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Lundahl & Seitl in BonnFaszinierende Kunstreise durch virtuelle Erinnerungen

Lesezeit 3 Minuten
New Originals 6_Foto David Ertl

Besucherinnen versuchen sich in neien Kunsterfahrungsdimensionen in Bonn.

„Du hörst das Seehaus-Gemälde“, ploppt es auf dem Bildschirm auf, und tatsächlich  quillt  dann gleich das Meeresrauschen an unser Ohr. Ein geheimnisvoller „Sammler“ navigiert den „Besucher“ via   Textnachrichten auf dem Smartphone durch die Ausstellung  – gerade stehen wir  vor Paul Adolf Seehaus’  nächtlichem „Leuchtturm mit rotierenden Strahlen“ – und spielt  zu jedem Werk eine kleine Komposition aus Geräuschen auf unsere Kopfhörer. 

Während die Wellen sanft an der Küste zerbrechen, nähern sich die Schritte eines anderen „Besuchers“, und  dann fragt der „Sammler“ wieder via Smartphone nach: „Hörst du den Klang des Mondes?“

Schwedisches Künstlerduo Christer Lundahl und Martina Seitl

Im Kunstmuseum Bonn lässt das schwedische Künstlerduo Christer Lundahl und Martina Seitl die Tradition des Spaziergangs mit Künstler wieder aufleben, wenn auch in multimedialer Form. Beide haben ein knappes Dutzend Werke aus der hauseigenen Sammlung in einen Saal gehängt, dazu einen fiktiven Dialog geschrieben und zu jedem Werk eine eigene Klangcollage  komponiert: Durch Max Ernsts „Grätenwald“ fegt ein magnetischer Sturm, bei Stephan Hubers  Gebirgsmodellen schmelzen gurgelnd die Gletscher ab, und vor Hubers Landkarte einer „Geografie der Liebe“ schlägt  das Herz  wie verrückt im Leib.

Multimediale Reise

Aber das ist nur das Vorspiel, „bald wird alles Sinn ergeben“, verspricht der Sammler per Textnachricht und lotst uns zu einer verborgenen Tür. Hinter dieser sollen wir zu den Kopfhörern noch eine blickdichte Brille aufsetzen und den Smartphone-Bildschirm in eine Tasche vor unseren Augen stecken. 

Es ist ein Virtual-Reality-Aufsatz, doch betreten wir mit ihm keine andere Welt, sondern holen die Bilder der Ausstellung noch einmal zurück – oder zumindest will uns die Stimme in unserem Ohr dazu animieren. Während wir uns, ein dezentes Farbenspiel vor Augen, blind vorantasten und die Geräusche aus dem Vorraum wiederkehren hören, erinnern wir uns an die Aufforderung, uns alle Werke ganz genau einzuprägen.

Erinnerungen sind stets subjektiv

Und jetzt, stellt sich heraus, geht es darum, inwiefern wir uns die gerade gesehenen Kunstwerke vergegenwärtigen können und welche inneren Bilder wir von ihnen mit nach Hause nehmen. Oder anders gesagt: Lundahl & Seitl bringen uns die Erkenntnis nahe, dass  Erinnerungen stets subjektiv und durch Umwelteinflüsse gefärbt und damit auch nur eine andere Form von virtueller Realität sind.

Meditationsübungen im Museum

Das klingt komplizierter, als sich dieses Kunsterlebnis  anfühlt. Eine beruhigende Stimme sagt  „Du bist im Berg“, „Du bist in deinem Körper“, das Ganze hat etwas von einer Meditationsübung oder auch – ausreichende Besucherzahlen vorausgesetzt – von   Pogo-Tanz in Superzeitlupe.  Einmal wird man ermuntert, sich die eigene Hand vor die Augen zu halten: „Siehst du die Schatten deiner Hand?“, und tatsächlich bildet man sich beinahe ein, durch den    Lichtschein vor  den Augen  hindurch etwas zu erkennen. Eine Neigung zu psychotischen Schüben wäre jetzt sicher hilfreich, um das Erfahrungspotenzial der Ausstellung voll ausschöpfen zu können. Aber auch so ist es ein Erlebnis, das man nicht missen möchte.

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