Silicon ValleyHier wird Technologie-Geschichte geschrieben

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In dieser Garage im kalifornischen Los Altos begann die Erfolgsgeschichte von Apple.

In dieser Garage im kalifornischen Los Altos begann die Erfolgsgeschichte von Apple.

Das einzig Bemerkenswerte an dem Haus ist, dass es nichts Bemerkenswertes hat. Ein weißer Bungalow, eher praktisch als schön, davor ein kurz getrimmter Rasen. Die Garage nimmt ein Drittel des Gebäudes ein. Sie ist der eigentliche Grund, warum immer wieder Busse vorbeifahren, ganz langsam. Denn etwas Besonderes ist doch an diesem Haus, auch wenn man es nicht sieht: Steve Jobs und Steve Wozniak haben in der Garage 1976 den ersten Apple-Computer gebaut. Manchmal hält ein Bus an, damit Touristen herausspringen und ein Foto vom verschlossenen Garagentor machen können, ganz kurz, denn eigentlich ist das verboten. Die Bewohner fühlen sich belästigt. Eine alte Dame sitzt auf der Veranda des Nachbarhauses, blickt grimmig über ihre Zeitung, steht auf und geht hinein.

Das Haus im kalifornischen Los Altos, in dem Steve Jobs aufgewachsen ist, steht heute als Geburtsstätte von Apple unter Denkmalschutz. In zehn Jahren habe sich Apple von zwei Typen in einer Garage zu einem Zwei-Milliarden-Dollar-Unternehmen entwickelt, sagte Jobs einmal. In diesem schmucklosen Anwesen legten Jobs und Wozniak den Grundstein für eine technische Revolution und begründeten einen Kult.

Logische Folge

Das iPhone, das Jobs rund 30 Jahre nach der Gründung Apples vorgestellt hat, steht für schlichte Eleganz und zeitloses Design. Vielleicht gar kein Widerspruch, sondern logische Folge. „Die Computer-Revolution wurde hier in dieser Umwelt geboren“, sagt Tourguide Sharon Traeger, die seit Jahren private Gruppen durch das Silicon Valley führt und ihnen von seiner Geschichte erzählt. Sie ist blond, gepflegt, gut gekleidet. Und sieht so aus, als mache sie das mit der Stadtführung nur zu ihrem Privatvergnügen. Häuser wie das der Familie Jobs gibt es viele in der Nachbarschaft. Die Bungalows, die Rasenflächen, die Straßen, alles wiederholt sich.

Silicon Valley

Santa Clara County hieß die Region früher. Der Name Silicon Valley geht auf den Journalisten Don Hoefler zurück, der einen Artikel über die Halbleiterindustrie in den USA geschrieben hatte. Der Name „Silicon“ (Silizium, ein für die modernen Technologien benötigter Halbleiter) bezieht sich auf die hohe Konzentration an Unternehmen in der Gegend, die in der Halbleiter- und Computerindustrie tätig sind.

Landschaftlich und städtebaulich ist das Silicon Valley eher uninteressant. Im Sommer sind die Hügel karg und braun von verdorrtem Gras, erst in den Bergen vor Santa Cruz wird es grün. Touristen steuern meist daran vorbei ins nahe gelegene San Francisco. Für Technikfans aber gibt es kaum einen interessanteren Ort. Was macht das Silicon Valley zu einem Landstrich, an dem Garagen zu Ideenlaboren werden? Nicht nur Apple, auch Google kommt sozusagen aus einer Garage. Vom Valley aus wurde das Zusammenleben der Menschen auf eine neue Ebene gehievt, die Art, wie sie miteinander kommunizieren, wie sich Nachrichten in der Welt verbreiten, vollkommen verändert. Gibt es ein Energiefeld, das diesen Ort umgibt? Spürt man es? Das versucht herauszufinden, wer hier auf Spurensuche geht.

Hewlett Packard, Facebook, Apple, Yahoo

Der Bus, der die bekanntesten Firmensitze ansteuert, scheint ständig zu halten: Hewlett Packard, Facebook, Apple, Yahoo – um nur einige zu nennen – sie alle liegen hier für amerikanische Verhältnisse sehr nah beieinander. Im Computer History Museum in Mountain View wird ihre Geschichte erzählt, die ersten monströsen Computer können dort bewundert werden. Im Apple-Campus am Infinite-Loop gibt es einen Merchandise-Shop mit völlig überteuerten Shirts und Tassen. Vor dem Google-Campus in Cupertino stehen wie auf einem Spielplatz große Androidfiguren, die Namenspate für verschiedene Versionen des Androidsystems sind oder waren: Lollipop oder Cupcake etwa. Überall radeln Menschen auf bunten Google-Fahrrädern vorbei, die Mitarbeitern kostenlos zur Verfügung stehen und die hier und da unabgeschlossen an einer Wand lehnen. Elektro-Luxusautos gehören natürlich auch zum Bild, schließlich sitzt auch Tesla im Valley. Mit den Shuttle-Bussen der Stanford-Universität kann jeder kostenlos umher fahren. Obwohl sich im Silicon Valley so viel Geld konzentriert, läuft kaum jemand im Anzug rum, sondern in T-Shirt und Turnschuhen wie die großen Vorbilder.

