Archiv-EinsturzStadt Köln und Staatsanwalt bestätigen KStA-Bericht über neue Beweise

Lesezeit 6 Minuten
Das Historische Stadtarchiv am Waidmarkt nach dem Einsturz am 2. März 2009.

Das Historische Stadtarchiv am Waidmarkt nach dem Einsturz am 2. März 2009.

Köln – Die Kölner Stadtverwaltung und die Staatsanwaltschaft bestätigen einen Bericht des „Kölner Stadt-Anzeiger“ über Fortschritte bei den Ermittlungen zum Einsturz des Stadtarchivs.

Demnach wurde in der östlichen Schlitzwand der angrenzenden U-Bahn-Baustelle, in der Fuge zwischen den Lamellen 10 und 11, ein Steinklotz entdeckt. Dieser könnte das fehlende Puzzleteilchen für die Theorie der Staatsanwaltschaft sein, wonach das Unglück durch ein Loch in der unterirdischen Baustellenwand verursacht wurde.

Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer bestätigte die festgestellten Auffälligkeiten an der Schlitzwand, also den Steinblock und die darunterliegende Lücke. „Sie stützen unsere bisherige These der schadhaften Schlitzwand“, so Bremer gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Alles zum Thema Kölner Verkehrs-Betriebe

Schon länger vermuten die Ermittler, dass die Lücke, durch die die Erde am 3. März 2009 in die KVB-Grube geströmt sein soll, durch einen bei den vorherigen Bauarbeiten nicht entfernten Gegenstand verursacht worden sein könnte. Unmittelbar unter dem Steinbrocken klafft nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ein 60 Zentimeter breiter Spalt in der Baustellenwand. Auch diese Öffnung bestätigt die Stadtverwaltung jetzt und führt aus, dass die Lücke mit Sand und Kies gefüllt ist – anstatt mit dem eigentlich dafür vorgesehenen Beton. 

Steinblock entdeckt

Etwa 28 Meter unter der Erdoberfläche strömten Wasser, Kies und Sand in die U-Bahn-Grube am Waidmarkt. Oben brach der Gehweg ein. Ein Riss, der in Höhe des zweiten Stocks auf das Nachbarhaus übergriff, zerteilte diagonal die Fassade des Stadtarchivs. Sekunden später neigten sich die Gebäude mit einem ohrenbetäubenden Knall in Richtung Straße und sackten in sich zusammen.

Beim Einsturz am 3. März 2009 starben zwei junge Männer. Es entstand ein Sachschaden, der auf 1,2 Milliarden Euro geschätzt wird. Wenngleich die Folgen der Katastrophe schnell klar waren, dauert die Suche nach den Schuldigen auch heute noch an. Fehlerhafte Bodenuntersuchungen, illegale Brunnen, leichtsinnig und zu viel abgepumptes Wasser, falsche Bauprotokolle und fehlende Kontrollen: Es gibt vieles, was beim Bau der U-Bahn-Grube Waidmarkt falsch gelaufen sein soll.

Ein vermutetes Loch zwischen Lamelle 10 und 11, zwei Bauteilen der unterirdischen Baustellenwand, wird von einigen Insidern jedoch als denkbare Hauptursache für die Katastrophe gesehen. Und der Steinblock sowie die darunter liegende 60 Zentimeter breite Lücke, die jetzt nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ von Tauchern in einer Tiefe von 27 bis 28 Metern entdeckt wurden, könnten zu der Wandbruch-These passen, die neben Stadt und Kölner Verkehrs-Betrieben (KVB) auch die Kölner Staatsanwaltschaft für möglich hält.

Wann rutschte der Steinblock?

Der vom Gericht für die Beweissicherung beauftragte Gutachter beschäftige sich derzeit zwar noch mit der Frage, ob der Steinblock womöglich erst während des Unglücks in diesen Bereich gerutscht ist – und somit eben doch keine Ursache für die Katastrophe sein kann. Lage und Beschaffenheit des Brockens indes würden dies eher unwahrscheinlich erscheinen lassen, sagt ein Insider.

Dem Vernehmen nach soll in dem Freiraum unter dem jetzt entdeckten Stein zudem Material gefunden worden sein, das zum Stadtarchiv gehören könnte: Kunststoff-Fetzen beispielsweise oder eine 20 mal 20 Zentimeter große Terrazzoplatte. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass der Boden unter dem Stadtarchiv tatsächlich genau an dieser Stelle in die Baugrube geströmt ist.

