KaktusDer Wachstums-Winzling

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Extrem langsam wächst der Kaktus Blossfeldia liliputana heran (oben). Die millimeterkleine Jungpflanze (unten) ist kaum zu erkennen. (Bild: Worring)

Extrem langsam wächst der Kaktus Blossfeldia liliputana heran (oben). Die millimeterkleine Jungpflanze (unten) ist kaum zu erkennen. (Bild: Worring)

Riehl – Dieser Kaktus wird niemals groß und stark, trotz allerbester Pflege. Schon 15 Jahre alt ist das grün-weiße Kügelchen mit dem schönen Namen Blossfeldia liliputana, und hat es in der langen Zeit gerade mal auf einen Durchmesser von zwei Zentimetern gebracht - vermutlich sein Maximum, mehr ist nicht drin. Extrem langsam wächst die Pflanze, die an ein flach gedrücktes Schaumgummi-Bällchen erinnert - das ist nun mal ihre Natur. „Im Schnitt schafft sie nur wenig mehr als einen Millimeter pro Jahr“, erläutert Stephan Anhalt, Leiter des Botanischen Gartens in Riehl.

Auf Bitten des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat der Fachmann den reichen Bestand der Anlage durchforstet: Auf der Suche nach einem Gewächs, das das „Prinzip immer schön langsam“ vollkommen verinnerlicht hat und im Schneckentempo gedeiht, als sei ihm ein „Mach-Dir-bloß-keinen-Stress“-Gen eingepflanzt worden. Ein Exemplar wie Blossfeldia liliputana eben, die Mitarbeiter und Kakteen-Experte Konrad Schlüter in einem dem Publikum unzugänglichen Gewächshaus hegt und pflegt. Bislang nämlich haben es die Gärtner nicht gewagt, diese botanische Seltenheit mit einem Wert von etwa 1000 Euro im öffentlichen Schau-Glashaus zu präsentieren, schließlich ist sie bei Sammlern sehr beliebt und könnte vielleicht gestohlen werden.

Seit vier Jahren bereichert der Winzling die rund 1000 Arten und Unterarten umfassende Kaktus-Sammlung der Flora. „Damals haben wir ihn neu dazu gekauft. Eigentlich ist er seitdem nicht mehr sichtbar größer geworden“, sagt Schlüter. Und deutet dann auf ein weiteres Töpfchen mit einer zweieinhalbjährigen Jungpflanze darin, die er selbst aus einem Samen gezogen hat. Falls man in diesem Fall überhaupt schon von einer richtigen Pflanze sprechen kann. Denn der unscheinbare Krümel ist mit bloßem Auge kaum erkennbar.

Vergleich mit einer der schnellsten Pflanzen der Welt

Dass Blossfeldia äußerst gemächlich heranreift, wird ebenfalls deutlich im Vergleich mit dem Riesen-Bambus Dendrocalamus giganteus - einer der schnellsten Pflanzen der Welt. Flora-Besucher können dem Shooting-Star, der seine verholzten Halme täglich bis zu 20 Zentimeter in die Höhe treibt, im benachbarten Tropen-Schaugewächshaus bei der Arbeit zusehen. Manches Exemplar im heimatlichen Südostasien sprießt sogar tagtäglich um einen halben Meter oder mehr. Aber von solch ehrgeizigem Emporkömmling lässt sich Blossfeldia liliputana beileibe nicht aus der Ruhe bringen, auch wenn sie auf dem Kölner Flora-Gelände fast Tür an Tür mit ihm lebt. Schließlich darf sie sich ebenfalls als eine Pflanze der Superlative sehen, nur auf ganz anderem Terrain: Sie gilt als kleinster Kaktus des Erdballs.

In der freien Natur erreicht sie sogar nur einen Durchmesser von zehn bis 15 Millimetern. Dort ist sie nämlich „deutlich mehr Stress ausgesetzt“ als im behaglichen Kölner Glashaus, wie Stephan Anhalt erklärt. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich vorwiegend entlang der unwirtlichen Ostseite der Anden mit halbwüstenartigem Charakter; 1936 wurde sie von dem Botaniker Harry Blossfeld entdeckt, als er das nördliche Argentinien erkundete.

„Der Winzling klammert sich mit seinen knolligen Rübenwurzeln in Felsspalten fest“, ergänzt Anhalt. Solch steile Steinwände sind nicht gerade reich an nährstoffhaltigem Erdboden - sicher kein Zuckerschlecken für ein armes Pflänzchen. Und bleibt der Regen in solch überwiegend trockenen Gebieten einmal komplett aus, stirbt es. Auch ein kleiner Kaktus brauche eben ein Mindestmaß an Feuchtigkeit.

Dennoch gilt Blossfeldia liliputana als faszinierende Überlebenskünstlerin. Sie kann während langer Durststrecken zu dünnen Scheibchen eintrocknen und sich wieder aufpumpen, falls doch wieder etwas Niederschlag vom Himmel fällt. Gerade in ihrer Felsritze dürfte sie etwas von diesem kostbaren Nass abbekommen, denn hier wird es am ehesten den Berg herunter rieseln. Und da sie sehr gemächlich heranwächst und klein bleibt, benötigt sie ohnehin relativ wenig „Nahrung“. So ist die Entdeckung der Langsamkeit ein kluger Schachzug der Natur, eine sinnvolle Strategie in Mangelgebieten, wie sie sich im langen Laufe der Evolution herauskristallisiert hat. Ganz, ganz allmählich.

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