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Homosexuelle Fussballer„Wir haben die Dinge nicht im Griff“

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In der Offensive: Jan F. Orth und der Fußball-Verband mittelrhein packen das Thema Homosexualität im Amateurfußball an. (Bild: Dahmen)

In der Offensive: Jan F. Orth und der Fußball-Verband mittelrhein packen das Thema Homosexualität im Amateurfußball an. (Bild: Dahmen)

Herr Dr. Orth, der Fußball-Verband Mittelrhein veranstaltet am Donnerstag einen Themenabend gegen Homophobie im Amateurfußball unter dem Titel: „Einer von 11 ist schwul!“ Was versprechen Sie sich von diesem Titel?

JAN F. ORTH: Wir wollten einen provokativen Titel und wir wollen betonen, dass es um schwule Männer geht. Bei den Frauen gibt es ja auch im Profibereich geoutete Spielerinnen, die lesbisch sind. Von den Männern kennen wir das bei Amateuren und Profis kaum. Da existiert eine unterschiedliche Wahrnehmung. Während es für eine Fußballerin eher selbstverständlich ist, dass sie lesbisch sein kann, ist für einen Fußballer der Gedanke das Schlimmste, dass er für schwul gehalten werden könnte.

Ist ihnen klar, dass „Einer von 11 ist schwul!“ im Fußballalltag als bedrohlich empfunden wird?

ORTH: In dem Stimmungsbild, das wir im Moment vorfinden, mit Sicherheit. Wir befürchten einfach, dass sich diese Stimmung durch den Fußball zieht bis in den Amateurbereich, und dagegen wollen wir kämpfen. Wir glauben nicht einmal, dass es tatsächlich zu offenkundigen Diskriminierungen käme, wenn sich jemand outen würde. Aber wir haben im Fußball offensichtlich ein Milieu, in dem Spieler Scheu haben, sich zu outen. Wir haben offenbar Defizite dabei, sie so, wie sie sind, mitzunehmen.

Warum hat ausgerechnet der Fußball so große Probleme im Umgang mit Homosexualität, die in anderen Gesellschaftsbereichen wie Kultur und Politik akzeptiert wird?

ORTH: Das hat ganz verschiedene Ursachen. Einmal ist es das Selbstverständnis des Spiels. Fußball war immer ein männliches Spiel, ein hartes Spiel, ein Kampfspiel. Man engagiert sich mit Einsatz von Körperkraft auf dem Platz. Und das wird als klassisches Klischee einem schwulen Mann nicht zugetraut. Er gilt als verweichlicht, als Liebhaber von Kunst und Kenner von Mode, aber nicht als aggressiver Fußballer. Zum anderen gibt es Untersuchungen, dass auch die Angst vor einer homosexuellen Komponente in der eigenen Persönlichkeit Unsicherheit verursacht. In homophobem Verhalten spiegeln sich auch immer wieder eigene Unsicherheiten wider. Das kommt dann in solchen Diskussionen wie der um das gemeinsame Duschen nach dem Spiel zum Vorschein.

Im Profibereich gibt es kein Outing in Deutschland, möglicherweise erklärbar mit der Angst vor materiellem Verlust und dem Preis, der erste zu sein.

ORTH: Wenn man solche Aussagen liest wie die von Rudi Assauer, der wieder behauptet, Schwule hätten im Profifußball nichts verloren, sie sollten sich einen anderen Job suchen, kann ich das verstehen.

Aussagen wie die von Rudi Assauer müssten sie als jemand, der sich für die Rechte von Schwulen im Fußball einsetzt, doch wütend machen . . .

ORTH: Ich habe lange überlegt, wie sehr ich mich darüber aufregen soll. Was Herr Assauer sagt, klingt sehr hart, aber es beschreibt eine gewisse Realität im Profi-Fußball. Derzeit hat er wohl leider Recht. Derart übertriebene Äußerungen sind aber natürlich nicht hilfreich, den Umgang mit dem Thema zu entkrampfen. Wenn jeder so denkt, kommen wir nicht weiter.

Ihre Veranstaltung befasst sich ausdrücklich mit dem Amateurfußball. DFB-Präsident Theo Zwanziger sagte uns in einem Gespräch Ende 2009, er glaube, man habe das Thema Homosexualität im Amateurbereich im Griff. Können Sie das bestätigen?

