Kermani über den FC„Das Elend währt schon so lange“

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Navid Kermani mit Accessoire: „So einer bin ich.“ (Bild: Neumann)

Navid Kermani mit Accessoire: „So einer bin ich.“ (Bild: Neumann)

Die Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ bat mich um eine feuilletonistische Betrachtung der Krise, in die der 1. FC Köln geraten sei. Ich kann das nicht, ich kann nicht feuilletonistisch sinnieren, wenn der FC vor dem Abgrund steht. Ich bin seit meinem vierten Lebensjahr Anhänger dieses Vereins, auf allen Bolzplätzen meiner westfälischen Geburtsstadt trug ich grimmig stets den Geißbock auf der Brust, wo meine Kameraden alle zu Schalke oder zu Dortmund hielten, wenn sie nicht opportunistisch für die Meister München oder Mönchengladbach optierten, ich bin wegen des FCs sogar nach Köln gezogen – wirklich wahr!, der Studienplatz ein bloßer Vorwand –, nur um aus nächster Nähe mit ansehen zu müssen, wie wir seit den 90ern – Artzinger-Bolten, die Häßler-Millionen! – immer tiefer gesunken sind.

Als wär’s gestern gewesen, kann ich mich zum Beispiel an das Endspiel 98 gegen Leverkusen erinnern: Am Mittag hatte ich noch meine Promotionsprüfung bestanden und war von der Uni direkt zum Spiel geradelt; als ich vom Stadion nach Hause kam, hatte meine Frau eine Überraschungsparty organisiert, alle Freunde und Kommilitonen waren da, um mit mir anzustoßen, bestimmt 30 oder 40 fröhliche Menschen, Kölner angeblich – nur ich Westfale machte den ganzen Abend über ein Gesicht wie ein platt getretener Ball, so dass ein Kommilitone nach dem anderen sich heimlich bei meiner Frau erkundigte, ob ich nicht etwa doch durchgefallen sei.

„Liga Live“, auch in der Wüste Arabiens

So einer bin ich. Ich gehöre zu denen, die sich selbst in Kriegsgebieten zu einem Internetcafé durchfragen, um bei allem Unbill der Zeitverschiebung den Liveticker des „Stadt-Anzeiger“ zu verfolgen, vergangenen Herbst etwa auf Reportagereise in Afghanistan, als wir 0:5 gegen Dortmund verloren, oder jetzt kürzlich in Pakistan bei den Pleiten gegen Nürnberg, Hamburg und Leverkusen. Selbst in den Wüsten Arabiens oder inmitten der Massenproteste von Teheran blieb ich mit dem Weltempfänger am Ohr immer von „Liga Live“ informiert.Und jetzt will der „Stadt-Anzeiger“ von mir eine feuilletonistische Betrachtung der Krise, in die der FC geraten sei.

Eine feuilletonistische Betrachtung! Ich bin nicht einmal Mitglied, so unfähig bin ich in dieser Angelegenheit zur nüchternen Reflexion, wollte immer nur mit dem FC fiebern, nicht selbst der FC sein, dachte, dass andere davon mehr verstünden als ich, der Krämer natürlich, aber auch der Thielen, der uns gemeinsam mit dem Weisweiler die letzte Meisterschaft bescherte, selbst an den Daum habe ich geglaubt, der zur Motivation die Meisterschaftsprämie von 40000 DM an die Kabinentür klebte, und als der Overath Präsident wurde, war ich felsenfest überzeugt, dass jetzt endlich alles gut werde. Denn schließlich, warum ist ein dreijähriger Westfale 1971 wohl FC-Fan geworden: Wegen Overath natürlich, wem sonst. Und dann ist die Bilanz meines Idols nach fünf Jahren die, dass der Verein schon wieder vor dem Abstieg steht, nur dass jetzt auch noch 30 Millionen Schulden auf den Etat drücken.

Ach, und das Elend währt schon so lange, länger als meine ältere Tochter lebt. Das muss man sich klarmachen, darin steckt auch pädagogisch eine Massenmisere: Alle Jugendlichen Kölns haben nie etwas anderes erlebt, als dass ihr Verein beziehungsweise in vielen Fällen ja nur noch der Verein ihrer unverbesserlichen Väter gegen den Abstieg spielte oder schon abgestiegen war. Das Real Madrid des Westens!

