Ausflugstipp EselwanderungWegbegleiter mit langen Ohren

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Esel entschleunigen Kinder und Erwachsene gleichermaßen...

Esel entschleunigen Kinder und Erwachsene gleichermaßen...

Iaaaaaaahhh – herzzerreißend schallt Urmels Ruf über die Wiesen. Die Vorderhufe fest in den Boden gestemmt steht der große Esel mit den zotteligen Teddy-Ohren auf dem schmalen Pfad, der an seiner Weide entlang in den Wald führt. Von jenseits des Zaunes beobachten seine Artgenossen ihn und seine menschlichen Gefährten genau. „So lange er die anderen noch im Blick hat, kommt er nicht so gut in Tritt“ erklärt Martin Görlitz, der eine buntgewürfelte Truppe im Schlepptau hat – und dazu vier Esel, darunter Poitou-Eselin Urmel, die es gar nicht so toll findet, ihre Eselfreunde zurückzulassen.

Poitou ist eine Großesel-Rasse aus Frankreich. Wer Esel bisher nur als kleinen grauen Bruder der Pferde kennt, wird auf dem Eselgestüt Odins Mühle im rheinland-pfälzischen Bornich eines Besseren belehrt. Hier teilen sich die pferdegroßen zottelig-dunkelbraunen Poitous aus Frankreich, kleine weiße Barockesel aus Österreich und einige graue Esel aus Rumänien die weitläufigen Wiesen, die das Eselgestüt von Sylvia Morgenstern und Friedrich Sauerwein umgeben.

Region Mitteltrhein

Das Gestüt liegt in der Region Mittelrhein inmitten einer sanften Hügellandschaft inklusive Bächlein, das sich glucksend durch die Postkarten-Idylle mäandert. Die Loreley und der Rheinsteig sind fußläufig in 30 Minuten erreichbar, die nächste Stadt, Bornich, ist etwa sieben Kilometer entfernt.

Odins Mühle ist ein Traum für Großstadtflüchter oder Filmemacher, die eine Kulisse für einen Mittelalterfilm suchen – oder Esel.

Etwa zwei Dutzend von ihnen leben hier bei Morgenstern und Sauerwein. Vor 20 Jahren kaufte das Paar die Mühle, restaurierte sie liebevoll – das Backhaus ist ein Mini-Ferienhaus für zwei Personen – und widmete sich der Landwirtschaft. Und mit besonderer Zuwendung den Eseln: „Esel waren schon immer mein Hobby, das ich dann irgendwann zum Beruf gemacht habe,“ sagt die ehemalige Sonderschullehrerin.

Bei den Bornicher Esel-Touren kommt üblicherweise ein Esel auf ein bis drei Erwachsene. Ein orts- und eselkundiger Führer begleitet die Gruppe. Preise und Termine nach individueller Absprache.

Sylvia Morgenstern, Odins Mühle, 56348 Bornich ☎ 02 61/2 91 98 94 www.slowtrekking.de

Morgenstern züchtet Esel, die in ganz Europa verkauft werden. Immer öfter verleiht sie sie aber auch zum Wandern. „Mit einem Esel durch die Natur zu streifen, ist ein besonderes Erlebnis“, sagt Martin Görlitz. Der Unternehmer aus Koblenz verfiel dem Eselwandern während eines Frankreich-Urlaubs.

Unterwegs mit Familie und Freunden

Das war vor zehn Jahren. Seitdem er das Eselgestüt von Sylvia Morgenstern entdeckte, suchte er den Kontakt und kam immer öfter mit Familie und Freunden her. Diesmal machen sich vier Erwachsene, zwei Teenager und ein Vierjähriger auf den Weg. Jonathan und Sebastian, beide zwölf Jahre alt, führen die Barockesel Delilah und Malve. Görlitz selber versucht derweil, Urmel zum Weiterwandern zu bewegen, unterstützt vom vierjährigen Frederik, der es mit beharrlichem Zerren am Führstrick probiert.

Urmel gibt sich unbeeindruckt, erst als die beiden weißen Esel sie überholen, überlegt sie es sich anders und folgt ihnen. Als die Gruppe den Wald erreicht geht es zügiger voran, die Esel lassen sich bereitwillig Richtung Loreley führen. Auf halber Strecke gibt es eine Pause, bei der Urmels geräumige Satteltaschen ausgepackt werden. Wer Esel dabei hat, muss seinen Proviant nicht selber tragen. Davon profitiert kurze Zeit später auch der kleinste Wanderer der Gruppe: Frederik darf auf Urmels Rücken Platz nehmen, nachdem die Schlappheit tatsächlich größer ist als die Höhenangst. Dabei ist der vierbeinige Begleiter weit mehr als ein Packesel, Die Tiere geben den Takt vor, ihre Bedürfnisse werden genauso ernst genommen, wie die der zweibeinigen Wanderer.

Slowtrekking

„Dadurch, dass man sich an das Tempo der Tiere anpassen, immer wieder stehen bleiben muss, ist der Wanderer gezwungen, sich weniger auf sich selbst, sondern auf Esel und Natur zu konzentrieren“, sagt Görlitz. „Das entspannt und macht den Kopf frei“. Slowtrekking nennt er deshalb das Wandern mit Eseln, das er gern einem breiteren Publikum nahe bringen möchte. Besonders gut vorstellen kann er sich als Eselwanderer Väter und Söhne, die gemeinsam einen „Männertag“ erleben wollen, Pilger, die mehrere Tage von Unterkunft zu Unterkunft wandern, Manager und Unternehmer, die ihre Führungsqualitäten verbessern wollen. Manager? „Versuchen Sie mal, einem Esel Ihren Willen aufzuzwingen. Esel halten den Menschen den Spiegel vor “ sagt Sylvia Morgenstern. Dadurch sind die Esel ideale Coaching-Partner für Führungskräfte.

Als sich die Gruppe nach vier Stunden dem heimatlichen Gestüt nähert, beschleunigt sich der Eseltrott merklich. Stalldunst. Mit einem vielstimmigen Eselchor werden die abtrünnigen Vierbeiner begrüßt. Am Ende sind Esel und Mensch sich doch sehr ähnlich: Nach-Hausekommen ist immer am schönsten.

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