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JunggesellenBallermann am Rhein

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An einem ganz normalen Samstag sind unzählige uniformierte Gruppen mit albern verkleideten angehenden Eheleuten in der Alstadt unterwegs. Köln ist der Ballermann am Rhein. (Bild: Worring)

An einem ganz normalen Samstag sind unzählige uniformierte Gruppen mit albern verkleideten angehenden Eheleuten in der Alstadt unterwegs. Köln ist der Ballermann am Rhein. (Bild: Worring)

Köln – Daniel steht im lila-weiß gestreiften, Einteiler und mit blonder Perücke auf dem Bahnhofsvorplatz und macht gute Miene zum bösen Spiel. Er hat einen harten Tag vor sich, weil er sich für seine Freunde zum Deppen machen muss. Ein anderer armer Kerl im kurzen Lederdress zieht mit einer gröhlenden Clique vorbei, während eine Frau mit grünen Haaren „Er gehört zu mir“ über den Platz krächzt.

Heiratswillige als „Jukebox“ zu verkleiden, ist offensichtlich sehr angesagt. Gleich drei konkurrieren beim Versuch, rund um den Dom arglose Passanten davon zu überzeugen, einen Euro für ein Lied zu bezahlen, das keiner hören will. Für die 27-jährige Ninja wurde eine dicke Lautsprecherbox mitgebracht. Die Braut muss da rauf, mitten auf der Domplatte singen und tanzen. „Je lauter desto besser“, sagt Freundin Monique. „In Köln sind ja mittlerweile so viele Gruppen unterwegs. Da muss man noch einen drauf legen, um aufzufallen.“

Zehn Meter weiter verkauft ein armer Mann Bananen. Seine Freunde haben ihm das Portemonnaie abgenommen. Wo sie sich zum ausgiebigen Alkoholgenuss niedergelassen haben, erfährt er erst, wenn alles verkauft sind. Eine Mädchentruppe singt dazu „Humba, humba, täterä“, während Christoph aus Gerolstein Schuhe putzen muss. Da hat es Daniel ein bisschen leichter. Die Dinge in seinem Bauchladen, mit denen er das Geld für den Alkoholnachschub verdienen muss, könnten Interessenten finden. Er verkauft Kondome und Schnaps, Tampons und Zigaretten. Das ist nicht besonders einfallsreich, aber „sowas kann man doch immer gebrauchen“, wirbt er. Der 31-Jährige und seine Freunde kommen aus Steinfurt. Auf dem Weg nach Köln liegen Städte wie Münster, Dortmund, Essen oder Düsseldorf. Doch da will kein Steinfurter hin, wenn ein zünftiger Junggesellenabschied gefeiert werden will. „Dafür fährt man ins schöne Köln“, sagt Kalle, der die Tour organisiert. „Sowas spricht sich rum.“

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Drei Stunden Zugfahrt hat die 26-jährige Anne aus Darmstadt hinter sich. „Wir alle lieben Köln“, erklärt Trauzeugin Tanja. „Und in Darmstadt oder Frankfurt kann man sowas nicht machen. Hier ist einfach die Stimmung besser.“ Die Darmstädter haben zumindest eine Hotelübernachtung gebucht. Die meisten anderen Gruppen reisen noch in der Nacht zu zurück. Einige legen sich in den Rheingarten, warten auf den ersten Zug am nächsten Morgen und hinterlassen ein „Schlachtfeld“, wie Hans Flock von der Interessengemeinschaft Altstadt sagt.

Hier kann man mal so richtig auf die Kacke hauen

Köln als ideales Pflaster für Junggesellenabschiede: An einem ganz normalen Samstag sind unzählige uniformierte Gruppen mit albern verkleideten angehenden Eheleuten, Verstärkerboxen, Megafonen und Bierkästen unterwegs. Köln ist die Partystadt mit Ganzjahreskarneval. Köln ist der Ballermann am Rhein.

„Hier kann man mal so richtig auf die Kacke hauen“, sagt André aus Nettrsheim. „In der Eifel würde man komisch angekuckt. Da kennt jeder jeden.“ Auf seinem T-Shirt und denen seiner Freunde steht „Dirk heiratet, ich bin nur zum Saufen hier“. Man trinkt Büchsenbier und Schnaps aus der Flasche. Die Freunde von Mike aus Niederkassel, der in ein rosa Hasen-Kostüm gesteckt wurde, tragen einen Bierkasten durch die Altstadt. „Unser dritter“, erklärt Patrick um 16 Uhr.

