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Techno-Musik130 Beats, 130 Herzschläge in Köln - Eine Reportage

Lesezeit 13 Minuten
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Hasenbau Technoparty im Arttheater von Lars Hendrix und Fabian Myschi.

Köln – Die verschwitzte Menge jubelt. Das Licht geht an. Es dauert ein paar Sekunden, bis sich die Augen an die grellen Scheinwerfer gewöhnen. Vor wenigen Sekunden zuckten noch schemenhaft Körper durch den Raum. Nun stehen hier rund 300 Menschen. Sie strecken die Arme in die Höhe. Euphorischer Applaus, Pfiffe.

Für einen kurzen Moment ist es plötzlich still. Einundzwanzig, Zweiundzwanzig. Dann setzt der Bass ein. Geschätzte 100 Dezibel hämmernder Techno schallt durch das Artheater in Köln-Ehrenfeld. Die Musik drückt aufs Trommelfell, auf den Magen. Sie vibriert durch den gesamten Körper. Lars Hendrix und Fabian Myschi stehen in diesem Moment unter den Tanzenden. Es ist 4.30 Uhr an einem Samstagmorgen.

Sechseinhalb Stunden zuvor: Lars und Fabian, der von allen nur Fabi genannt wird, erreichen den Club am Ehrenfeldgürtel 127. Sie öffnen zwei Bier, zünden Zigaretten an. Ihre Mienen sind konzentriert. Der Blick auf das Smartphone gerichtet. Plötzlich schaut Fabian auf. Er grinst breit und sagt: „Das wird geil heute.“ Im Hintergrund fummelt ein Tontechniker am DJ-Pult. Sie haben noch zwei Stunden bis die Party beginnt. Ihre Party.

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Techno ist in Köln kein Fremdwort

Einige sagen, hier sei Techno entstanden. Im Studio für elektronische Musik des WDR. Ende der 80er blühte die Szene auf. Doch schon ein paar Jahre später zog es aufstrebende DJs und Veranstalter nach Berlin. Nur wenige blieben hier. Seit ein paar Jahren geht der Trend wieder aus Berlin heraus. In Leipzig, Frankfurt, Hamburg oder München öffnen beeindruckende Clubs. In Bunkern, auf Schrottplätzen oder in Heizkraftwerken. Auch in Köln ist Techno wieder groß.

Abseits der Ringe gibt es heute zahlreiche Clubs, in denen am Wochenende von Freitag bis Sonntag im Viervierteltakt getanzt wird. Internationale Top-DJs spielen in Ehrenfeld, in der Innenstadt, in Deutz. Und auch die Do-It-Yourself-Szene ist riesig. Im Sommer hört man nachts donnernde Bässe im Grüngürtel, in alten Lagerhallen oder unter Rheinbrücken. Illegale Raves. Der Untergrund des Untergrunds sozusagen. Aus diesem Untergrund kommen auch Lars und Fabi.

Der erste Rave

Im Sommer 2016 veranstalteten sie ihren ersten Rave. Damals im Anschluss an ein EM-Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Was Gemeinsames wollten sie auf die Beine stellen. Spaß machen sollte es. Beide lieben Techno. Eine Party lag daher nahe.

Also kauften sie einen Beamer, fragten befreundete DJs. Zum ersten Rave kamen so 40 Leute. Zum zweiten dann schon beinahe 100. Als die Europameisterschaft vorbei war, verlegten sie ihre Partys auf Privatgelände. Mehr und mehr Leute kamen, tanzten im Sommer auf provisorisch eingerichteten Dancefloors. Zu der Musik von DJs, die damals noch keiner kannte.

Jetzt stehen Lars und Fabi im Ehrenfelder Artheater. Einem richtigen Club. Und an der Kasse steht der Name ihrer Partyreihe: „Hasenbau“. In einem halben Jahr haben die beiden Kölner einen rasanten Aufstieg hingelegt. Und das mal ganz nebenbei. Lars studiert Philosophie und Geschichte an der Uni in Köln, Fabi arbeitet als Versicherungskaufmann. 23 Jahre, Versicherungskaufmann und: Partyveranstalter.

