Drachensteigen lassenFlugmanöver hart am Wind

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Schöner Anblick: Ein Drache fliegt vor der Severinsbrücke. (Bild: Stefan Worring)

Schöner Anblick: Ein Drache fliegt vor der Severinsbrücke. (Bild: Stefan Worring)

"Wind aus Nord-Nordwest" ruft Karl-Heinz Gißelbach seinem Freund im orangefarbenen T-Shirt zu. "Lange Leine", antwortet der. Ich stehe ziemlich verdutzt daneben, einerseits, weil ich an diesem sonnigen und warmen Altweibersommer-Tag nicht den Hauch eines Windchens spüre, andererseits, weil ich überhaupt keine Ahnung habe, was nun eine lange Leine mit der Windrichtung zu tun haben soll. Gut, dass Gißelbach mehr weiß und einem Banausen wie mir gerne erklärt, worauf es beim "Sport-Kiten" ankommt.

Drachen steigen lassen - das ist eins der Dinge, an die ich mich nur aus meiner Kindergartenzeit erinnere. Ein paar Holzstäbchen, etwas Leim, ein großer Bogen buntes Papier und eine lange Kordel - fertig war der Drachen, der nicht einmal seinen Jungfernflug überlebt hat. Den meisten Deutschen geht es genauso: "Drachen steigen lassen ist ein Kindersport, zumindest hierzulande", sagt der Mann in orange, der sich mittlerweile zu Gißelbach und mir gesellt hat und für den erst das englische "Kiten" den Spaß zum Sport macht. Dieser Herr heißt Peter Walter Maternus und ist Sport-Kiter, Kite-Konstrukteur und ein Experte seines Fachs. "In den USA und auch in Frankreich ist Kiten ein anerkannter Sport, hier sind wir noch weit davon entfernt."

Elegante Flugmanöver

Wie viele verschiedene Drachentypen gibt es eigentlich? Gißelbach zählt auf: "Es gibt die einfachen Einleiner, die wir aus den Spielwarenläden und Discountern kennen und die wir im Bastelunterricht selbst gemacht haben. Daneben gibt es aber auch noch zahlreiche Lenkdrachen-Typen. Einige eignen sich besonders gut für elegante Flugmanöver, manche sind in der Luft besonders beweglich, und wieder andere sind extrem schnell. Darüber hinaus gibt es natürlich auch noch Schirme und Matten, mit denen man sich zum Beispiel auf einem Surfbrett über das Meer ziehen lassen kann."

Teure Lenkdrachen können bis 600 Euro kosten

Für einen Einsteiger-Lenkdrachen sollte man rund 60 Euro investieren, nach oben hin gibt es keine Grenzen. Teure Lenkdrachen können laut Gißelbach schon mal 500 bis 600 Euro kosten. "Bei Kites ist das wie bei Autos, die Palette reicht vom Trabbi bis zur Luxuskarosse", erklärt er. Ich wäre gern ein echter Kiter. Bislang würde ich mich mit meinem Einsteigerlenkdrachen für 60 Euro auf den Poller Wiesen aber wohl noch blamieren. "Kein Problem!", versichern mir die beiden. "Wir, die "PoWie Kiter", sind das ganze Jahr über jedes Wochenende auf den Poller Wiesen."

Wer sich in der Leine verheddert hat, könne einfach vorbei kommen und Fragen stellen. Und wer noch keinen eigenen Drachen hat, könne sich auch gern mal einen Lenkdrachen zum Ausprobieren ausleihen. "Wir sind kein Verein - wir sind Gleichgesinnte. Kiter sind wie Camper. Wir freuen uns über jeden, der Lust hat, mitzumachen!"

Und dann zeigen mir die beiden Experten noch, dass man mit dem richtigen Kite selbst ohne Wind beeindruckende Figuren in den Himmel malen kann. Die sogenannten Leichtwind-Drachen sind nämlich so leicht, dass ein minimaler Luftstrom genügt, um sie empor steigen zu lassen.

Mit Zigarette Windrichtung testen

Maternus zündet sich eine Zigarette an, um die Windrichtung zu testen. Fast senkrecht steigt der Qualm in die Luft - aber eben nur fast. Jetzt weiß er, welches Manöver er mir zeigen kann. Sein selbst konstruierter "Schiller-Drachen", benannt nach einem kürzlich verstorbenen PoWie Kiter, steht kopfüber in der Luft, die Nase zum Piloten gerichtet (so nennen sich die Kiter selbst). "Ein Fade", erklärt Maternus, "das ist ein Parade-Kunststück."

Zum Ende unseres Gesprächs hält mir Gißelbach dann die Leine seines Kites entgegen. Angesichts eines Kaufpreises von etwa 250 Euro und der Erfahrungen aus meiner Kindheit ist der Respekt vor dem Drachen aber zu groß, um mich schon als Pilot zu versuchen. Erstmal beschränke ich mich darauf, die Manöver der Lenkdrachenpiloten zu beobachten. Aber demnächst versuche ich das Kiten auch alleine. Wenn der Wind über die Poller Wiesen fegt und an der Drachenfolie rüttelt. Dann gebe ich ihm die lange Leine.

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