Spurensuche in KölnAls die „Alweg-Bahn“ durch Fühlingen fuhr

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Die Teststrecke der Alweg-Bahn.

Die Teststrecke der Alweg-Bahn.

Köln – Auch die letzten Reste des längst vergangenen Zukunftsprojekts sind fast verschwunden. Die halb überwucherte Betonmauer neben dem Fühlinger Ortseingangsschild an der Neusser Landstraße im Süden des Stadtteils ist vielleicht 40 Zentimeter hoch und 25 Meter lang, niemand beachtet den unscheinbaren grauen Riegel am Straßenrand.

Dabei war er einst Bestandteil einer der geheimnisvollsten Verkehrs-Anlagen Deutschlands. Als „Transrapid der 1950er Jahre“ ging die Alweg-Bahn in die Geschichte ein, etwa 1,8 Kilometer lang war die Versuchsstrecke in der Fühlinger Heide.

Die Einschienen-Hochbahn, angetrieben von leisen Elektromotoren, deren Kraft über Gummiräder auf die Betonschiene übertragen wurden, sollte zumindest teilweise das übliche Zweischienen-System ersetzen.

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Die Alweg-Bahn war sicherer, platzsparender, schneller und günstiger als die konventionellen Stadtbahnen. Und sie wirkte damals auf die Kölner wie ein Transportmittel vom anderen Stern. Wenn ein Zug die Neusser Landstraße überquerte, staunten die Autofahrer Bauklötze. Vermehrte Auffahrunfälle sollen die Folge gewesen sein.

Hochkarätige Gäste aus aller Welt

„Das war eine Sensation“, sagt Adalbert Fischer, Vorsitzender des Fühlinger Bürgervereins. Als Kind durfte der 63-Jährige immerhin einmal mitfahren im revolutionären „Schienentorpedo“.

„Man hörte nur ein Rauschen“, so Fischer, der sich gut an die hochkarätigen Gäste aus aller Welt erinnert, die sich ein Bild vom Zug der Zukunft machen wollten. So stand Fischer etwa winkend am Straßenrand, als Bundeskanzler Konrad Adenauer ins beschauliche Fühlingen kam, auch Äthiopiens Kaiser Haile Selassie schaute vorbei. Rosemarie Rathje, damals etwa zwölf Jahre alt, gehörte zu vier Mädchen aus Fühlingen, die Selassi in seinem riesigen Cabrio begleiten durften.

Nach der Rundfahrt durch Fühlingen durfte auch sie in die Alweg-Bahn einsteigen: „Das war Wahnsinn“, sagt Rathje: „Das Volk durfte normalerweise nicht mitfahren.“

Vater der Sensation im Kölner Norden war der Schwede Axel Wenner-Gren („Alweg“), mit dessen Geld 1951 die „Verkehrsbahn Versuchsgesellschaft“ mit Sitz in der Fühlinger Heide gegründet wurde. Der schwerreiche Großindustrielle habe offenbar einen Beitrag zum Wiederaufbau der deutschen Nachkriegswirtschaft leisten wollen, schreibt Reinhard Krischer in seinem Buch über die Alweg-Bahn.

Außerdem wollte er das besondere Know-how der deutschen Ingenieure nutzen. Nur ein Jahr später, nach streng geheim gehaltenen Vorarbeiten, die die Presse gerade deshalb brennend interessierten, ging die erste Strecke für unbemannte Versuchszüge in Betrieb. Sie war oval und befand sich östlich der Neusser Landstraße.

Im Oktober 1952 wurde ein funktionsfähiger Modellzug im Maßstab 1:2,5 der Öffentlichkeit vorgestellt. Zur Versuchsstrecke gehörten ein Verwaltungsgebäude, Konstruktionsbüros, Werkstätten, und Fahrzeughallen. Auch ein kleines Kraftwerk für die Stromversorgung wurde gebaut sowie ein Kontrollturm, von dem aus der Versuchszug gesteuert wurde. Das erste Gefährt sah aus wie ein Flugzeug ohne Tragflächen, 24 Elektromotoren beschleunigten ihn auf maximal 160 Stundenkilometer.

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Fünf Jahre später stellten die Ingenieure einen Zug in Originalgröße vor, der mit einem Flugzeug nur noch wenig gemein hatte. Die Strecke hatte jetzt nicht mehr die Form eines Kreises, sondern war eher eine Linie mit 90-Grad-Kurve. Die Züge konnten Passagiere aufnehmen, sie querten die Neusser Landstraße und hielten an einem richtigen Bahnhof.

„Die Strecke ist komplett neu gebaut worden“, so Jörg Seidel, Vorstandsmitglied des Rheinischen Industriebahn-Museums: „Man wollte den Politikern vorführen, wie die Bahn funktioniert.“ Da die Strecke nicht mehr kreisförmig verlief, mussten die Züge ständig die Fahrtrichtung wechseln.

Kölns Oberstadtdirektor Max Adenauer gehörte zu den wenigen Kommunalvertretern, die das Potenzial der Bahn erkannten. Er schlug vor, die Kölner Innenstadt mit Leverkusen und Opladen per Hochbahn zu verbinden. Ein Modell zeigte damals den Wiener Platz in Mülheim mit einer auf Stützen stehenden Trasse, darunter schlängelten sich Straßenbahnen und der Autoverkehr.

Doch aus der von Alweg heiß ersehnten Referenzstrecke wurde nichts. „Die Firma Alweg musste hilflos zusehen, wie die zuständigen Kommunalbürokratien von Köln, Leverkusen und Opladen sich vor allem aus finanziellen Gründen gegen dieses Projekt wehrten“, schreibt Reinhard Krischer, dessen Vater Konstruktionsingenieur bei Alweg war. Auch alle weiteren Hoffnungen, die Hochbahn in den städtischen Alltag zu integrieren, zerschlugen sich – zumindest in Deutschland.

In Tokio, Seattle und auch im kalifornischen Disneyland fahren Bahnen nach dem Alweg-Prinzip noch heute. Doch die Fühlinger Teststrecke wurde 1967 abgebaut, ihre Konstrukteure packten bitter enttäuscht ihre Koffer.

Die kleine Betonmauer am Fühlinger Ortseingangsschild soll zum Eingangsbereich des Alweg-Geländes gehört haben. Sie ist das einzige sichtbare Relikt des Vorzeige-Projekts, das einst in aller Welt Schlagzeilen machte. Möglicherweise existieren noch Pfeiler der Hochbahn. Wenn es sie gibt, dann stehen sie allerdings unter Wasser. Denn dort, wo einst Deutschlands Nahverkehr revolutioniert werden sollte, entstand später die Erweiterung des Fühlinger Sees.

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