Das Haus in Palo Alto, in dem Jobs bis zuletzt lebte. Seine Frau wohnt noch heute dort.

Das Haus in Palo Alto, in dem Jobs bis zuletzt lebte. Seine Frau wohnt noch heute dort.

Die Schlichtheit der Architektur ist vielleicht mehr als Pragmatismus. Sie ist Ausdruck dieser Idee von Gleichheit. Nicht weit von seinem Elternhaus steht in Palo Alto das Haus, in dem Steve Jobs bis zu seinem Krebstod 2011 lebte und in dem heute noch seine Frau wohnt. Es ist im englischen Cottagestil gebaut, umgeben von viel Grün. Zweifellos schön. Aber nicht großartig. Keine Festung auf einem Hügel, von hohen Mauern umgeben. Ein nahbares Haus wie viele andere in der Gegend, nicht mehr als ein kleiner Holzzaun umgrenzt das Grundstück. Ohne den Wachmann käme man nicht auf die Idee, dass daran etwas Besonderes ist. „A lovely neighbourhood“ – eine wundervolle Nachbarschaft, schwärmt Sharon Traeger, „but very expensive.“ Die Immobilienpreise sind natürlich gigantisch hoch in der Gegend. Ansehen tut man ihr das ebenso wenig wie man dem ewig Turnschuh und Jeans tragenden Steve Jobs selbst seinen Reichtum und seine Macht ansah. Oder Facebook-Gründer Marc Zuckerberg. Alles ist erstaunlich unaufgeregt. Das Zentrum des kleines Städtchens Palo Alto sieht aus wie eine Fußgängerzone in einem Urlaubsörtchen, mit flachen Gebäuden. Dort hatte Facebook seinen ersten Firmenstandort in einer Art Ladenlokal.

Die ersten Apple-Computer

Die ersten Apple-Computer

Steve Jobs und Steve Wozniak träumten in den 70ern davon, einen Computer zu besitzen, hätten sich aber nie einen leisten können. Die damals produzierten Großrechner waren großen Firmen vorbehalten. Also beschlossen die beiden Studienabbrecher und Mitglieder eines Computerclubs, einen Rechner zu bauen, den jeder zu Hause benutzen kann – einen Personal-Computer. Damals wurden sie für diese Idee belächelt. Doch mit dem ersten Macintosh ist ihre Vision 1984 wahr geworden. Zum ersten Mal konnte wirklich jeder einen Computer benutzen, weil man keine Kommandos dafür kennen musste, sondern ihn per Mausklick bedienen konnte.

Von Norman Foster entworfen

Den Apple-Campus 2, der heute kurz vor seiner Fertigstellung steht, sieht man schon beim Landeanflug auf San José, die Hauptstadt des Valleys. Von der Bescheidenheit der Anfänge ist hier nichts mehr zu spüren. Bei seinem letzten öffentlichen Auftritt 2011 stellte Jobs sein neues Projekt vor: einen gigantischen Gebäudering mit einem Außenumfang von 1,6 Kilometern und einer verschwenderisch großen, kreisförmigen Innenfläche, die mit Bäumen begrünt werden soll. Vier Etagen mit 260000 Quadratmetern Bürofläche bietet das Gebäude, das Stararchitekt Norman Foster entworfen hat. Es sieht aus, als wäre ein Ufo im Valley gelandet.

Der Apple-Campus II steht kurz vor seiner Fertigstellung.

Der Apple-Campus II steht kurz vor seiner Fertigstellung.

Auf den Dächern sind Solarzellen angebracht, die abgerundeten Außenwände sind aus Glas, Innenwände gibt es kaum. Nichts soll den Austausch der mehr als 10000 Mitarbeiter stören, die dort Platz finden. Doch nur die Elite darf in das rund fünf Milliarden Dollar teure Gebäude einziehen. Die Zentrale am Infinite Loop in Cupertino mit 25000 Mitarbeitern bleibt erhalten. Allein rund 70 Millionen Dollar soll das Wellnesscenter für die Angestellten gekostet haben. Arbeiten im Silicon Valley ist ein Traum, könnte man meinen: Fitnessstudio, Essen und Getränke sowie eine Wohnung sind bei vielen Firmen inklusive, vom großzügigen Gehalt geht für Lebensmittel und Wohnen also schon nichts mehr ab. Ob aber noch viel Freizeit bleibt, um das Geld auszugeben?