Ihnen gefällt das Do-It-Yourself-Gefühl

Zurück ins Artheater. Es ist 22.30 Uhr. Die DJs Schäng und Käpt’n Kreislauf stehen am Mixer. Soundcheck. Unterhalten kann sich jetzt niemand mehr. Zu laut. Fabi und Lars laufen über die leere Tanzfläche. Sie halten Bierkästen in den Händen. Vorbei an der Bar, hinter der die Barfrau gerade Gläser spült. Rein in den Backstage. Fabi lässt die Tür ins Schloss fallen. Die Musik verstummt. Zumindest fast.

Die Vibration der treibenden Bässe, die gerade das Artheater füllen, ist noch zu spüren. Lars und Fabi verschnaufen nicht. Bierkästen abgestellt, Tür auf, Musik laut, raus. Lars rennt eine Treppe runter. Sein Puls scheint im Takt mit der Musik zu sein. 130 Beats, 130 Herzschläge pro Minute.

Im Keller des Gebäudes gibt es noch einen Dancefloor. Etwas kleiner, gemütlicher. Rund zehn Frauen und Männer sitzen auf dem Boden. Sie haben spiegelnde Folie in den Händen, montieren Lampen oder dekorieren Bilderrahmen. Sie alle kennen Lars und Fabi. Manche direkt, manche über Freunde von Freunden. Ihnen gefällt das Konzept, das Do-It-Yourself-Gefühl der Hasenbau-Partys. Deswegen sind sie heute gekommen und helfen beim Vorbereiten.

Dancefloor Nummer 3

Lars erkundigt sich, ob alles nach Plan läuft. Kollektives Nicken. Mehr braucht er nicht zu wissen. Treppe wieder rauf und in den Eingangsbereich. Dritter Dancefloor. Ein großer Raum mit großer Bar in der Mitte. An den Seiten Sofas, an der Decke Geweihe. In einer Ecke führt eine kurze Treppe auf ein Podest. Oben drauf eine junge, zierliche Frau hinter einem Tisch mit DJ-Equipment.

Fr. Reichert nennt sie sich, Alba heißt sie wirklich. Sie bereitet sich vor. In wenigen Minuten beginnt der Einlass. Dann kommt es drauf an. Fr. Reichert und ihre Musik werden der allererste Eindruck sein, den die Gäste bekommen. An der Wand hinter ihr klebt ein Sticker. „Apriori“ steht drauf.

Apriori ist ein weiteres Projekt von Lars und Fabi. Ein Label. Ihr eigenes. Die DJs, die von Anfang an beim Hasenbau dabei waren, gehören dazu. Auch für Apriori haben Lars und Fabi große Pläne. Bald zeigt sich das Label im Club Studio 50/80 in Trier. So sollen die DJs bekannter werden. 23 Jahre, Versicherungskaufmann, Partyveranstalter, und: Labelbetreiber.

Hasenbau, 23 Uhr, der Einlass beginnt

Lars und Fabi stehen am Kassenhäuschen. Auch hier sitzen Freunde von ihnen. Die ersten Gäste kommen. Lars und Fabian strahlen, begrüßen sie persönlich. Es sollen die einzigen Gäste bleiben. Vorerst. 23 Uhr ist früh für eine Techno-Party. Heute geht es offiziell bis 8 Uhr. Die meisten kommen erst nach Mitternacht.

Lars steht an der Bar im Eingangsbereich. Bier links, Smartphone rechts. Er zieht den Pullover aus. Schüttelt sich kurz. Jetzt wird es ernst. Ob genug Leute kommen, kann er nicht sagen. Das Artheater ist die Feuerprobe. Die vergangenen Partys haben in kleineren Clubs stattgefunden. Auf Facebook sieht es zumindest gut aus. Über 250 Leute haben angegeben, definitiv zu kommen. 600 sind an der Veranstaltung interessiert.

Pre-Party-Stimmung im Club

Die erste Stunde bleibt es ruhig. Ein paar Gäste kommen, setzen sich auf die roten Sofas im Eingangsbereich. Fr. Reichert ist voll im Einsatz. Sie spielt einen groovigen Track, der die Schultern kreisen lässt. Synthetische Töne schwurbeln über den Drums.

Sie verschwimmen mit den angeregten Gesprächen auf den Sofas. Pre-Party-Stimmung. Als warte man auf den richtigen Moment, aufzuspringen, die Hände in die Luft zu reißen und loszutanzen. Währenddessen steht die junge, zierliche Frau wie eine gottesähnliche Figur über dem Geschehen. Ihr Blick fest auf die Geräte vor ihr gerichtet. Als spiele sie nur für sich.