Entscheidend wird sein, ob und wie weit sich dieser mögliche „Durchflusskanal“ nach unten fortsetzt – ob die jetzt gefundene Stelle also tatsächlich der Beginn des vermuteten Lecks ist. Eine Antwort auf diese Frage wird es wohl erst in einigen Monaten geben. Die von Experten vermutete Schlitzwandlücke jedenfalls muss mindestens etwa vier Quadratmeter groß sein. Ansonsten hätten die etwa 5000 Kubikmeter Sand, Kies, Erde und Wasser, die sich innerhalb von Minuten von der Vorderseite des Stadtarchivs in die Grube verlagert hatten, wohl nicht dadurch gepasst.

Gutachten steht noch aus

Die Arbeitsgemeinschaft der an den Baumaßnahmen beteiligten Unternehmen (Arge) bezweifeln weiterhin, dass der Einsturz durch ein Loch in der Schlitzwand verursacht wurde. Die Möglichkeit eines hydraulischen Grundbruchs, also ein Eindringen von Wasser und Erde von unten in die KVB-Grube, habe „weiterhin Bestand“, betonte Arge-Sprecher Markus Lempa. Das Material im Umfeld des jetzt entdeckten Steins werde derzeit analysiert. „Zu diesen Untersuchungen gibt es bisher aber noch keinen Bericht des Gutachters. Uns ist beispielsweise auch nicht bekannt, dass im Bereich des Steins Materialien gefunden worden sein sollen, die eindeutig dem Stadtarchiv zugeordnet werden können“, sagte der Arge-Sprecher. „Alle derzeitigen Schlussfolgerungen“ seien deshalb „reine Spekulation“.

Sollten sich die Vermutungen aber bestätigen, könnten diese zum Vorwurf verkorkster Bauarbeiten im September 2005 passen. Der Aushub zum geplanten KVB-Gleiswechselbauwerk lief unter Hochdruck, der aktuelle Bauabschnitt sollte längst erledigt sein. Doch beim Ausschachten für die Lamelle 11 brachen in acht, neun und 14 Metern Tiefe immer wieder Zähne des Greifers ab, mit dem die Erde aus dem Untergrund geholt werden sollte.

Zerstörtes Fugenblech

Der mögliche Grund für die Probleme, so wird heute dem Vernehmen nach vermutet: Ein Schutzblech, das sich normalerweise leicht lösen lässt, war wohl zu fest an der Fuge zur bereits ausgehobenen und zementierten Lamelle 10 befestigt worden. Als dann die Erde für die daneben vorgesehene Lamelle 11 ausgebaggert wurde, knallte der tonnenschwere Greifer immer wieder auf das fest sitzende Schutzblech, so dass das Fugenblech der Lamelle 10 schließlich einriss und über mehrere Meter nahezu abgeschält wurde, bis es letztlich abriss.

Ein Lkw-Fahrer soll später im Polizeiverhör ausgesagt haben, dass die Bauarbeiten damals einfach weiterliefen, obwohl plötzlich ein zusammengeknülltes Blech aus der Grube gebaggert wurde. Dessen Abrisskante, die von oben nicht zu sehen war, könnte tief unten in der Erde aber wie ein Haken in den Bereich der Lamelle 11 hineingeragt haben. Das könnte dann zum Verhängnis geworden sein, denn in einer Tiefe von etwa 27 Metern brachen die Greiferzähne erneut ab.

Greifer gewechselt

Was nicht problematisch wäre, wenn, wie in solchen Fällen üblich, ein Meißel genutzt werden kann, um das Hindernis zu zertrümmern. Im Falle der Lamelle 11 habe dies wegen des zerstörten Fugenblechs aber womöglich nicht funktioniert, so ein Insider. Denn der Meißel müsse durch einen Schlitz in eben diesen Fugen geführt und gesteuert werden.

Als die Bauarbeiter im September 2005 das Hindernis im Untergrund nicht entfernen konnten, wurde beim weiteren Aushub jedenfalls getrickst. Statt mit dem bisher eingesetzten 3,40 Meter breiten Greifer wurde mit einem 2,80 Meter breiten Gerät weitergearbeitet. Dadurch konnte der direkt unter dem Hindernis liegende Boden vermutlich nicht mehr ordnungsgemäß ausgehoben, mit Eisen bewehrt und mit Beton verfüllt werden, sagen Insider.

Das könnte Sie auch interessieren:

KStA abonnieren