AnnenMayKantereit„Wir haben keine Angst vor Größe“

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Die Band, von links nach rechts: Henning May, Severin Kantereit, Malte Huck und Christopher Annen.

Die Band, von links nach rechts: Henning May, Severin Kantereit, Malte Huck und Christopher Annen.

Köln – Henning May, wir haben uns oft gefragt: Wie kann ein junger schmächtiger Mann mit dieser – so steht es im Band-Info – „Schleifpapierstimme“ singen?

Henning May: Wie das möglich ist, ist schwierig zu erklären. Wir haben viel Straßenmusik gemacht, und da muss man viel brüllen. Außerdem habe ich eine tiefe Stimme. Ich verstehe, dass man damit ein gewisses Alter assoziiert. Das ist aber ein Kontrast, den wir als Band genießen, weil er uns oft eine gewisse Aufmerksamkeit beschert. Man muss nicht unbedingt einen ausufernden Lebenswandel haben, um rauchig singen zu können. Man kann ja auch Rock’n’Roll-Musik machen, ohne dass man sich jeden Abend abschießt. Hoffe ich jedenfalls.

Ihr seid vor allem durch eure Liveshows bekannt geworden – also das Gegenteil einer Studioband. Wie schwer sind euch die Aufnahmen „Alles Nix Konkretes“ gefallen?

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Severin Kantereit: Man muss als Band seinen Weg finden, wie man mit so einem Studio umgeht. Aber im vergangenen Jahr haben wir gemerkt: Studio ist auch schon geil.

May: Der Begriff Studioband impliziert ja, man schreibt auch die Lieder im Studio. Und das ist bei uns nicht der Fall. Die Songs sind zum Teil schon vier Jahre alt. Klar bekommen wir da auch Gegenwind, dass jemand sagt, zehn der zwölf Lieder auf dem Album kenne ich schon, was soll der Scheiß? Aber das ist unsere Taktik: Wir üben das live. Dann werden wir da besser drin und bringen es im Studio auf den Punkt.

Gibt es nach so vielen Konzerten noch Überraschungen im Studio?

May: Was mich überrascht hat: Wir haben „Oft gefragt“ bestimmt 600-mal gespielt, im Probenraum und live. Und dann spielt man das Lied im Studio, und trotzdem ist es noch emotional. Überraschend war für mich auch, dass wir doch mehr Qualitäten besitzen, als ich dachte: Wir konnten ein Lied viermal hintereinander im exakt gleichen Tempo spielen!

Eure Tournee wird immer größer. Gibt es für euch eine Grenze des Wachstums, wo Konzerte nicht mehr funktionieren?

May: Natürlich ist unsere Tour groß, weil auch die Nachfrage groß ist. Da können wir nicht sagen, wir spielen nur in Dreihunderter-Läden, weil wir das cool finden. Man kann schon sagen, dass wir eine Grenze ziehen, dass bestimmte Mehrzweckhallen wie die Lanxess-Arena für uns nicht möglich sind, aber dass wir grundsätzlich keine Angst vor Größe haben. Es ist schon geil, auf einem Festival vor 8000 Leuten zu spielen. Ich habe keine Angst, dass unsere Musik dann weniger intim oder weniger wertig ist.

Kantereit: Wir haben gemerkt, dass man da schön Schritt für Schritt gehen muss. Man muss das ja auch lernen, so eine Bühne zu füllen.

AnnenMayKantereit über das Arbeiten mit guten Freunden

Wie kompliziert ist es, sich mit einer Crew zu umgeben, die man in erster Linie aus Freunden generiert. Je größer die Band wird , desto größer ist auch die Gefahr, dass Freundschaften den Bach runtergehen …

Kantereit: Wir fühlen uns sehr wohl mit unserer Crew, die über einen so langen Zeitraum gewachsen ist. Aber man muss natürlich aufpassen, dass man nicht nur Freunde reinholt, weil es Freunde sind. Die Professionalität darf darunter nicht leiden.

Ihr macht seit fünf Jahren zusammen Musik. Seid ihr privat immer noch so eng befreundet wie 2011?

Christopher Annen: Wir verbringen so viel Zeit miteinander, dass es gar nicht gehen würde, sich nicht gut zu verstehen.

May: Ich gehe aber zum Beispiel mit Severin kein Bier trinken. Wir wohnen zusammen, wir spielen zusammen in einer Band, das reicht uns dann. Und ich glaube, nach drei Monaten auf Tour werden wir uns in der ersten Woche nicht unbedingt zum Playstation spielen treffen.

