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Ausflug ins FreibadWer traut sich vom Turm zu springen?

Lesezeit 3 Minuten
Noch einmal beten und runter!

Noch einmal beten und runter!

Die Sonne brennt erbarmungslos nieder auf die Zuschauertribüne am Sprungbecken im Stadionbad. Es ist heiß, es ist voll – es ist endlich Freibadsaison in Köln. Am Zehner stehen die Wagemutigen Schlange auf der Treppe zum Sprungturm. Von unten sieht alles ganz logisch aus. Seitengeländer loslassen, zwei Schritte nach vorne. Zehen an den Betonrand pressen. Absprung.

Zwei Arme rudern links und rechts durch die Luft. Die Flugphase wirkt dennoch halbwegs kontrolliert. Eine gewaltige Wasserfontäne im gleißenden Sonnenlicht. Dieser Springer ist schon mal unfallfrei im Becken gelandet. Er taucht auf, krault zum Rand. Die Augen blinzeln aus dem Türkisblau von Wasser und Kacheloptik. Als wollten sie sagen: Seht alle her. Was für ein Kick.

Wer einmal ganz oben gestanden hat, der weiß, wie hoch zehn Meter wirken. Alles eine Frage des Standortes. Die Schwierigkeit ist: Kneifen gilt dann nicht mehr. Es sei denn, man murmelt beiläufig vor sich hin: „Ich wollte nur mal kurz schauen, ob der Sowieso schon dort hinten auf der Liegewiese ist...“ Lässt den Blick demonstrativ in die Ferne schweifen – und wendet sich halbwegs gemessenen Schrittes wieder ab Richtung Treppe.

Profis aus Köln

Turmspringen. Die meisten von uns haben das seit der siebten Klasse nicht mehr gemacht. Anders Jana-Lisa Rother (15) und Florian Krystofiak (21). Wenn im Leistungszentrum an der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) die Trainingseinheiten im Kunst- und Turmspringen stattfinden, dann sorgen diese beiden regelmäßig für Nervenkitzel. Die Kölner Talente sind spitze in Nordrhein-Westfalen und Deutschland. Jana-Lisa holte zuletzt bei den Deutschen Jugendmeisterschaften gleich mehrere Meistertitel. Vom Einmeter- und Dreimeter-Brett kämpfte sie gegen Olympioniken, Europa- und Weltmeisterschaftsteilnehmerinnen und wurde am Ende Dritte. Sie springt seit einem Jahr im Perspektivkader des Deutschen Schwimmverbandes.

Krystofiak gehört zu den Besten im Land unter den Männern: Bei den Westdeutschen Meisterschaften holte er zuletzt Bronze vom Einer und Dreier. „Den eigenen Schweinehund überwinden“, nennt Florian Krystofiak das und setzt zum Kopfsprung rückwärts an – sein Lieblingssprung. Auch er hat schon Sternchen gesehen nach einem verpatzten Absprung und kassierte blaue Flecken. „Mit der Zeit bekommt man ein Gefühl dafür, wo genau man sich in der Luft befindet.“ Erst den Salto bis zur Hälfte drehen, dann die Schraube einleiten, kommentiert die Trainerin von der Tribüne aus. „Die Kunst ist, die eigene Angst auszublenden“, sagt Edith Wicharz, Sprungtrainerin für den Nachwuchs der Telekom-Post-Sportgemeinschaft Köln (TPSK).

90 Sprünge pro Trainingseinheit

Also zweieinhalbmal vorwärts gedreht vom Zehner mit ganzer Schraube. Raus aus dem Becken. Dann Auerbach rückwärts vom Einer, sauber eingetaucht. Bis zu 90 solcher Sprünge absolvieren Spitzensportler wie Jana-Lisa und Florian in einer Trainingsstunde. „Die Häufigkeit bringt die Routine“, sagt Jana-Lisa Rother ungerührt: „Dann automatisieren sich die Abläufe.“ Nur noch zwei Vereine in der Region bieten die Sportart Kunst- und Turmspringen an. Der Standort Köln ist wegen seiner erfolgreichen Schützlinge dennoch bundesweit beachtet.

Viele Menschen jenseits des Schulalters würden freiwillig kaum von einem hohen Brett ins Wasser hechten. Das hat Gründe. Das Risiko, mit dem Bauch zu landen, vor dem Absprung zu stolpern oder mit dem Kopf gegen die Kante zu knallen, erscheint so hoch, dass sie es lieber lassen. Aus zehn Metern ins Wasser, ohne sich vorher stundenlang im Internet über die richtige Technik oder geeignete Schutzmechanismen informiert zu haben, das machen nur Kinder.

So ein Sprung ins kühle Nass ist für manchen womöglich ein Sprung zurück in die Kindheit. Ein Plädoyer dafür, noch mal jung sein zu dürfen. Einfach fallen lassen. Ohne den Ballast, den die Vernunftgesteuerten mit sich herumtragen. Also, nicht denken, weiterklettern. Herzrasen ignorieren. Dann springen. Adrenalin. Landung. Auftauchen. Wasser aus der Nase prusten. Geschafft.

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