Alte WeltmeisterFaszinierende Kölner Leistungssportler

Lesezeit 10 Minuten
20160316max-sport08

Kristin Kunze hat ihre Liebe für das Turmspringen erst spät entdeckt.

Leistungssport ist keine Frage des Alters. Wer sich messen will, der soll es tun.  Fünf Menschen aus Köln erzählen hier, warum Leistungssport kein Privileg der Jugend ist.

Fünf faszinierende Porträts, die voller Bewunderung stecken, Lebensläufe, die staunen lassen und dazu wunderschöne Fotografien von Max Grönert.

Leichtathlet mit 76 Jahren

Wolfgang Tuchen, SC Pulheim

Alles zum Thema RWE

Seit meinem 15. Lebensjahr mache ich Leichtathletik. Ich bin in Berlin geboren und kam dann, glaube ich, 1957 nach Dortmund, und habe in der Bundeswehrsportschule trainiert. Später bin ich zum ASV in Köln gewechselt und hatte dort Kollegen wie Manfred Germar, der ein Jahr zuvor eine Medaille bei den Olympischen Spielen gewonnen hatte.  Ich selbst war gar nicht schlecht: Ich bin 10,7 Sekunden auf 100 Meter gelaufen und bin  7,13 Meter weit gesprungen.Sport-

Während meines Studiums zum Maschinenbauingenieur habe ich weniger trainiert. Ich hatte Glück, denn mit 56 Jahren  konnte ich aufhören zu arbeiten, habe  einen Trainerschein für die Leichtathletik gemacht und noch ein  Studium an der Sporthochschule in Köln absolviert.  Ich habe immer  nette Leute über den Sport kennengelernt. Zum Beispiel den ersten  schwarzen Sportstudenten. Der  kam aus Ghana und ihn habe ich  42 Jahre später hier wieder getroffen. Da kam er als Sportminister  hierher zu Besuch.  

Hier unter den Seniorenleichtathleten sind echte Freundschaften entstanden und auch bei den    Wettkämpfen habe ich internationale Freunde gefunden. Dieser Zusammenhalt unter den Sportlern ist unglaublich groß. Ich finde, die sportliche   Komponente steht gar nicht so sehr an erster Stelle, sondern die soziale. Mensch, es gibt Leute, die verfaulen bei lebendigem  Leibe, weil sie nicht wissen, was sie machen sollen.  Wir treffen uns,  machen Sport in der Gruppe,   treten als Mannschaft an.

Wir sind ein bisschen bekloppt...

Es kommt ja nicht auf Leistung an. Wir sind  hier ein bisschen bekloppt, dass wir noch an Meisterschaften teilnehmen, an Deutschen und Europa- und Weltmeisterschaften und auch noch Medaillen gewinnen.  Aber es ist auch eine Mordsfreude den Breitensportlern zuzusehen, die auch wissen, wie man feiert.  Das ist Lebensqualität im Alter. Und dafür kann man selber sorgen.

Weitsprung, Sprint und Fünfkampf

Ich trete  im Weitsprung, Sprint und Fünfkampf an, also Weitsprung, Speer, Diskus, 200- und 1500-Meter-Lauf. Ich trainiere zwischen zwei und dreimal in der Woche. Es geht nicht darum, zu knüppeln.  Weniger ist manchmal mehr.  Wir alle achten darauf, dass wir uns nach dem Training  besser fühlen als vorher.  Man muss seinen Körper kennen.  Ich möchte gerne bei der WM  in Australien im Oktober mitmachen und  im Weitsprung starten.   Ich springe  vier Meter plus minus. Das ist tagesformabhängig. Manchmal treffe ich den Balken  und  haue richtig einen raus.

