergraben. Das Lied verschwand kurzzeitig aus der Mundorgel, ist aber heute wieder drin: Nummer 264.

Einige Änderungen haben die Herausgeber selbst vorgenommen: In „Ein Mann, der sich Kolumbus nannt“ beispielsweise werden die südamerikanischen „Wilden“ in der neuesten Ausgabe (2001) durch „Inkas“ ersetzt. Allzu kämpferisch anmutende Lieder wurden ganz aus dem Liederbuch verbannt, für das der bekannte Theaterintendant Jürgen Flimm die Illustrationen geliefert hat. Dafür kehrten andere Songs in der jüngsten Ausgabe, die zahlreiche neue Erklärungen zur Entstehungsgeschichte der Lieder enthält, wieder zurück. Bewegungslieder wie „Ein kleiner Matrose“ etwa, oder „Als die Römer frech geworden“. Und es wurden neue Stücke integriert: Der Anti-Atomkraft-Song „Schließen Sie die Türen“, das Heine-Lied „Mein Kind, wir waren Kinder“ - und die Nationalhymne.

Die Mundorgel kostet in der Textfassung drei, mit Text und Noten 8,50 Euro.

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