Der Song „Das Krokodil“ beschreibt eure Tour-Erlebnisse. Sind die Backstage-Räume inzwischen nicht besser, als dort beschrieben?

May: Das ist mehr in die Vergangenheit gerichtet, da verarbeiten wir die Eindrücke der Tourneen von 2013 und 2014. Ein Beispiel: Der Irish Pub im Mainzer Hauptbahnhof, da bekommst du auf der Bediensteten-Toilette Pommes serviert und denkst, was soll das? Dass Veranstalter dich betuppen, wenn sie können, das mussten wir erst lernen.

Viele Bands haben enorme Probleme mit dem zweiten Album, weil sie mit ihrem Debüt endlos lange auf Tour gehen und wenig erleben, worüber sie Songs schreiben könnten. Gehen euch mittelfristig die Themen aus?

May: Aber man erlebt als Mensch ja trotzdem die gleichen Konflikte. Ob das Verlust ist, Liebeskummer, beruflicher Druck, Spannung unter Verwandten, vielleicht sogar den Tod eines Verwandten. Das sind Auseinandersetzungen, die man auch auf Tour führt. Wir machen uns da wenig Sorgen. Letzten Endes gibt es immer genug Dinge, die wir mit anderen Leuten teilen werden.

Band-Geschichte

AnnenMayKantereit begannen 2011 in der Besetzung Christopher Annen (Gitarre), Henning May (Gesang, Klavier) und Severin Kantereit (Schlagzeug). Die drei kennen sich seit ihrer Schulzeit am Schiller-Gymnasium in Sülz. 2014 kam Malte Huck (Bass) dazu. Durch Straßenshows erspielte sich die Band eine treue Fangemeinde.

„Alles Nix Konkretes“ erscheint am 18. März bei Universal. Die beiden Konzerte im Kölner Palladium (13./14. Mai) sind bereits ausverkauft. (ksta)

Die neue Single „Pocahontas“ kreist um Liebeskummer, einige andere Songs auf „Alles Nix Konkretes“ auch. Ist es generell einfacher, über eine Trennung zu singen als über gelungene Zweisamkeit?

May: Ich glaube, dass bei negativen Gefühlen der Drang, sich mitzuteilen, viel stärker ist. Wenn du eine schöne Zeit erlebst, denkst du nicht: Diese Schönheit ertrage ich nicht, das muss raus! Das ist anders, wenn du in dir einen Schmerz fühlst, den du rauslassen möchtest, weil du ihn alleine nicht erträgst. Es ist nicht einfacher, aber naherliegender, über Schmerz zu schreiben als über Glück.

Viele Lieder drehen sich um das Gefühl, noch nicht angekommen zu sein. Entspricht das eurem derzeitigen Lebensgefühl?

May: Dass man sich ein bisschen zwischen Tür und Angel befindet, das ist halt so. Und damit muss man irgendwie zurechtkommen.

Kantereit: Wir studieren eben nicht auf Lehramt und wissen, in drei Jahren sind wir damit fertig. Wir touren und haben da Bock drauf und machen das hoffentlich noch die nächsten 30 Jahre, aber keiner kann sagen, welche Formen das annimmt.

Viele berühmte Bands wie Queen oder Guns’n’Roses verkörperten einen gewissen Größenwahn. Ihr singt über den Wunsch nach einer Zweizimmer-Altbauwohnung. Das klingt äußerst bescheiden …

May: Was ist die Frage?

Ist das euer nächstes Ziel im Leben, die Zweizimmer-Altbauwohnung?

May: Das war eine Momentaufnahme. Als ich den Text für meine damalige Freundin geschrieben habe, hätte ich mir gewünscht, dass sie zusammen mit mir in eine Zweizimmerwohnung zieht. Ich wollte diesen Wunsch auch nach außen tragen und ihr bewusst machen. Severin und ich wohnen immer noch in der WG, es ist also nichts daraus geworden.

AnnenMayKantereit über Selfies und Autogrammwünsche

Die Beatles haben ihr Beatles-Gefühl später so beschrieben: Niemand wusste eigentlich, was da los ist, außer den vier Musikern selbst. Geht euch das manchmal ähnlich?

May: Es ist wichtig, dass man sich als Band Geheimnisse bewahrt. Es gibt in meinen Texten ganz viele Anspielungen, die nur die drei anderen verstehen. Ich kann auch mit keinem anderen drüber reden, wie das ist, wenn ich beim Einkaufen erkannt werde.