Turmspringerin mit 74 Jahren

Kristin Kunze trainiert im Verein TPSK in Köln

Ich werde in diesem Jahr 75 und dann bin ich  in meiner Jahrgangsstufe   die Jüngste. Aber ehrlich gesagt, spielt das für die Wettkämpfe fast  keine Rolle. Denn  in Deutschland bin ich die einzige  Turmspringerin in dem Alter, die noch an den Start geht.   International sieht das anders aus.  Da gibt es einige ältere Athletinnen.  Und das ist  das Tolle:   Man lernt über den Sport viele Gleichgesinnte und  auch Vorbilder kennen.   Als ich irgendwann auf einem Wettkampf einer   80-jährigen Turmspringerin begegnet bin, habe ich gemerkt:  Da will ich hin! Ich will nach vorne sehen! Und es geht.   Ich habe erst nach 45 Jahren wieder mit  diesem  Sport angefangen.  Ausschlaggebend war für mich unter anderem eine  kaputte Halswirbelsäule, was wohl eine Folge meines Berufs  war. Als Zahnärztin habe ich immer eine sehr unvorteilhafte Haltung eingenommen.   Ich hatte extreme Schmerzen. Die Diagnose:   Kann man nichts mehr machen!  Damit wollte ich mich nicht abfinden.

Training einmal pro Woche

Dann traf ich hier im Verein, dem TPSK, auf Menschen, die älter als 50 waren und immer noch trainierten. Sie rieten mir, mitzutrainieren und die Muskulatur aufzubauen. Ich war zur Probe hier und es machte mir Spaß! Seither trainiere ich einmal in der Woche in Köln, zwischendurch in meinem Wohnort Engelskirchen und mache jeden Tag Gymnastik. Ich habe  keine Beschwerden mehr. Überhaupt nicht. 

In den Wettkampfsport bin ich dann einfach reingerutscht. Ich springe bei in- und ausländischen Meisterschaften und dieses Jahr auch wieder bei Europameisterschaften mit. Dabei geht es mir  nicht ums Gewinnen. Mir ist wichtig, dass der  Sprung einfach ist, gut und  elegant. Die richtige Form zu finden, den guten Absprung und das tadellose Eintauchen. Das Gefühl dafür zu bekommen, für eine Übung, die so kurz ist, zwei Sekunden vielleicht.  Wenn ein Sprung gelingt, löst das ein ungeheures Glücksgefühl aus. Und das ist mit 74 genauso wie mit 24.  Wir haben ja alle  ein bestimmtes Bild  vom Alter in uns: Als wir  30 waren, waren  50-Jährige ganz weit weg. Wir hatten doch keine Ahnung davon, was es bedeutet. Plötzlich bist du selbst 60 und es fühlt sich anders an als du dachtest.

Viele Ältere sitzen vielleicht wirklich den ganzen Tag auf dem Sofa. Aber es gibt andere, vor allem in der Kunst oder im Sport, die über ihren Schatten springen.  Jedes Mal, wenn ich in einem öffentlichen Schwimmbad springe, dann sprechen mich auch Erwachsene  an, die sich auch mal trauen möchten.  Ich bringe sie dann dazu und sie sind ganz glücklich. Ich merke, ich mache Mut.

Sprinterin mit 74 Jahren

Hanne Venn ist beim SC Pulheim

Ich habe bis zum meinem 19. Lebensjahr Leichtathletik  gemacht. Damals war ich auf einem Mädchengymnasium und  der Sport hat mir wirklich  viel Ansehen eingebracht. Leider musste ich aus verschiedenen Gründen aufhören und habe erst wieder angefangen als meine Tochter  die Leichtathletik für sich entdeckte. Ich machte mein Sportabzeichen und stellte fest, dass ich immer noch sehr schnell war. So schnell, dass ich innerhalb eines Jahres   mit der Jugend trainieren konnte.  Ich war 41 Jahre alt, als ich mit meiner Tochter in derselben  Staffel gelaufen bin. Mit 45 bin ich noch 12,8 Sekunden auf 100 Meter gerannt.  Die 400  Meter   noch in 62,6. Schade, meinte mein Trainer damals. „Wenn wir das früher gewusst hätten, wir hätten eine super 400 Meter-Läuferin aus dir machen können.“

Mehrfach Deutsche, Europa-, und Weltmeisterin

Ich habe dann im Seniorenbereich Wettkämpfe mitgemacht und war mehrfach Deutsche, Europa-, und Weltmeisterin.  Und ich mache die Sache heute immer noch,  weil ich auf den Wettkämpfen eben viele Menschen in meinem Alter kennenlerne, die auch dabeibleiben. Die wiederzusehen ist  ein großer Antrieb.

