In Kürten zu Hause - und im Universum

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Karheinz Stockhausen vor wenigen Monaten vor einer seiner Aufführungsskizzen.

Karheinz Stockhausen vor wenigen Monaten vor einer seiner Aufführungsskizzen.

Eine der wirkungsmächtigsten Anreger-, Vordenker- und Licht-Gestalten der neuen Musik ist nicht mehr. Gerade als weltweit die Planungen für Konzerte anlässlich seines 80. Geburtstages im August 2008 auf Hochtouren zu laufen begannen, ereilt die musikalische Welt die Botschaft: Karlheinz Stockhausen ist tot, gestorben am 5. Dezember in seinem in den 1960er Jahre von ihm selbst entworfenen Haus in Kürten-Kettenberg.

Kaum ein zweiter deutscher Komponist nach dem Zweiten Weltkrieg vereint Leiden und Größe der neuen Musik so sehr wie Karlheinz Stockhausen. 1928 in Mödrath geboren, verlor er frühzeitig seine psychisch kranke Mutter, die dem Euthanasie-Programm der Nazis zum Opfer fiel. Nach dem Krieg schlug er sich im zerbombten Köln als Barpianist durch, studierte an der Universität Musikwissenschaft und schwankte lange zwischen einer Laufbahn als Komponist oder Schriftsteller. Eine zweite Heimat fand er ab 1951 bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, wo er mit Pierre Boulez und Luigi Nono für einige Jahre ein Triumvirat des Avantgardismus bildete, bevor sie sich entfremdeten und eigene Wege gingen.

„Kreuzspiel und Kontra-Punkte“ waren erste Etappen auf seinem Weg, alle Eigenschaften des Klangs einem System an Vorordnungen und Vorstrukturierungen zu unterwerfen. Total wurde diese integrale Abstufung aller Parameter in quantifizierenden Reihen in den „Klavierstücken“ und „Zeitmaßen“, bevor sich die Entwicklung mit dem frühen Meisterwerk der „Gruppen“ für drei Orchester von 1957 umkehrte, und gestalthafte Elemente wieder mehr an Einfluss gewannen.

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Pionier der elektronischen Musik

Als Herbert Eimert am Kölner WDR das Studio für elektronische Musik aufbaute, war Stockhausen einer der Ersten, die kompositorisch mit diesem völlig neuartigen Produktionsmedium zu arbeiten begannen, bald schon als Eimerts Assistent, schließlich ab 1964 in dessen Nachfolge lange Jahre als Leiter des Studios. Mit der Verschmelzung einer singenden Knabenstimme und rein elektronisch generierten Klängen in seinem „Gesang der Jünglinge“ schuf Stockhausen bis heute verehrte Ikonen der elektronischen Musik.

An die Stelle des strengen Konstruktivismus des Frühwerks traten in den 1960er Jahre offene Konzepte, intuitive Musik, meditative Sit-Ins wie „Stimmung“ und Prozesskompositionen oder Vorlagen für Gruppenimprovisationen. Seiner schöpferischen Unbändigkeit und seines megalomanen Licht-Zyklus wegen wurde Stockhausen seit Ende der 1970er Jahre wiederholt mit Richard Wagner verglichen: Dort Wagners „Ring“-Tetralogie nach altgermanischen Mythen und Sagen, hier Stockhausens sieben abendfüllende Musiktheaterwerke nach einer eigenen eklektizistischen Privatmythologie über die sieben Tage der Woche.

Während fast drei Jahrzehnten komponierte Stockhausen den monumentalsten Klangkosmos aller Zeiten auf der Grundlage einer einzigen „Superformel“ mit insgesamt fast 30 Stunden Musik, mit Prozessionen, Hymnen, Lobpreis- und Dankesgebeten und der Oper „Sonntag“ als krönendem Schlussstein, der keinem Geringeren als Gott selbst gewidmet ist.

Wie Wagner ragte auch Stockhausen stets aus dem Musikleben heraus, als Einzelerscheinung mit immensen Ansprüchen an sich, seine Interpreten und Hörer. Mit seinen Ansprüchen und seiner Selbstsicht stieß er vielfach auf Unverständnis. Dass er vom Planeten Sirius abstammen und 2001 im Anschlag auf das World Trade Center das „größte Kunstwerk aller Zeiten“ sehen wollte, stieß zu Recht auf Befremden und Ablehnung, auch wenn er mit letzterer Bemerkung lediglich die weltweite Erschütterung und mediale Wirkung im Auge hatte.

Kompromissloser Einzelgänger

Auch Stockhausens künstlerische und geschäftliche Kompromisslosigkeit waren berüchtigt und haben so manches schöne Konzertvorhaben vereitelt. Um unliebsamen Widerständen zu entgehen, begann Stockhausen mit wenigen Getreuen, schon bald alles selber zu machen: bereits in den 1960er Jahren baute er sein eigenes Ensemble auf. Mitte der 70er Jahre verließ er die Universal Edition Wien, um einen eigenen Verlag zu gründen, der seither alle seine Werke, CD-Aufnahmen und Schriften publiziert.

Mitte der 90er Jahre rief er die „Stockhausen-Stiftung für Musik“ ins Leben, seit 1998 veranstaltete er an seinem Wohnort Kürten jeden Sommer die „Stockhausen-Kurse Kürten“ für Komponisten, Musiker und Musikwissenschaftler aus aller Welt. In täglichen Seminaren gab er eine Woche lang Auskunft über seine Werke und Kompositionstechniken, während er Musiker die Interpretation seiner Werke lehrte.

Man mag von Stockhausen und seiner Musik halten, was man will, in ihrer Verbindung von höchster Artifizialität, Konstruktivität und klanglicher Raffinesse mit Mystischem, Einfachem, Naivem und teils Banalem ist sie das unverwechselbare Ergebnis einer überbordenden Imaginationskraft jenseits gängiger musikalischer Trends und Geschmacksgrenzen. Stockhausen, in Kürten ebenso zu Hause wie im Universum, war ein vollkommen originärer und in seiner (Megalo-)Manie unbedingt authentischer und aufrichtiger Künstlertypus, den zu erleben uns fortan versagt bleibt, von dem und von dessen Musik sich aber nach wie vor zu lernen lohnt.

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