Plötzlich hüpft ein weißer Hase durch die Eingangstür. Nein, kein echter. Ein junger, kostümierter Mann betritt den Club. In einer Hand hält er eine Karotte. Weiße Hasen bekommen im Hasenbau freien Eintritt. Für Lars und Fabi bedeutet das gute Promo. Für kostümierte Gäste eine günstige Nacht.

Die Idee mit dem Hasenbau hatte Lars. „Er soll den Durchgang in eine bessere Welt bedeuten. Wie bei Alice im Wunderland“, sagt er. Deswegen steht bei den Partys auch ein symbolischer Hasenbau-Eingang in den Clubs. Natürlich selbst gemacht. Eine Metallkonstruktion, behangen mit Stoffen und Tarnnetzen. Die Idee zählt. Aber auch der weiße Hase gehört dazu. Er ist es, der Alice den Weg ins Wunderland zeigt.

Alle verbindet der Beat

Und so ist es auch der junge Mann im Hasenkostüm, der sich als erster auf den großen Dancefloor im Artheater traut. Begleitet von seinen Freunden geht er selbstbewusst zur Tür und drückt die Klinke runter. Mit jedem Zentimeter, den die massive Stahltür aufschwingt, dröhnt lautere, härtere Techno-Musik in den Eingangsbereich.

Köpfe drehen sich interessiert in Richtung der Gruppe, hinter der im nächsten Moment schon wieder die Tür zufällt. Es dauert Augenblicke, bis die Gespräche wieder in Gang kommen.

Zeitsprung: 1 Uhr

Die Strichliste am Kassenhäuschen zeigt 235 Gäste. Der große Raum ist fast voll. Lichter flackern wild umher, Frauen und Männer tanzen. Gemeinsam. Alleine. Für Nicht-Raver muss es seltsam wirken. Diese 200 Menschen, die hier stehen und mit dem Gesicht zum DJ tanzen. Viele ganz für sich. Doch sie alle verbindet etwas. Der Beat. Rhythmisch bewegen sich ihre Körper.

Manche rühren sich kaum vom Fleck. Andere springen umher. Ein Mädchen mit langem, blondem Haar, lediglich mit einem Netzoberteil bekleidet, umfängt einen Mann mit ihren tätowierten Armen. Zusammen bewegen sie sich im Takt hin und her. Eine Techno-Party, wie man sie sich vorstellt.

Hier gibt es Klischee-Raver – mit weiten Hosen und glasigen Augen. Hier gibt es Pärchen – Mittdreißiger, die im Hintergrund tanzen. In einer anderen Ecke springt ein junger Mann mit Rasta-Zöpfen bis zum Po auf und ab. Die Stimmung ist angespannt, aber nicht aggressiv.

Die Konzentration gilt der Musik. Sie wabert durch die wilden Kick-Drums und Snares, die Hi-Hats und Bässe. Mal lauter, mal leiser. Es riecht nach einer Mischung aus Nebelmaschine, Alkohol und Schweiß. Nicht unangenehm. Irgendwie passend.

Bis 10 Uhr tanzt der harte Kern

Lars und Fabi sitzen im Backstage. Auf einer Flagge an der Wand steht „Welcome to Paradise“. Der kleine Raum ist gefüllt mit leeren Bierflaschen, Chipstüten und Jacken. Bislang standen Lars und Fabi unter Strom. Sind durch den Club gehetzt. Haben Menschen begrüßt, Nachrichten auf ihren Smartphones getippt. Mittlerweile ist Jeroen Search da. Er ist der Star des Abends.

Jeroen ist Niederländer und legt in Berlin, in Amsterdam oder auf Ibiza auf. Heute Nacht spielt er im Artheater. Es ist seine zweite Party in Köln. Wie man einen DJ bucht, dass man sich um seine Unterkunft und seinen Transport kümmern muss – all das wussten Lars und Fabi nicht. Do-It-Yourself eben.

In wenigen Minuten beginnt Jeroens Auftritt. Lars und Fabi sitzen nach vorne gebeugt mit ihm zusammen, bereden die letzten Details. Plötzlich springen sie gemeinsam auf. Fabi reibt sich die Hände, als freue er sich, endlich wieder zu der tanzenden Masse hinter der verschlossenen Tür zu stoßen. Jeroens Set ist aufregend.