Versuchen Sie es: Was passiert, wenn man erkannt wird?

Annen: Manche Leute wollen sich ganz klassisch ein Selfie abholen oder ein Autogramm. Das mache ich aber super-ungerne. Ich finde es am schönsten, wenn man kurz auf der Straße mit jemandem ins Gespräch kommt. Im Moment geht das auch noch. Wenn Casper über die Schildergasse geht, wäre da der Bär los.

So etwas könnte euch aber schon noch passieren …

May: Mich hat letztens ein Freund gefragt, ob ich Schiss davor habe, dass bald jeder meine Fresse kennt. Ich habe mal ganz spontan ja gesagt. Natürlich ist das mit einer gewissen Angst verbunden, dass man ein großes Stück an Privatsphäre verliert.

Euer Album „Alles Nix Konkretes“ erscheint nun gleich beim Branchenriesen Universal Music. Ein großes Wagnis?

May: Wir haben uns das sehr gut überlegt. Nach fünf Jahren kann man durchaus mal einen Vertrag bei einem Label unterschreiben, andere Bands machen das viel früher, und tun das unüberlegt. Wir haben uns alleine so weit entwickelt, dass das Label auch gar kein Interesse hat, uns reinzureden. Mit unserer EP waren wir bei einem kleinen Versand, den wir sehr schätzen. Die waren aber mit der Nachfrage überfordert, und dann kriegten wir Hunderte Beschwerde-Mails: „Ich warte schon vier Tage auf meine CD!“ Die Leute sind es einfach nicht mehr gewohnt, länger als vier Tage auf irgendetwas zu warten.

Wenn ihr als Newcomer zu Universal gekommen wärt, hätte die Plattenfirma wahrscheinlich erst mal gesagt: Nicht mit dem Namen, Jungs!

May: Vor drei Jahren hätten die auf jeden Fall probiert, mit uns über den Namen zu diskutieren.

Eure bisherige Karriere liest sich wie ein ganz schlauer Masterplan. Was war der Punkt, an dem ihr gemerkt habt, das ist nicht nur Hobby?

Kantereit: Es gab nicht die eine große Erleuchtung, es waren immer kleinere Schritte, wo man gemerkt hat: Das kann mehr werden. In Köln war das unser Auftritt im Gebäude 9. Natürlich gab es auch mal Phasen, wo wir uns gefragt haben: Ist das alles so richtig, sollten wir nicht lieber studieren?

Habt ihr ab und zu Fluchtgedanken?

Kantereit: Nein. Ist ganz schön so.

May: Ich habe auf jeden Fall manchmal Fluchtgedanken. Neulich in Hannover bin ich aufgewacht und mir war klar, dass wir den ganzen Tag über Interviews geben werden und danach abends noch ein Konzert. Mir ging es an dem Tag nicht gut, und dann habe ich schon darüber nachgedacht: Du könntest auch liegen bleiben.

Eure Lieder entstehen aus privaten Situationen, sie sind nicht ausgedacht wie etwa Randy Newmans Rollenprosa. Wie fühlt es sich an, wenn man vor Publikum steht und die singen einem diese Textzeilen entgegen?

May: Durchaus genießbar. Es ist ein tolles Gefühl, wenn wir das Lied für meinen Vater spielen und dann singen 900 Leute „Zuhause bist immer nur du“. Es kann aber auch komisch werden. Wenn du zum Beispiel ein Lied für ein Mädchen schreibst, wie „Es tut mir leid, Pocahontas“, und dann singen das ganz viele Menschen, die eigentlich überhaupt nicht wissen, worum es geht. Aber man darf das niemandem verübeln. Letztlich bin ich für jeden dankbar, der mitsingt.

Wie ist das denn für die jeweils Gemeintem, also Eltern, Freundinnen und Ex-Freundinnen?

May: Mein Vater freut sich. Er findet es aber auch verwirrend, wenn er zur Arbeit fährt und dann läuft „Oft gefragt“ im Autoradio. Für meine damalige Freundin ist es auch verwirrend, wenn sie im Radio ein Lied mit ihrem Spitznamen hört. Die Reaktionen sind sehr gemischt. Es gab auch eine Frau, die ihr Lied nicht hören wollte. Die Dame von „Barfuß am Klavier“ wollte davon nichts wissen.

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