Nachschub ist in der Altstadt leicht zu bekommen: In nahezu jedes Ladenlokal , das ein Einzelhändler in den letzten Monaten frei gemacht hat, scheint ein Kiosk als Nachmieter einzuziehen, beklagen Anwohner. Der Köln-Trip wird gleich unterbrochen, um in Neuss angetrunken ein Ski in der Halle zu fahren. Danach kommen sie wieder. „Natürlich muss der Mike auch noch ein paar Brüste sehen.“ Wilhelm Wichert, Wirt des Haxenhauses und Vorstandsmitglied der IG Altstadt, spricht von einer „wild wachsenden Party“, die sich in den Abendstunden auf die Ringe, ins Friesenviertel oder ins Studentenviertel verlagert. „Und da wird dann über die Möbel gekotzt“, beschreibt Matthias Bauer, Betriebsleiter der Kneipe „Museum“ am Zülpicher Platz die weitere Eskalation des Sauftourismus. „Die werfen Essen auf den Boden, gröhlen rum und belästigen andere Gäste.“ Wenn man nichts dagegen tue, werde das Publikum immer schlimmer. Gern gesehene Gäste blieben weg, ungebetene würden immer mehr.

„Die Problematik hat sich drastisch verstärkt“, sagt Wolf Hönigs, Chef des Lint Hotels in der Altstadt, der auch die dortige Anwohnerinitaitive unterstützt. „Das ist kein Spaß mehr.“ „Diese Entwicklung ist sehr schädlich“, meint auch Flock. Nicht nur Kölner bleiben fern, auch immer mehr zahlende Touristen aus aller Welt sind angesichts der Kirmesatmosphäre zunehmend negativ beeindruckt. „Seitdem es Internetbewertungsportale gibt, spricht sich sowas schnell herum“, sagt Hönigs. „Die Leute loben unser Hotel und kommen trotzdem nicht wieder.“

Ein ähnliches Risiko gehen die Anbieter von schicken Flusskreuzfahrtschiffen ein, wenn sie sich dafür entscheiden, in Köln gleich am Altstadt-Ufer Station zu machen. Als im neuen Vorzeigeschiff von TUI bei der Jungfahrtfahrt den fein gemachten, zahlenden Gästen das aufwendige Sechs-Gang-Abendessen serviert wurde, turnte ein Junggesellenabschied anderthalb Stunden mit einem aufblasbaren Riesenpenis vor den Panoramascheiben herum.

Wer Menschen erleben will, die sämtliche Hemmungen verlieren, bekommt hier noch mehr Anschauungsunterricht: Es dauert nicht lange, bis das nächste Bierbike um die Ecke biegt. Da wirkt die hupende Bimmelbahn, die auch noch durch die engen Gassen fahren darf, wie der Kleinkinderspaß im Phantasialand. Im Unterschied zum Freizeitpark dürfen hier aber auch noch schlechte Musiker für unerwünschte Untermalung sorgen. „Die Belästigung der Gäste endet damit, dass ihnen die Aschenbecher vom Tisch unter die Nase gerammt werden, um dafür auch noch Geld zu bekommen“, klagt Wichert.

„Hier kommt alles auf engstem Raum zusammen“, klagt der Bürgermeister des Stadtbezirks Innenstadt, Andreas Hupke. Der grüne Politiker glaubt, dass alle Verantwortlichen versäumt haben, frühzeitig diesem Trend entgegenzusteuern. Politik und Stadtverwaltung schließt er in seine Kritik ausdrücklich ein: „Köln wird gemartert, aber es lässt sich auch martern.“ Ein Beitrag könnte eine städtische Verordnung sein, die strengere Verhaltensvorschriften macht. Hans Flock hat für die IG Altstadt Vorschläge zusammen getragen: Nackte Oberkörper, Ghettoblaster oder Megafone könnten verboten werden. Auch dem Flaschenbierkonsum müsste man Paroli bieten, finden Flock und Bauer. Beim Thema „Bierbikes“ sind sich alle einig. Keiner versteht, warum man „hackevoll Fahrrad fahren darf“. Die Qualität der Straßenmusik ließe sich über Wettbewerbe und klare Spielregeln heben. „Die Wirte müssen auch selbst aktiv werden“, fordert Bezirksbürgermeister Hupke. Wie das gehen könnte, macht Bauer im „Museum“ vor: Junggesellenabschiede haben keinen Zutritt mehr. „Es geht nicht anders“, sagt Bauer. „Wenn nicht mehr Wirte mitmachen, kommt bald der große Knall. Dann geht nichts mehr.“

„Köln hat ein Imageproblem“, sagt Hupke. Das Bild von der feierfreudigen toleranten Karnevals-hochburg bestimme die Wahrnehmung. Das zu ändern ist schwer und nicht ohne Risiko, denn schließlich profitiert die Stadt auch von dieser Wahrnehmung. „Wenn ich den Junggesellen vertreibe, der hier feiern will, kommt er auch nicht wieder, wenn er eine Familie hat“, warnt Wichert.

Gewerbetreibende, die nicht in der Gastronomie tätig sind, sehen das etwas anders. Sie verlieren ihr Publikum schon jetzt. Hotelier Hönigs fordert, wieder mehr Wert auf „den richtigen Mix“ zu legen. Die IG Altstadt möchte immerhin eine „Qualitätsoffensive“ starten. Das klingt nach schneller Abhilfe. Für Hupke ist jedoch klar, dass es um Grundsätzliches geht. Und das lässt sich nicht von heute auf morgen ändern: „Köln hat ein echtes Imageproblem.“

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