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Gewalt ist ein Missbrauch der Religion

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Reges Zuschauer-Interesse: Der "Dialog der Religionen" im studio dumont.

Reges Zuschauer-Interesse: Der "Dialog der Religionen" im studio dumont.

Gewalt im Namen Gottes ist ein Missbrauch der Religion, sagen prominente Vertreter von Judentum, Christentum und Islam. Sie räumten im „Trialog der Religionen“, einer Podiumsdiskussion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ im studio dumont, aber die Versuchung ein, religiöse Überzeugungen gewaltsam durchzusetzen. Besonders dann, wenn sich religiöse und politische Macht verbünden. Die Veranstaltung wurde moderiert von Chefredakteur Franz Sommerfeld und Chefkorrespondent Joachim Frank. Wir dokumentieren das Gespräch in Auszügen. Wir dokumentieren das Gespräch in Auszügen. (jf)

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Die Attentäter des 11. September haben sich für ihr Vorgehen auf den Islam berufen. Jetzt hören wir von allen Seiten: „Der Islam hat mit den Terroristen nichts zu tun.“ Macht man es sich mit dieser These nicht zu einfach?

NADEEM ELYAS: Es gibt nicht nur im Islam Extremisten, die sich für Terror und Gewalt auf ihre jeweilige Religion berufen. Aber das geschieht zu Unrecht. Der Islam jedenfalls bietet keine Rechtfertigung für solche Taten.

Obwohl es im Koran die Anweisung gibt, den „Ungläubigen“ - also Nicht-Muslimen - die Köpfe abzuschlagen. Solche Stellen stehen im Widerspruch zu manchen friedfertigen Aussagen.

ELYAS: Im Kontext gelesen, wird man im Koran keine Widersprüche finden. Was Sie zitiert haben, bezieht sich auf den Krieg. Wir haben aber keinen Krieg, den der Islam nur in zwei Fällen erlaubt: zur Selbstverteidigung und zur Beseitigung von Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Ich will auf andere Texte des Koran verweisen, nach denen Mord und Totschlag verboten sind und das Töten eines Unschuldigen genau so schwer wiegt, als hätte man die ganze Menschheit getötet.

Das Christentum hat die Ideale von Feindesliebe und Gewaltverzicht oft nicht verwirklicht. Tendieren Religionen, die absolute Wahrheiten verkünden, vielleicht generell zur Gewalt gegen Andersdenkende?

JULIUS H. SCHOEPS: Alle drei monotheistischen Religionen haben mit dem Wahrheitsanspruch ein Problem. Es ist nicht zu verhindern, dass dann Menschen zu Mitteln greifen, die wir, die wir hier gemeinsam sitzen, nicht billigen. Aber daraus darf man doch nicht schließen, dass diese Religionen grundsätzlich die Gewaltherrschaft befürworten. Was das Judentum angeht, hat es lange Zeit gar kein Problem mit dem Islam gegeben. Das Problem war das Christentum. Oder exakter: die Christen hatte ein Problem mit den Juden. Denn wenn Jesus Christus tatsächlich der Messias ist, dann ist für die Juden, die immer noch auf den Retter warten, eigentlich kein Platz.

KLAUS ENGELHARDT: Ich würde nicht von einer „Tendenz zur Gewalt“ sprechen, aber sicher von einer großen Versuchung. In Europa hat die Aufklärung ganz erheblich dazu beigetragen, den Einsatz von Gewalt als Grenzüberschreitung zu erkennen und den Kern der biblischen Botschaft freizulegen.

HEINRICH MUSSINGHOFF: Die Grundbotschaft des Christentums spricht vom Frieden. In der Geschichte ist das nicht immer so gelaufen. Aber dahinter steckt oft der Missbrauch von Religion, wenn sich Religion und Macht verbünden und man meint, religiöse Ansprüche mit Gewalt durchsetzen zu müssen. In Grenzen gibt es das auch heute noch, wenn man etwa an den Nordirland-Konflikt denkt, wo allerdings auch sehr stark soziale Spannungen eine Rolle spielen.

Der Islam kennt keine Differenz zwischen Religion und Politik. Liegt hier ein Grund, warum der Islam im Westen als gewalttätig wahrgenommen wird?

ELYAS: Man darf „Religion“ nicht mit „Institution“ verwechseln. Es ist leicht gesagt, das Christentum habe mit staatlicher Gewaltausübung nichts zu tun, weil Kirche und Staat doch getrennt seien. Es sind aber Christen, die an der Macht sind. Genau so ist es mit den heutigen Staaten in der muslimischen Welt. Das sind keine „islamischen Staaten“, sondern das sind Muslime an der Macht, und zum Teil missbrauchen sie ihre Religion. In einer mehrheitlich islamischen Gesellschaft ist die Trennung von Staat und Religion undenkbar, weil der Islam als ganzheitliche Weltanschauung auch Politik, Gesellschaft und Wirtschaft regelt. Wo Muslime in der Minderheit sind, wie hier in Deutschland, können sie sich sehr gut aus der Politik heraushalten oder sie aus der Distanz kritisch begleiten.

SCHOEPS: Für das Judentum ist die Sache kompliziert, denn es ist Religion und Volk in einem. Das macht es für den Staat Israel heute enorm schwierig. Man kann das mit christlich geprägten Gesellschaften und ihrer - zumindest theoretischen - Trennung von Staat und Kirche gar nicht vergleichen.