Er spielt dunklen Techno, wenig Melodien, treibende Bässe, vereinzelt hohe Töne. Den Gästen gefällt es. Wann immer ein guter Track kommt, johlen sie oder applaudieren. Viele tanzen mit geschlossenen Augen, meiden die aufblinkenden Lichter. Sie fokussieren sich ganz auf die Musik. Als wären sie hypnotisiert.

4.20 Uhr

Jeroen ist fast fertig. Fabian war kurz draußen, hat eine Zigarette geraucht. Er kommt rein und Lars läuft auf ihn zu. Er hat gute Nachrichten. Dem Inhaber des Artheaters gefällt die Party. Sie dürfen wieder kommen – ihr großes Ziel. Auf der Hochebene, wo eben noch die zierliche DJane stand, thront nun ein großer, blonder Mann.

Marberg, eigentlich Marius. Er ist ein Freund von Lars und Fabi, gehört ebenfalls zu Apriori. Lars rennt die Stufen zu ihm hoch, klopft ihm auf die Schulter und erzählt ihm die Neuigkeit.

Die Party geht weiter

Die zweite gute Nachricht lässt nicht lange auf sich warten. Die Freunde aus dem Kassenhäuschen wurden mittlerweile abgelöst. Von mehr als 500 Gästen berichten sie, als sie den Eingangsbereich betreten. Irgendwann haben sie den Überblick verloren. Fabi und Lars entspannen erst, als der letzte DJ auf dem Mainfloor auflegt.

Die Nacht ist fast vorbei. Nichts kann mehr schiefgehen. Fabi und Lars tanzen jetzt mit ihren Freunden. Zwischendurch filmen sie mit dem Smartphone den vollen Raum. Als müssten sie diesen Moment festhalten. Ihre Party ist ein Erfolg, damit hätten sie nicht gerechnet.

Um 7 Uhr hämmert der letzte Bass durch den Saal. Sein Nachklang hallt über die Pfiffe und Jubelrufe hinweg. Doch die Party geht weiter. Unten. Acht Stunden Party sind nicht genug. Viele Gäste wirken erschöpft. Doch der Tanz-Drang überwiegt. Sie bewegen sich mechanisch. Die Musik ist langsamer als oben.

Nach und nach leert sich der Hasenbau. Freunde verabschieden sich von Lars und Fabi, holen ihre Jacken an der Garderobe und verschwinden nach draußen. Bis 10 Uhr tanzt der harte Kern in den Samstagmorgen hinein. Die Sonne ist längst aufgegangen.

Draußen spazieren Väter mit ihren Kindern über den Bürgersteig. Vor einem Bäcker steht eine lange Schlange. Samstag um 10 Uhr in Köln-Ehrenfeld.

Interview mit Nieswandt und „Numinos“: Was genau ist elektronische Musik und wie funktioniert sie?

Die DJs und Dozenten für elektronische Musik Hans Nieswandt und „Numinos“ erklären, was elektronische Musik genau ist und wie sie funktioniert.

Im Radio hört man oft Songs von David Guetta, Avicii oder Calvin Harris. Ihre Musik lebt von elektronischen Klängen. Was ist elektronische Musik eigentlich konkret?

Numinos: Eine der wichtigsten Erfindungen für dieses Genre war der Synthesizer. Mit ihm kann man auf elektronische Weise Klänge erzeugen. Elektronische Musik bedeutete früher, dass ein Synthesizer zu hören war. Aber dann kamen immer mehr Geräte dazu. Die Drum-Machine, mit der Percussions elektronisch gespielt werden können, ist da nur ein Beispiel.

Hans Nieswandt: Elektronische Musik im weitesten Sinne gibt es ja  seit Anfang der 50er Jahre, sie ist also nichts Neues. Aber im Laufe der 60er Jahre wurden die Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung größer.

Gibt es einen konkreten Zeitpunkt, der ausschlaggebend für die elektronische Musik von heute war?

Numinos: Das Millennium. Bis zum Jahrtausendwechsel  waren alle Techniken an Geräte geknüpft. Wer sampeln wollte, brauchte einen Sampler. Wer Drums haben wollte, brauchte eine Drum-Machine. Mit dem Millennium war der PC in der Lage, alle Funktionen in einem Gerät zu bündeln.

