Käthe-Kollwitz-SchuleKein Monster mehr

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Guido Sattler leitet seit 2000 die Rheindorfer Gesamtschule.(Bild:Ralf Krieger)

Guido Sattler leitet seit 2000 die Rheindorfer Gesamtschule.(Bild:Ralf Krieger)

Rheindorf – Seelenlose Gebäude machen unzufriedene Menschen. UnglücklicheMenschen zerstören Gebäude. AlsGuido Sattler 2000 die Käthe-Kollwitz-Schule in Rheindorf übernahm, da war diese Schule „ein Moloch, ein menschenverachtendesMonster“, sagt er. Grauer Waschbeton, dunkle Gänge, verblicheneScheiben, eine düstere und bedrückende Atmosphäre. Die Architektur der 70er Jahre, seinerzeit alsfunktionelle Moderne hochgelobt,hatte ausgedient. Die einstmals kühle Schöne war verkommen und zeigte sich täglich von ihrer hässlichenSeite. Und die Kinder zahlten es ihrheim. Sie, die noch ein ganzes Lebenvor sich hatten, wehrten sich.

Sie traktierten ihre Schule mitTritten. „Wir haben jeden Montagden Müll aufgesammelt. Die Container lagen im Teich“, erinnert sichder Rektor. Und in der Schule wurdegesprayt, Abfall in dunkle Ecken geworfen. Und dunkle Ecken gab's genug. Vieles wurde demoliert. „Irgendwann bekommt ein solcherProzess eine Eigendynamik. Wowas kaputt ist, darf noch mehr kaputtgemacht werden.“

Der Ruf der Schule war miserabel. Die Bevölkerung quittierte ihrschlechte Noten. Und wer irgendkonnte, schickte die eigenen Kindernicht dorthin. Futter für die Kritikervon Gesamtschulen: Der Zustanddes Gebäudes und der kindlicheUmgang mit grauem Waschbetonwurden als Beweis genommen, dassdieses Schulsystem nichts taugt.Innerhalb eines knappen Jahrzehnts hat sich vieles geändert. Gewiss, die Käthe-Kollwitz-Schule istnicht die Insel der Glückseligen,aber dunkle Kritik ist heute wederbeim Frisör noch im Lebensmittelladen zu hören. Was ist passiert?„Wir haben die Schule saniert“, sagtder Boss von 130 Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern und 1480 Schülerinnen und Schülern. Von Sanierungspricht man gemeinhin, wenn's umGebäude oder Stadtviertel geht.Aber Sattler fasst den Begriff weiter. Er versteht unter Sanierung auch die Erneuerung innerer Strukturen.Beginnen wir mit der einfachen,weil fassbaren Sache, den Mauernund Räumen. Zwischen zehn und elfMillionen Euro hat die Stadt ausgegeben, dem „Monster“ den Kampfanzusagen. Sie hat gewonnen. DreiJahre lang wurden ganze Gebäudeteile regelrecht weggefräst. Lichtsollte reinkommen in die Schule.Giftige Isolierschichten, die PCBenthielten, kamen raus, neue Tische,Stühle und Schränke rein. Fußbödenerhielten farbige Beläge, Wändefreundliche Anstriche.