Herr Elyas, Sie haben von der Minderheitenrolle der Muslime gesprochen. Was würden Sie bei uns denn ändern, wenn Sie in der Mehrheit wären?

ELYAS: Das ist eine utopische Frage, die obendrein so tut, als warteten die Muslime nur darauf, das Ruder zu übernehmen. Das schürt Misstrauen. Der Islam schreibt den Muslimen vor, als Minderheit die Gegebenheiten respektieren, so lange sie ihre Religion frei ausüben können. Ist das nicht möglich, sollen sie anderswo hingehen - die Erde Gottes ist weit genug.

Was beschwert die einzelnen Religionen im Verhältnis zueinander? Wo liegen Stolpersteine und Bruchlinien?

SCHOEPS: Das christlich-jüdische Gespräch ist seit langem auf gutem Weg. Was weithin fehlt, ist der „Trialog“ - also die Aufnahme des Islam in dieses Gespräch. Es müsste dann zum Beispiel darüber gesprochen werden, wie die Religionen mit dem Toleranzbegriff umgehen.

ENGELHARDT: Mit „Toleranz“ haben Sie ein wichtiges Stichwort genannt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Religionen darunter nicht dasselbe verstehen. Das muss auf die Tagesordnung. Ein zweites ist die Gottesvorstellung. Für mich als Christen ist der Glaube an den dreieinen Gott unaufgebbar, und ich würde dafür in jeder Diskussion leidenschaftlich eintreten. Und schließlich würde das Thema „Glaube und Vernunft in den Religionen“ uns sicher an Bruchlinien bringen. Lohnend wird ein Dialog erst, wenn wir ihn nicht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner führen, sondern wenn wir uns trauen, auch das Fremde und Andersartige wahrzunehmen und eigenes Profil zu zeigen. Wenn wir das nicht versuchen, kann einem der Dialog von vornherein gestohlen bleiben.

ELYAS: Ich sehe die Stolpersteine weniger an der Spitze als an der Basis. Dafür brauchen wir ein Minimum an Kenntnis übereinander. Daran hapert es. Das Interesse ist durchaus vorhanden - wir haben seit den Anschlägen vom 11. September täglich 40 000 Zugriffe auf Islam-Homepage. Aber das wirklich Interkulturelle fehlt in dieser Gesellschaft. Es steht in vielen Papieren, nur spürt man kaum etwas davon. Ein Problem sehe ich in den unterschiedlichen Erwartungen, die an einen Dialog gestellt werden. Die Muslime erwarten sich vom Dialog eine direkte Beseitigung ihrer Alltagsprobleme. „Was nutzt mir der schönste theoretische Dialog“, sagen viele, „wenn mir das für den Moschee-Bau nicht hilft, für das Schächten (rituelles Schlachten, d.Red.) nicht hilft?“ Unsere Dialogpartner - Christen und Juden - haben solche Probleme auf der praktischen Ebene nicht, deshalb hat der Dialog für sie mehr den Stellenwert von Gesprächen über Glaubensfragen und theologische Inhalte.

MUSSINGHOFF: Alle Gläubigen wenden sich im Gebet an den lebendigen Gott. Aber trotzdem gibt es unterschiedliche Gottesbilder. Der christliche Glaube an den „dreieinen Gott“ ist für Muslime etwas völlig Unmögliches. Das müssen wir ernst nehmen - und trotzdem tolerant miteinander leben. Das geht, und wo es nicht geht, müssen wir es lernen.

Nach den Anschlägen vom 11. September war das Bedürfnis nach Gottesdienst und gemeinsamem Gebet sehr groß. Gibt es so etwas wie eine „Renaissance des Religiösen“, oder ist die Religion ein Notnagel nur für Krisenzeiten?

ENGELHARDT: Sie kennen das Sprichwort „Not lehrt beten“. Ich bin da skeptisch. So automatisch geht das nicht, denn Not kann auch genau das Gegenteil bewirken: dass es einem die Sprache verschlägt. Viele Menschen waren nach den Anschlägen völlig stumm geworden, und ich hatte das Gefühl, sie suchen in den alten überlieferten Gebetstexten ein wenig Halt und Trost. Das ist ganz sicher ein Ansatzpunkt für die Religion, den sie jetzt nicht missionarisch ausnützen, sondern an dem sie Präsenz im Leben der Menschen zeigen sollte. Nach dem 11. September ist mir zudem aufgefallen, dass eine sehr private Auffassung von Religion - jeder zimmert sich seinen Glauben irgendwie zusammen - an Grenzen gestoßen ist. Irgendwie haben die Leute gemerkt, diese individualisierte Religiösität reicht nicht aus. Zum Beispiel wurde plötzlich das Miteinander ganz wichtig: nicht allein, sondern in Gemeinschaft beten.

SCHOEPS: Ich glaube nicht, dass Beten die Probleme dieser Welt lösen wird. Aus der Sprach- und Ratlosigkeit nach dem 11. September leite ich die Zielsetzung ab, sich mit den Problemen stärker zu beschäftigen, politischer zu denken, als das vielleicht bisher geschehen ist.

ELYAS: Wenn die Menschen zu Gott finden, egal in welcher Religion, dann werden sie nicht tatenlos-fatalistisch, im Gegenteil. Sie werden durch ihre Religion ermutigt, Unrecht zu beseitigen.

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