 Natürlich kommt man rum, macht nicht nur den Wettbewerb mit, sondern  auch Urlaub. Ich möchte  zur WM nach Perth im Herbst. Auch wenn ich keine Chance habe. Ich bin die Älteste  in meiner Klasse, das heißt die Jüngsten sind fünf Jahre jünger und das macht sich in diesem Alter erbarmungslos bemerkbar. Aber nächstes Jahr könnte ich noch mal durchstarten. Dann bin ich die Jüngste der nächsthöheren Klasse.

Man bleibt gesund und innen jung

Natürlich bin ich ehrgeizig und gewinne gerne. Aber ich kann auch verlieren und mit Würde hinterherlaufen. Außerdem relativiert sich vieles, wenn ich andere sehe, die zum Beispiel schon in meinem Alter einen Rollator brauchen. Ich bin dankbar,   dass ich  mitmachen darf. Man bleibt gesund und innen jung. Denn irgendwie  ist man bei den Veranstaltungen eine von vielen und das Alter spielt keine große Rolle. Man ist eben Athletin.    Ich weiß nicht, wie lange meine Knie noch mitmachen. Ich habe Arthrose vierten Grades. Aber ich habe das durch Krafttraining und Gymnastik im Griff. Ich hänge sehr am Sport und lasse Zipperlein eigentlich nicht gelten.  

Tennisspieler mit 82 Jahren

Günter Schwellnus trainiert beim Kölner HTC Blau-Weiß

Das hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich einmal mit 81 Jahren Weltmeister werde. Ich habe ja erst mit  47 Jahren angefangen, Tennis zu spielen.    Natürlich habe ich mich immer bewegt. Früher habe ich ein bisschen Fußball gespielt in Kenten, einem  Vorort von Bergheim. Dann bin ich auch  Rad gefahren,  habe 15 Jahre lang mit meiner Frau getanzt und    ein Abzeichen  in Cha-Cha-Cha gemacht, damals auf dem Kreuzfahrtschiff Achille Lauro.  

Mit 66 das erste Mal international gespielt

Ich habe auch immer tüchtig gearbeitet, so  ist das ja nicht. Ich habe Schlosser gelernt, mit 32  meinen Meister gemacht und  habe mich bei RWE bis zum Abteilungsleiter hochgearbeitet.  Mit 60 bin ich in Rente gegangen und   habe als  66-Jähriger  zum ersten Mal international Tennis gespielt.

Das allererste Turnier werde ich niemals  vergessen.  In der ersten Runde verlor ich gegen jemanden, der so alt war wie ich und in der  deutschen Rangliste unter den ersten zehn war.  Dann  habe ich aber die Nebenrunde gewonnen und bekam einen Trainingsanzug von Lotto geschenkt. So etwas hatte ich noch nie an. Das war ein Anzug, den trug der Becker in seiner besten Zeit. Jetzt war ich geil auf Tennis.

Weltranglistenplatz 10

Ich habe dann  hier und da einen Titel errungen und war mehrfach Deutscher Meister. In der deutschen Rangliste stehe ich im Moment auf dem zweiten Platz.  Und in der Weltrangliste stehe ich  im Einzel auf Platz zehn im Doppel auf Platz Sieben. Also in der Welt! Das kann man sich ja gar nicht richtig vorstellen. Da ist einer aus Kenten, der ist auf der Platz Sieben!  Der Deutsche Tennisbund wurde irgendwann auf mich aufmerksam und hat mich  2009 in die Nationalmannschaft geholt. Wir fuhren  zur Weltmeisterschaft nach Australien. In den Jahren darauf haben wir uns immer weiter gesteigert, waren mehrmals Vizeweltmeister. Und im vorigen  Jahr haben wir endlich den Titel geholt.