Aber dem nicht genug: Die Zuordnung der Räume wurde verändert. Man setzte auf die Architekturder kurzen Wege und auf eine Architektur, die der Anonymität Parolibieten sollte. So entstanden vierSchülerbereiche mit jeweils achtKlassen. In jedem dieser Bereichegibt's ein Lehrerzimmer, eine Medienstation und einen Gesprächsraum. Die Flure in diesen Bereichen sind großzügig angelegt, teilweisemöbliert, und sie dienen auch alsArbeitsräume, beispielsweise dann,wenn Gruppenarbeiten angesagtsind. Die Schüler waren an der baulichen und strukturellen Umgestaltung nicht beteiligt. „Wir hatten damals keine funktionierende Schülervertretung“, sagt Sattler.Kommen wir zu der zweiten,recht komplizierten Sache, der inneren Sanierung. Während sich Architekturbüro und Baufirmen des Gebäudes annahmen, machte sich dasLehrerkollegium Gedanken darüber, was alles passieren muss. Einekleine, scheinbar nebensächlicheBeobachtung mag den Einstieg bieten: Beim Rundgang im Sauseschritt mit dem Rektor, wird auchdie Mensa besichtigt. Zwei Jungenhaben es sich dort bequem gemacht,die Füße auf einen Stuhl gelegt.„Könnt ihr bitte die Füße da runternehmen“, so die Aufforderung vonSattler an die Kinder. Ja, die Lehrerund auch Sattler schätzen das neueMobiliar, sie schätzen die Werte anihrer Schule. Aber zu diesen Wertenzählt der 62-jährige Rektor und seine Mitarbeiter nicht etwa nur dievielen neuen Sachen, sondern auchdie Menschen, die dort arbeiten, dieVerwaltungsangestellten, die Sozialarbeiter und Psychologen, sichselbst und nicht zuletzt, sondern anallererster Stelle die Kinder.

Sattler, der viele Jahre als Rektoran einer Kölner Schule in einem sozialen Brennpunkt Erfahrungensammelte, verankerte mit seinemTeam an der Käthe-Kollwitz-Schule die Idee der Wertschätzung. „Alsich hierher kam, da schätzten sich einige Lehrer nicht selbst, weil sie aneiner so heruntergekommen Schulearbeiten mussten, und einige derPädagogen schätzten zuweilen auchdie Kinder nicht, die täglich ihrenFrust rausließen und nicht seltenauch ihre privaten Probleme in dieSchule trugen.“ Und die Kinder wiederum hätten sich nicht selbst geschätzt und oft auch nicht diese ablehnenden Lehrer. Der Rektor lässtheute keine Gelegenheit aus, zu erklären, dass gerade auch Kinder ausarmen, aus problemreichen, aus ausländischen Familien eine besondereWertschätzung verdienen. Und irgendwie, so scheint es jedenfalls, istdiese doch eigentlich selbstverständliche Grundmoral eines pädagogischen Konzepts durchgesacktin die kleinen und großen Seelen.Die bauliche Erneuerung hatwohl ganz wesentlich dazu beigetragen. Nun sind Sattler und seine Mitarbeiter keineswegs Sozialromantiker. Wertschätzung ist nicht vonheute auf morgen da. Man muss ihrauf die Sprünge helfen. Und so befinden sich heute die Mülleimer ineinem abschließbaren Verschlag.Für die Toiletten sind Schüler zuständig, die in der Pause einen Eurodafür bekommen, dass dort kein Unfug gemacht wird und Toilettenpapier da ist. Außerhalb der Pausen istnur eine Nottoilette geöffnet.

Jetzt gelten klare Regeln

Überhaupt herrschen klare Regeln. Wer dagegen verstößt, mussmit Konsequenzen rechnen. Werbeispielsweise im Unterricht ständig stört, muss in den „Trainingsraum“ und kommt nicht umhin, sichmit Hilfe einer ausgebildeten Fachkraft sein unsoziales Verhalten bewusst zu machen.

In den Fluren hängen festverschraubte Bilderrahmen. In ihnenstellen die Kinder Gemaltes, Fotografiertes, Geschriebenes aus. DieRahmen waren eine Anregung dernun funktionierenden Schülervertretung, die sich auch in das Projekt„Soziale Stadt Rheindorf-Nord“ mitguten Ideen einmischt. Für Sattlersind diese Bilder mehr als nur Dekoration, sondern Ausdruck dafür,dass sich die Kinder ernst nehmen.Vor zwei Jahren wurde die Gebäudesanierung unter Leitung desArchitekturbüros Wirtz & Kölschabgeschlossen. Noch sieht die Schule pikobello aus. Spuren böswilligerZerstörung sind nicht auszumachen.Das innere und äußere Erneuerungskonzept scheint aufgegangen. Undso wundert es nicht, dass die Schulemit dem Schulbaupreis 2008 dernordrhein-westfälischen Landesregierung und der Architektenkammer ausgezeichnet wurde.

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