ORTH: Wir haben die Dinge da noch nicht im Griff. Es wird nur häufig nicht als Problem wahrgenommen, weil sich die Betroffenen noch zurück halten und sich nicht offenbaren. Aber das ist ja die Crux: Wir haben schwule Funktionäre im Verband, wir haben schwule Schiedsrichter, wir haben schwule Spieler. Davon verstecken sich etliche, und sogar solche, die mit ihren Männern verheiratet sind. Sie trauen sich aber nicht, dies im Fußball zu leben. Wir sind der erste Landesverband, der das Thema so offen angeht.

Welche Reaktionen erleben Sie auf Ihr Engagement?

ORTH: Wir stoßen überall auf eine unheimlich große Resonanz. Das Schöne am Fußball ist doch, dass alle mitmachen können. Wir haben so ein einfaches und schönes Spiel - verbunden mit einer tollen Gemeinschaft. Aber wenn die Leute ihre sexuelle Identität verleugnen müssen und damit einen ganz wesentlichen Bestandteil ihres Lebens nicht mit einbringen können, dann haben wir noch einen weiten Weg vor uns.

Wie ist Ihre Strategie im Kampf gegen diese Verleugnung und ihre Ursachen?

ORTH: Der Anfang ist, darüber zu reden. Das hat der DFB vorgemacht. Wir wollen die Leute dazu ermutigen, zu sagen: Ja, ich bin schwul, ich bringe meinen Freund mit zur Weihnachtsfeier. Oder: Ich bin lesbisch, ich bringe meine Partnerin mit, wir leben unsere Normalität. Durch unseren Themenabend demonstrieren wir, dass wir dies so auch im Fußball-Verband Mittelrhein leben und das Thema aktiv angehen wollen.

Kennen Sie Fälle, die Sie in dieser Aufgabe ermutigen?

ORTH: Also einen problemlos geouteten Fußballer in unseren Mannschaften kennen wir nicht.

Wie können Sie dafür sorgen, dass das Thema Homosexualität nach ihrer Veranstaltung nicht wieder aus dem Blickfeld verschwindet?

ORTH: Die Veranstaltung ist keine Eintagsfliege. Sie gehört zu langfristigen Maßnahmen, die unsere Kommission für gesellschaftspolitische Aufgaben um FVM-Vizepräsident Stephan Osnabrügge ins Leben gerufen hat. Diese Veranstaltung wird in eingebettete Folgeaktionen münden, die wir konzeptionell auf unserem kommenden Verbandstag beschließen wollen. Aber Auftakt muss sein, über die Dinge zu sprechen und die Leute zum Nachdenken anzuregen.

Was für Formen von Resonanz haben Sie bereits wahrgenommen?

ORTH: Wir stellen ein Aufkeimen der Diskussion innerhalb des Verbandes fest. Andere Verbände haben uns zu dem Mut gratuliert, die Dinge anzugehen. Und es haben sich natürlich Betroffene gemeldet und gesagt, es sei für sie ein wichtiges Signal, dass der Verband das Thema angeht.

Haben Sie vor, den Fußball über den Amateurbereich für Homosexualität zu öffnen, bis das Thema als Normalität ganz oben angekommen ist?

ORTH: Unser Schwerpunkt ist der Amateurfußball im Landesverband. Das ist schon ein umfassender Bereich, der übrigens die Mehrzahl der Fußballerinnen und Fußballer darstellt. Wir haben zunächst die Aufgabe, für alle Amateure ein tolerantes Klima zu schaffen. Wenn es uns damit gelingt, auch für Profis, die ganz unterschiedliche Probleme zu bewältigen hätten, eine Signalwirkung zu schaffen, wäre das ein weiterer wichtiger Schritt.

Würden Sie einem schwulen Profi dazu raten, sich zu outen, mit allen Folgen?

ORTH: Ich würde es mir im Sinne einer offenen Gesellschaft natürlich wünschen. Ob ich ihm heute dazu raten würde, das müsste ich mir länger überlegen. In einigen Monaten sieht das hoffentlich anders aus.

Das Gespräch führte Frank Nägele

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