Ich bin der Älteste und verliere selten

 Ich bin vor zehn Jahren in Bergheim weggegangen, einfach weil ich mehr wollte.  Hier in Köln fühle ich mich sehr wohl. Ich bin der Älteste und verliere  selten.  Ohne Ehrgeiz geht es nicht.  Ich trainiere mindestens einmal in der Woche. Gehe ins Fitness-Studio und zuhause habe ich ein Fahrrad, ein Rudergerät und ein paar Hanteln. Jeden Tag mache ich Gymnastik. Ich hatte auch schon Verletzungen, aber ich habe mich immer wieder rangekämpft, um den Anschluss nicht zu verlieren. Und die Freundschaften, das glauben Sie ja nicht!  Die schönste Krawatte habe ich vom Mannschaftsführer aus Südafrika geschenkt bekommen. Die trage ich am liebsten.  Ich schreibe immer noch Mails an Freunde in Perth.  Mein nächstes Ziel? Wenn der DTB mich braucht, dann bin ich da. Aber am wichtigsten ist: Meine Ehe klappt. Ich bin seit 58 Jahren verheiratet.  

Badmintonspielerin mit 58 Jahren

Heidi Bender trainiert beim SC Pulheim

Ich habe ja schon einige Titel geholt, aber im letzten Jahr bei den Weltmeisterschaften waren es sogar  drei.  Die Goldmedaille im Einzel,  Doppel  und Mixed.  Das war schon etwas Besonderes und dann bin ich vom Europäischen Badminton-Verband  zur Senioren-Spielerin des Jahres 2015 in Europa nominiert  worden. Das ist  wirklich eine Ehre, womit ich nicht gerechnet habe und daher umso glücklicher bin. Badminton ist eben ein Teil meines Lebens seit ich elf Jahre alt  bin.

WM-Teilnahme in der Jugend

Auch damals also in der Jugend , habe ich es bis zur mehrmaligen Deutschen Meisterin geschafft,   war bei Europa- und Weltmeisterschaften dabei. Warum aufhören? Ich werde auch immer noch gerne angeleitet. Derzeit habe ich einen vietnamesischen   Trainingspartner, der mich aufs Neue  herausfordert. Es macht einfach viel Spaß! Ich spiele gegen Ältere und Jüngere und kann immer noch  gegen Gegner gewinnen, die 30 Jahre jünger sind als ich.  

Das Ganze hält eben fit. Beim Badminton  sind Schnelligkeit, Ausdauer und Spielwitz  gefragt.   Ich selbst liebe es zu zocken, also mit Körpertäuschungen zu tricksen. Da ist meine Spezialität.  Ich  bin fast an fünf Tagen der Woche in der Halle, trainiere selbst und gebe Training.  Ja, es ist anstrengend. Ich arbeite  auch noch und habe einen ganz normalen 38-Stunden-Job als Assistentin der Geschäftsleitung sowie  Justiziariat in einem Verlag.   Zusätzlich das Training und die vier oder fünf Turniere im Jahr.   Angetrieben werde ich  außerdem von meinem Mann, mit dem ich gemeinsam zu den Wettkämpfen anreise.  Manchmal machen wir einen Urlaub draus. Die Sportler, die ich dann immer wieder treffe,  sind  so etwas wie eine große Familie für mich geworden.   Nächstes großes Ziel?  

EM im September ist das nächste Ziel

Zunächst die EM im September in Slowenien, wo ich meinen Einzel- und Doppeltitel verteidigen möchte und 2017 die WM in Indien. Das würde mich  sehr reizen.

Ich denke, ich bin einfach ein bisschen verrückt, was den Sport betrifft.  Ich hatte  zwischenzeitlich einen Bandscheibenvorfall und eine Schulteroperation.  Aber nach den Behandlungen stand ich wieder auf dem Feld. Die Quali für die EM? Geschafft!

KStA abonnieren