Überforderte Polizisten, aggressive TäterZeugen schildern schreckliche Silvesternacht im Hbf Köln

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Die Kölner Polizei hat nach den sexuellen Übergriffen eine Ermittlungsgruppe eingerichtet. (Symbolbild)

Die Kölner Polizei hat nach den sexuellen Übergriffen eine Ermittlungsgruppe eingerichtet. (Symbolbild)

Köln – Panik und Hilflosigkeit – Es sind diese zwei Worte, die Thorsten Schneider (Name geändert) in den Sinn kommen, wenn er an die Silvesternacht zurückdenkt. Mit seiner Lebensgefährtin und seinen zwei Kindern (13 und 15 Jahre alt) wollte der Kölner wie im Jahr zuvor im Schatten des Doms das neue Jahr begrüßen. Was dann passierte, verschlägt dem 49-Jährigen auch Tage danach noch die Sprache.

„Schon am Ausgang der Bahnhofshalle zum Dom hin, kam uns eine riesige Menschenmasse entgegen“, schildert er seine Erlebnisse gegen 23 Uhr. „Ich fragte mich dann: Warum wollen die alle rein? Wir wollen doch raus.“

Und plötzlich gab es kein Zurück mehr. „Wir waren mittendrin, keine Chance mehr der Menschenmenge zu entkommen, nicht nach links, nicht nach rechts, nicht nach hinten oder vorne.“

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Von der Familie getrennt

Er beschreibt, wie sich „eine große Gruppe Ausländer“ von vorne in die Besuchermenge drängte. Schneider wurde abgedrängt, verlor seine 48-jährige Lebensgefährtin und die Kinder in der Menschenmasse. „Meine Partnerin konnte ich ein paar Meter hinter mir noch sehen, meine Kinder nicht. Das war das Schlimmste.“

Seiner Familie zu helfen, war für Schneider nicht möglich. Er beschreibt wie die Täter die Menge einkreisten, wie geplant ihm das Vorgehen im Nachhinein vorkommt. „Das war kein Zufall. Die wussten, was sie da taten. Sie schrien und lachten, während sie die Menge umzingelten. Ich wurde gedrückt, gedrängt und geschubst. Man griff mir in die Jackentaschen.

Freundin und Tochter begrapscht

Schneider schaffte es schließlich als erster der Menschenmenge zu entkommen. Nach 20 Minuten kam seine Lebensgefährtin mit den Kindern dazu. „Sie waren geschockt und zitterten“, erzählt Schneider. Seine 15-Jährige Tochter habe geschrien und geweint. „Die Angreifer hatten ihr und meiner Lebensgefährtin an die Brust und zwischen die Beine gegriffen. Sie hatten versucht in Jeans und den Slip zu kommen.“

Seinem 13-jährigen Sohn habe man das Handy aus der Hosentasche gestohlen, berichtet er weiter. Um den Tätern zu entkommen, lief die Familie dann zur Mitte des Platzes. Doch auch dort habe er sich nicht sicher gefühlt, erzählt er.

„Von überall her liefen die Täter auf uns zu. Sie schrien etwas auf Arabisch und hatten Dinge wie Bürsten, Haarreifen oder Handykopfhörer in der Hand. Die waren einfach überall und warfen Raketen und Böller in die Menge.“

Über die Herkunft der Täter kann Schneider nur spekulieren, er möchte sich lieber zurückhalten, „vom Aussehen her könnten es Nordafrikaner gewesen sein“, sagt er. „Die waren direkt vor mir, aber ich habe niemanden erkannt. Wer das ist, war mir in dem Moment aber auch völlig egal.“

Polizei fühlte sich nicht sicher

Schneider lief mit seiner Familie schließlich zum Rolex-Haus auf dem Bahnhofsvorplatz. Nur dort hatte er von weitem Einsatzwagen der Polizei erkennen können. „Nirgendwo auf dem Platz war Hilfe“, sagt der 49-Jährige. „Von dem Moment an, an dem wir umzingelt wurden, bis wir draußen waren, habe ich keinen einzigen Polizisten gesehen.“

Vor dem Rolex-Haus schilderte der Familienvater den Polizeibeamten dann seine Erlebnisse. „Die sagten einfach nur, wir sollen den Platz so schnell wie möglich verlassen“. Selbst bei der Polizei habe er sich nicht sicher gefühlt. „Präsenz war da, aber kein Einsatz. Die Angreifer konnten machen, was sie wollten“.