Toni Schumacher - die nächste Schnapsidee

Meine jüngere Tochter, die vier Jahre alt ist, habe ich bisher nur einmal mit ins Stadion genommen, und das war Gott sei gepriesen zu dem Spiel gegen Hertha, als der FC ausnahmsweise gewann. Sie denkt tatsächlich, der FC würde immer gewinnen, das sei so auf Erden. Ja, das ist so, sage ich, und erfinde seither Samstag für Samstag eine neue Ausrede, warum sie diesmal besser nicht mit ins Stadion kommt, es drohe Regen, es sei zu kalt oder der Gegner für uns einfach zu schwach, ein langweiliges Spiel. Allerdings dürften mir demnächst die Ausreden ausgehen. Denn jetzt könnte alles noch schlimmer kommen, jetzt droht nicht mehr nur der Abstieg, sondern der völlige Absturz, wenn man alles zusammennimmt, was der „Stadt-Anzeiger“– ein Fall für den Presserat – als „Krise“ verharmlost: Erst verweigern die Mitglieder dem Vorstand die Entlastung, ohne dass sich der Vorstand darum schert, dann bricht der Vorstand ohne Vorankündigung auseinander, dann die Geschäftsführung mit dem Manager, auf dem einmal meine größten Hoffnungen ruhten, dann die Mannschaft, jetzt ist auch noch der Trainer mitsamt seinem Teams entlassen, so dass man sich fragt, wer überhaupt noch abends die Lichter im Geißbockheim ausmacht. Nicht einmal mit den Fangesängen im Stadion klappt es mehr richtig, seit die Wilde Horde durchgedreht ist. Und dann sehe ich, was diese tolle Findungskommission nach Monaten intensivster Suche als neue Führung präsentiert und rufe schon wieder mein Gott-steh-mir-bei: ein Bayer-Manager, ein Karnevalspräsident und für die sportliche Leitung niemand anders als Toni Schumacher. Das ist doch die nächste Schnapsidee!

Toni Schumacher ist der weltbeste Torhüter aller Zeiten, dem ich trotz der Jahre in Leverkusen und der permanenten Angriffe gegen den FC noch immer den Sitzplatz auf der Ehrentribüne staubwischen würde. Aber wenn Toni Schumacher jemals etwas anderes unter Beweis gestellt hat, als dass er Bälle aus dem Winkel zu fischen vermag, dann ist es seine absolute Unfähigkeit zu strategischem Denken und diplomatischem Handeln. Ist denn schon vergessen, wie er die Fortuna zerstört hat, sieht denn keiner, dass er auch jetzt nur ein Interview benötigte, um mit seiner Unbedachtheit den wichtigsten Spieler des Vereins gegen sich aufzubringen? Ich kann es einfach nicht fassen: Der Mann wurde als sportlicher Leiter bei der Fortuna in der Halbzeitpause entlassen, und nun soll er Vize-Präsident beim FC werden.

Der Live-Ticker soll endlich bessere Ergenisse liefern

Gut, jetzt soll erst einmal der treue Schäfer die Mannschaft übernehmen, ein anderer blieb ja nicht übrig. Selbstverständlich werde ich mich Sonntag vor meiner Lesung in Norddeutschland zu einer Kneipe durchfragen, um gegen Mönchengladbach mit der Mannschaft zu fiebern. Dabei steht zu befürchten, dass sich im Falle eines Klassenerhalts erst recht nichts ändern wird am Geißbockheim. Dann werden der Bayer-Manager, der Karnevalspräsident und Toni Schumacher den FC in eine Zukunft führen, in der ich noch meine Enkelkinder vom Stadionbesuch abhalten muss.

Deshalb werde auch ich jetzt übernehmen und nach über 40 Jahren bloßer Anhängerschaft doch noch in den Verein eintreten, nur um bei der Mitgliederversammlung den Gegenkandidaten zu wählen. Allein schon, dass alle Mächtigen im FC gegen Karl-Heinz Thielen zu sein scheinen, spricht für ihn. Aber seine Vergangenheit natürlich auch (78 gemeinsam mit Weisweiler!).

Und wenn der „Kölner Stadt-Anzeiger“ noch einmal eine feuilletonistische Betrachtungsweise zum FC von mir will, soll er im Live-Ticker erst einmal bessere Ergebnisse abliefern. Sonst rufe ich den Presserat an.

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