Nieswandt: Trotzdem muss man auch heute unterscheiden: Es gibt experimentelle elektronische Musik und funktionale elektronische Musik, so nenne ich das jetzt mal. Funktionale elektronische Musik ist für den Dancefloor bestimmt und deswegen im Gegensatz zur experimentellen Musik auch durchaus in schlecht oder gut kategorisierbar. Die Tänzer bestimmen sozusagen die Form.

Naja, die Tanzfläche wird ja vor allem von DJs wie Calvin Harris bestimmt...

Numinos: Es gibt ja nicht nur eine Tanzfläche. Und das ist das Spannende. Dass sich jenseits des Mainstreams ganz viele andere Tanzflächen entwickelt haben. Da passieren dann auch Sachen, die später vom Mainstream zitiert werden.

Nieswandt: Dabei ist aber auch interessant, dass alle ihre Musik mit denselben Geräten machen. Und es hat kaum noch etwas mit Geld zu tun, weil ein MacBook mit einer bestimmten Software ausreicht.

Numinos: Seitdem alle Produktionsmittel im Laptop vereint sein können –  ich sage bewusst „können“, weil man es ja auch noch mit Geräten machen kann –  ist der Schlafzimmer-Produzent Wirklichkeit geworden. Aus dem Schlafzimmer den Nummer-Eins-Hit machen ist schon mehrfach passiert.

Nieswandt: Das hat auch die Industrie verstanden und wirbt jetzt mit dem Versprechen: „Setze deiner Kreativität freien Lauf.“ Damit erreicht man natürlich die Jugendlichen. Leider ist es so auch zu einer Simplifizierung der Musik gekommen.

Die Musik im Radio klingt oft ähnlich oder funktioniert nach ähnlichen Mustern. Als DJs arbeitet ihr  selbst abseits des Mainstreams. Wie entsteht denn letztendlich nun ein elektronisches Musikstück?

Nieswandt: Es gibt eine Menge Wege zu produzieren. Ein elektronisches Stück entsteht nicht, indem  es komponiert wird. Sondern ein Track entwickelt sich aus einer kleinen Idee heraus.  Ein Sound, ein Satz, ein Gerät, das man neu hat. Ich arbeite dann meist mit Loops. Lasse die Sequenz also immer und immer wieder abspielen. Und dann geht es los.

Numinos: Dann wird additiv gearbeitet. Das ist auch das fundamental Unterschiedliche zum klassischen Komponieren am Notenblatt: Dieses Arbeiten im Loop, quasi an einem Takt, der immer wieder zum Anfang springt. Dann füllt man eine Spur mit elektronischen Percussions, dann vielleicht mit Gesang. Und so arbeitet man zunächst einmal vertikal. Während der Komponist linear arbeitet. Der Elektroniker bewegt sich in einer  Schleife. Deswegen funktioniert diese Musik so gut auf der Tanzfläche. Der Tänzer will nicht viel Variation, er will tanzen. Er  will einen Beat, der nicht abbricht. Und damit quasi eine Hypnotik erreichen.

Nieswandt: Ja genau. Hypnotik ist ein gutes Stichwort. Loops sind dafür der beste Weg. Und das ist wirklich interessant, weil es dann natürlich auch einen Unterschied macht, ob man ein Stück im Sitzen anhört oder tanzend auf dem Dancefloor. Variationen, Tempowechsel, alles was bei klassischen Produktionen Qualität ausmacht, ist auf dem Dancefloor tödlich.

Bässe, Tanzen, laute Musik. Mit der Techno-Szene verbinden viele aber noch mehr: Drogen nämlich. Woher kommt das?

Nieswandt: Eigentlich ist fast jede Feierei mit Rauschmitteln verbunden. Mir widerstrebt es immer ein bisschen, Alkohol als etwas anderes als eine Droge zu betrachten. Dass es bei Techno eher um bewusstseinserweiternde Substanzen geht, hängt mit der langen Traditionslinie seit den späten 60er Jahren zusammen. Ich denke aber nicht, dass im Techno anders als im Rest der Konsumgesellschaft Drogen im Gebrauch sind – eher, dass Techno eben Teil der Konsumgesellschaft ist.

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