Wie Schneider berichtet, war das Chaos vor den Eingängen in die Bahnhofshalle zu diesem Zeitpunkt immer noch groß. Also verließ die Familie den Platz in Richtung Bankenviertel. Doch auch in den Straßen rund um den Dom seien ihnen „sehr aggressive Ausländer“ entgegengekommen, beschreibt er die Umstände. „Die warfen Böller in die Menge. Manche rannten wie auf der Flucht durch die Straßen.“

Gegen 0 Uhr fand sich die Familie dann in einer ruhigen Straße ein und feierte - „wenn man das so beschreiben kann“ – Silvester. „Einfach für die Kinder. Wir wollten, dass die ein bisschen runterkommen.“

Schneider hat nun Anzeige gegen Unbekannt erstattet – wegen Diebstahl und sexueller Belästigung. Seiner Familie gehe es „soweit gut“, sagt er. Auch wenn er und seine Frau unter Schlafproblemen leiden würden. „Ich kann das einfach kaum beschreiben. Ich war in der Situation völlig hilflos. Dass meine Kinder so etwas miterleben mussten, ist für mich das Schlimmste. Man denkt schon viel darüber nach. Ich glaube schon, dass bei meinen Kindern irgendetwas von dieser Nacht steckenbleibt.“

Erschrocken ist er vor allem darüber, dass so etwas mitten in Köln passieren kann. Traurig über die Tatsache, dass ihnen niemand zur Hilfe gekommen sei.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Eine Afghanin schildert die Silvesternacht am Hauptbahnhof.

Fahra Tajik, 32 (Name geändert), Flüchtling aus Afghanistan, seit zwei Jahren in Köln, war mit ihrer Tochter (10) zwischen 21 und 21.30 Uhr am Bahnhofsvorplatz. Sie hatten zwei Verwandte vom Zug abgeholt, waren zuvor am Rhein, zündeten ein paar Raketen und wollten dann zur U-Bahn im Hbf. Sie kamen die Domtreppe herunter.

„Ich habe so etwas noch nie erlebt und hätte das nach zwei Jahren in Köln auch nie erwartet, so etwas in dieser Stadt erleben zu müssen. Die meisten der jungen Männer waren stark alkoholisiert, sie schrien laut herum, zerbrachen ihre Bierflaschen, standen in Gruppen zusammen und machten junge Frauen an.

Ich kann nicht sagen, aus welchen Ländern sie kamen, sie sahen aus wie Araber, aber viele sprachen gut Deutsch. Es war eine aufgeladene, aggressive Stimmung und ich hatte Angst um mich und meine kleine Tochter, die anfing zu weinen.

Mehrere Männer umzingelten geradezu die Frauen oder Mädchen, die aus oder in den Bahnhof wollten. So auch uns. Als wir uns in den Bahnhof flüchteten, stellte sich ein Mann vor mich und machte mich an „Hallo Süße. Du hast so schöne Haare“.

Der andere hinter mir versuchte, in meine Handtasche und meine Manteltaschen zu greifen, suchte nach meinem Handy. Die beiden waren geübt darin, Leute zu bestehlen. Die Frauen wurden belästigt und fühlten sich bedroht.“

Fahra kann verstehen, dass sich jetzt viele Menschen fragen, ob diese Gewalt gegen Frauen ein speziell muslimisches Problem ist. Sie sagt, dass sich in Afghanistan junge Frauen gar nicht allein in der Öffentlichkeit bewegen können, ohne von Männern belästigt zu werden. „Das habe ich oft erlebt. Aber das hat mit dem Islam gar nichts zu tun. Die meisten dieser Männer sind religiös völlig gleichgültig. Es fehlt der Respekt vor den Frauen.“

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Ein weiterer Augenzeuge schildert die Silvesternacht am Hauptbahnhof.

Eigentlich ist Frank Püschel Köln-Fan. Doch vorerst will der 44-jährige Iserlohner nicht mehr kommen. Das, was er am 1. Januar gegen 0.30 Uhr im und am Kölner Hauptbahnhof erlebte, hat ihn zu sehr schockiert.

„Ich habe gedacht, es eskaliert, da war eine aggressive Stimmung hoch drei“, sagt Püschel, der sich auf der Deutzer Brücke das Silvester-Feuerwerk anschaute und dann über den Breslauer Platz in den Bahnhof ging, um mit der U-Bahn weiter in Richtung Hotel zu fahren. Doch dazu kam es nicht.

