„Schweizer Dorf“Am Westbahnhof halfen die Schweizer den Kölnern nach dem Krieg

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Zehn Baracken bildeten das Dorf.

Zehn Baracken bildeten das Dorf.

Köln – Im Jahr 1946 lag die Schweiz für Kölner gerade mal fünf Minuten vom Westbahnhof entfernt. Ein Sehnsuchtsort für große Teile der Bevölkerung, die unter den Folgen des gerade beendeten Krieges litt. Vor allem für Kinder, denn hier gab es „Ovomaltine“, eine Art Zaubertrank aus Malzextrakt, Zucker und Kakao. Von diesem Paradies, in dem es auch Schokolade, Wollsachen und viel menschliche Zuwendung gab, ist nur noch eine verfallene Holzbaracke übrig. Weder eine Gedenktafel noch ein Straßenname erinnern an die besondere kleine Siedlung.

„Schweizer Dorf“ wurde sie auch genannt. Es war eine Ansammlung von zehn, im Viereck angeordneten Baracken, gespendet von Schweizern für die notleidenden Kölner. Die Massenspeisungen und Kleiderabgaben sind vor allem für Kinder gedacht. Aber auch viele Erwachsene profitieren von ihnen. Eine überlebenswichtige Hilfe in einer Zeit, in der Zehntausende Menschen in Kellerlöchern, Bunkern, Bretterverschlägen oder Gartenlauben hausen und kaum mehr als die Kleider am Leib haben.

Die Helferin Iris Vuilleumier vom „Schweizer Dorf“ mit Kindern.

Die Helferin Iris Vuilleumier vom „Schweizer Dorf“ mit Kindern.

Im „Schweizer Dorf“ wurde, über die Versorgung mit Essen und Kleidung hinaus, soziale Beratung und Hilfe zur Selbsthilfe in Form kleiner Werkstätten angeboten. Eine Art soziales Zentrum der Stadt, die damals schnell wieder 600000 Einwohner hatte.

Barackendorf konnte nur am Venloer Wall gebaut werden

Geld und Rohstoffe für die Nothilfe, die es auch in anderen deutschen Städten gab, sammelte die Organisation „Schweizer Spende“, ein Ende 1944 gegründeter Zusammenschluss mehrerer Hilfsorganisationen im Nachbarland.

„Am Venloer Wall war eines von wenigen überhaupt infrage kommenden Grundstücken in der zerstörten Stadt, wo der Aufbau eines Barackendorfes überhaupt möglich war“, berichtet Franz Irsfeld, langjähriger Kreisvorsitzender der Awo. Zur Zeit der Entstehung des „Schweizer Dorfes“ war er noch ein Kind. Aber eine besondere Beziehung gibt es dennoch: „Bei meiner Einschulung hatte ich einen handgestrickten Pullover an, den meine Mutter in der Strick- und Nähstube des Schweizer Dorfes gemacht hatte“, erzählt Irsfeld.

Für das Schweizer Dorf am Venloer Wall war organisatorisch das Schweizer Arbeiter Hilfswerk verantwortlich. Es betraute zwei Frauen mit der Leitung. Zunächst hatte Lilly Tschudin die Verantwortung. Ihre Nachfolgerin war Iris Vuilleumier. Beide Frauen lieferten in Tagebucheinträgen zum Teil emotionale Schilderungen von Leben im Schweizer Dorf. Und sie protokollierten die Abgabe von Hilfsgütern mit Schweizer Präzision. Nicht nur darin zeigten sich Schweizer Tugenden.

Da die Meldung bedürftiger Personen Aufgabe lokaler Wohlfahrtsverbände wie der Caritas, des Deutsche Roten Kreuzes oder der Arbeiterwohlfahrt war, legten die Verantwortlichen des Dorfes großen Wert auf strikte Neutralität, um nicht in Verdacht zu geraten, einen Verband zu bevorzugen.

„Keine reine Wohltätigkeit, sondern Beihilfe zum eigenen Durchhaltewillen“

Das Prinzip der überparteilichen Hilfe war Teil des gesamtschweizerischen Charakters der Schweizer Spende. Sie stützte sich auf das gesamte Volk des Alpenlandes. Lilly Tschudin beschrieb die Tätigkeit der Helfer so: „Wir versuchten vor allem, unsere Hilfe auf sozial gesunde Familien auszurichten. Unsere Hilfe sollte keine reine Wohltätigkeit sein, sondern eine Beihilfe zum eigenen Durchhaltewillen.“ Die Historiker Markus Schmitz und Bernd Haunfelder schildern in ihrem Buch „Humanität und Diplomatie“ die Schweizer Hilfe in Köln ausführlich. Die Schweiz war das erste Land, das der hungernden deutschen Bevölkerung nach dem Krieg half.

Großen Einfluss darauf, dass Köln zu den Städten gehörte, in denen die „Schweizer Spende“ aktiv wurde, hatte der Schweizer Konsul Franz-Rudolf von Weiss. Er war seit 1920 in Diensten des Konsulats, das seinen Sitz in Köln hatte. Er pflegte intensive Kontakte unter anderem zu Konrad Adenauer. Von Weiss sorgte auch dafür, dass die Kinderklinik der Universität in 18 ausgedienten Schweizer Militärbaracken nach dem Krieg provisorisch ihren Betrieb aufnehmen konnte.

Die baufällige letzte Baracke des Dorfes.

Die baufällige letzte Baracke des Dorfes.

Kurz nach den Schweizern zogen weitere Hilfsorganisationen an den Venloer Wall. Nach Schließung des Dorfes übernahm die Stadt Köln das Gelände. Unter anderem wurde eine Kindertagesstätte gebaut. Auch die Arbeiter-Wohlfahrt Awo stieg früh ein in die Nothilfe. Das heutige Awo-Veranstaltungszentrum umfasst Teile des ehemaligen Dorf-Areals.

Letzte Baracke verfällt

Die verfallene Holzbaracke, die sich heute auf dem Gelände der Kindertagesstätte Amaro Kher des Vereins Rom e.V. befindet, dürfte das einzige Gebäude der damaligen Anlage sein. Es als „noch erhalten“ zu bezeichnen ist aber übertrieben. Es besteht akute Einsturzgefahr.

Wenige Schritte von der Barackenruine entfernt befindet sich das sogenannte Norwegerhaus des Quäker Hilfsdienstes, der von 1947 bis zum Umzug an die Kreutzerstraße 1955 am Venloer Wall Hilfe und soziale Arbeit für die notleidende Bevölkerung anbot. In dem von Bäumen verdeckten roten Holzhaus im skandinavischen Stil lebt eine Familie. Das gemauerte schlichte „Naturfreundehaus“ an der Franz-Hitze-Straße gehörte nicht zum Schweizer Dorf. Es wurde Anfang 1952 eröffnet.

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