„Gäbe es womöglich gar kein iPhone ohne LSD?“

Tourguide Sharon Traeger erzählt unterwegs ein paar Anekdoten. Zum Beispiel, dass Apples intelligentes Assistentensystem „Siri“ seinen Namen vom SRI International (Standford Research Institute) hat, wo es auch entwickelt wurde. Gedacht war Siri nämlich eigentlich für das Militär. Mehr als 20 Millionen Dollar hat die Pentagon-Forschungseinheit Darpa dafür ausgegeben. Gekauft wurde es schließlich von Apple. Traeger weiß auch zu berichten, dass Steve Jobs überzeugt davon war, er hätte seine besten Ideen der Droge LSD zu verdanken. Er habe sie nicht genommen, um Drogen zu nehmen. Sondern vielmehr, um damit zu experimentieren, welche Welten sie ihm eröffnen konnte. Gäbe es womöglich gar kein iPhone ohne LSD?

Ein Testgerät für Toningenieure

Wer dem Geist des Valleys auf den Grund gehen will, macht auch Stopp an dessen Geburtsstätte. Und die ist leicht zu übersehen. Nur eine Bronzetafel weist darauf hin, dass in einem Häuschen in Palo Alto, ebenfalls eins von vielen, William Hewlett und David Packard ihr erstes Produkt entwickelten – natürlich in der Garage. Es war ein Audio-Oszillator – ein Testgerät für Toningenieure, von dem sie später acht Stück an die Walt-Disney-Studios verkauft haben, die es für den Trickfilm „Fantasia“ verwendeten. Durch ein Gitter kann man auf das Garagenhäuschen mit den grünen Türen sehen – quasi der erste Firmenstandort des Computergiganten Hewlett-Packard. Es ist zum Symbol dafür geworden, dass es vor allem Erfindergeist, Mut, Risikofreude und Entschlossenheit braucht, um aus eigener Kraft Großes zu schaffen. Der große amerikanische Traum. Doch auch im Silicon Valley geht es nicht ohne finanzielle Mittel und die richtigen Kontakte.

Apple-Campus in Cupertino

Apple-Campus in Cupertino

Sharon Traeger versucht zu erklären, was das Silicon Valley zu dem Ort machte, der Technologie-Geschichte schrieb. Zunächst einmal war da das Umfeld, sagt sie: „Die 1891 gegründete Universität Stanford, das Militär und die Industrie schafften optimale Verkehrsanbindung, brachten Geld und kreative Köpfe in die Gegend.“ Doch wäre Frederick Terman nicht gewesen, dann wäre das Silicon Valley heute vermutlich nicht das, was es ist. Der Professor der Stanford-Uni ermutigte einerseits seine Studenten, eigene Unternehmen zu gründen, und verstand es andererseits, den Staat als Auftrags- und Geldgeber für sie zu gewinnen. Unter seinen Studenten waren auch William Hewlett und David Packard. Terman erkannte ihr Potenzial, förderte sie und ermutigte sie, selbst etwas auf die Beine zu stellen, statt sich und ihre Ideen an ein Unternehmen zu verkaufen. Ein Erfolg zog den anderen nach sich. „Das ist wie beim großen Goldrausch damals“, erklärt Sharon Traeger. „Die meisten haben damals nicht Geld verdient, weil sie Gold gefunden haben. Sie haben Geld verdient mit den Leuten, die Gold gesucht haben.“ Levi Strauss machte Jeans für die Goldwäscher, andere verkauften Werkzeug oder Getränke. Im Valley sind es Immobilienmakler, die Versicherungsleute, Banker und Anwälte, die der Technologie-Industrie ihren Service bieten.

„Im Valleys gehört es dazu, Risiken einzugehen“, so Sharon Traeger. Innovationen ohne Risiko gibt es nicht, und innovativ zu sein, das ist hier wichtiger als anderswo. „Mit einem normalen Beruf, einem normalen Gehalt machst du niemals so viel Geld“, sagt Traeger und lächelt wissend. „Du musst das Risiko eingehen, in Start-ups zu investieren, und hoffen, dass sie sich gut entwickeln.“ Wer scheitert, sieht nur einen Grund, wieder aufzustehen und weiterzumachen.

Im Silicon Valley wurde der virtuelle Raum erschaffen, der Menschen verschiedener Länder verbindet und einander näherbringt. Über sein Smartphone in der Hosentasche ist der Mensch heute vernetzt mit der ganzen Welt. Eigentlich erstaunlich, dass sich das Valley damit nicht selbst abgeschafft hat. Dass trotzdem noch Menschen von überallher nach hier reisen, um ihre Ideen präsentieren, wenn sie es in der Technologiewelt zu etwas bringen möchten.

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