Japans Generation „Gummibärchen“

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Im Kimono zur Zeremonie: junge Japanerinnen in Tokio am Tag des Erwachsenwerdens.

Im Kimono zur Zeremonie: junge Japanerinnen in Tokio am Tag des Erwachsenwerdens.

Tokio - Fast zwei Millionen neu erwachsene Japaner und ihre Familien sind festlich bewegt. Das Land feiert wie immer Mitte Januar den „Erwachsenentag“, an dem alle 20-Jährigen offiziell volljährig werden - und dafür den Segen in den Tempeln und Schreinen einholen. Japan ehrt nach alter Sitte alle Jugendlichen, die in den zurückliegenden zwölf Monaten die Schwelle zum 20. Lebensjahr überschritten haben und jetzt wählen und heiraten dürfen.

Wer es vorher nicht schon probiert hat, darf von diesem Tag an ungestraft rauchen, Alkohol trinken und Sex haben. Aber so ernst nimmt man den Termin längst nicht mehr.

Eigentlich ist der 15. Januar traditionell der „Tag des Erwachsenwerdens“, aber um ein langes Wochenende zu schaffen, hat die Regierung den Feiertag kurzerhand um einen Tag vorverlegt. Geblieben ist der Brauch der jungen Leute, in Shinto-Schreine oder buddhistische Tempel zu ziehen und mit klingender Münze das Glück der Götter für die erwachsene Zukunft zu erkaufen. In sündhaft teuren Brokat-Kimonos, mit kunstvollen Frisuren und Geisha-Make-up tippelt am Montag mehr als eine Million Japanerinnen in Tempel und Schreine. Die ebenso schöne wie unbequeme Landestracht ist an diesem Tag nationale Pflicht und private Kür. Junge Männer haben es leichter - vom Smoking bis zur Motorradkluft ist alles erlaubt.

Trotz der schönen Fassade - das das Bild der „neuen Erwachsenen“ Japans sieht nicht besonders rosig aus. Das alljährliche „Weißpapier“ der Regierung kritisiert, die jungen Leute seien durch den Wohlstand, in dem sie aufwuchsen, sehr verwöhnt, relativ unselbstständig und sportlich gesehen tendenziell „Flaschen“. In der Tat scheren sich immer weniger japanische Kids um alte Ideale oder den Grundsatz, dass der Einzelne immer Teil einer Gruppe und damit vor allem konform zu sein hat.

Eine landesweite Untersuchung hat ergeben, dass es Japanern im Alter von 20 Jahren an konkreten Zielen und Idealen mangelt. Sie verlassen sich zu sehr auf Elternhaus und Schule. Die Regierung warnt vor einer wachsenden Isolierung und gesundheitlichen Schäden durch die einseitige Freizeitbeschäftigung durch Fernsehen und Videospiele. Ein beängstigender Trend ist die wachsende Verschuldung. Zwei Drittel aller 20-jährigen in Japan bezahlen mit Kreditkarten und gehen locker damit um. Teenager und Twens machen fast die Hälfte jener Japaner aus, die Beratungsstellen für private Konkurse aufsuchen.

Wie ihre Eltern, die Fleiß, Demut, Sparsamkeit und Hingabe als Lebensinhalt sahen, wollen sie nicht mehr leben. Dazu gehört auch, nicht mehr zu heiraten. Nur noch 20 Prozent der Abiturienten und Hochschülern sehen die Ehe als Notwendigkeit an; in Frankreich, den USA und Südkorea liegen die Werte höher. Anders als ihre Eltern und Großeltern, die den Aufbau nach dem verlorenen Krieg und den Aufstieg zur Weltwirtschaftsmacht erlebten, wurde die junge Generation in den Wohlstand hineingeboren, aber auch in dem Bewusstsein groß, dass es im Uhrwerk Japan nicht mehr richtig tickt. Viele ältere Japaner, die spartanisch und selbstlos den Wirtschaftsaufschwung prägten, blicken besorgt und spöttisch auf die „Generation der Gummibärchen“ der sie nicht viel zutrauen..

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