Zu wenig Polizei

„Frauen wurden eingekreist, Leute, die sich einmischen wollten, wurden bedroht“, sagt der Sauerländer, der sich etwa zehn Minuten im Bahnhof aufhielt und dann nur noch über den Vorplatz herauskam.

Mindestens 200 junge Männer mit ausländischem Hintergrund hätten sich dort und in der völlig überfüllten Bahnhofshalle aufgehalten, Alkohol getrunken und Leute angepöbelt. Frauen seien angefasst worden, „zwei Japanerinnen haben es richtig mit der Angst zu tun bekommen“, sagt Püschel.

Die Polizei habe die Lage „eher nicht“ im Griff gehabt: „Normalerweise hätte das Aufgebot der Polizei doppelt und dreifach gewesen sein müssen.“

Frank Püschel glaubt, dass die Vorfälle dem Image Kölns geschadet haben. Gerade im Umfeld des Doms, dem Aushängeschild der Stadt, müssten die Verantwortlichen für Ruhe sorgen. Püschel ist sich sicher, dass Köln im Karneval „Touristen ohne Ende“ verlieren wird.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Totales Chaos am S-Bahn-Gleis.

„Totales Chaos“ am S-Bahn-Gleis

Eine 60-jährige Overatherin und ihre Freundin wurden in der Umgebung des Doms gleich mehrfach von Gruppen aus vier bis sechs jungen Männern umkreist. „Die haben versucht uns anzumachen, wir fühlten uns bedroht“, sagt die Frau, die ihren Namen lieber für sich behält.

Die Täter seien Migranten gewesen, die nicht aus Afrika stammten. Die Frauen konnten sich aus den misslichen Lagen befreien, doch später habe am S-Bahn-Gleis im Bahnhof noch einmal das „totale Chaos“ geherrscht. Viele der jungen Männer seien dort betrunken sehr aggressiv geworden, es sei zu Schlägereien gekommen.

„Ich hatte das Gefühl, die Polizei und die Sicherheitsleute der Bahn waren nicht nur überfordert, sondern hatten auch Angst, die Lage könnte eskalieren“, sagt die Augenzeugin.

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Sara Göksu (Name geändert) feierte die Silvesternacht mit drei Freundinnen in einem Deutzer Club. Noch auf die Straße zu gehen, war eigentlich nicht geplant. Die Terroranschläge in Paris hatten sie verunsichert. Doch dann kam es anders. „Wir wollten uns amüsieren und zeigen, dass wir keine Angst haben. Wir wollten das Lichterspektakel genießen – die Kulisse von Dom und Rhein ist einfach traumhaft.“ Gegen kurz vor 1 Uhr gingen sie vom Hyatt Hotel aus über die Hohenzollernbrücke in Richtung Dom, als ihnen auf der Brücke rund 15 Männer entgegenkamen, wie Göksu schildert. „Die haben uns an die Brüste und an das Gesäß gegriffen. Wir hatten Angst.“ Sie ist sich sicher: „Das waren keine Schwarzafrikaner und auch keine Türken. Das waren Araber. Die haben arabisch gesprochen, vereinzelt habe ich Französisch gehört.“ Als „ungepflegt“ beschreibt sie das Äußere der Angreifer, sie hätten Jeans, Turnschuhe und Steppjacken getragen. „Einer hat sich immer wieder wie Michael Jackson an seinen Penis gegriffen.“

Die 37-Jährige hat das Erlebnis tief beunruhigt. „Wir alle vier haben gedacht, mein Gott, wir leben doch als freie Bürger in Deutschland, in einem demokratischen Land. Wie kann so etwas hier passieren?“ „Als Frau“, sagt sie, „fühle ich mich tief verletzt.“ Die Bilder der Nacht gehen ihr noch heute nicht aus dem Kopf. In Richtung Heumarkt konnten die Freundinnen die Brücke schließlich verlassen. Noch in der Bahn zurück nach Junkersdorf, wo Göksu lebt, habe die Situation kein richtiges Ende gefunden. „Da waren auch mindestens fünf aggressive Männer drin.“

Zu Hilfe gekommen war den vier Freundinnen in dieser Nacht niemand. Doch zeigt Göksu Verständnis: „Die Polizei kann sich nicht vierteilen. Die waren mit der Situation überfordert.“ Und die Kölner, sagt sie, „ich weiß, dass die Zivilcourage beweisen können. Aber auch ein mutiger Mensch überlegt, bevor er handelt. Ich traue mich auch nicht mehr zu helfen. Wer weiß, ob der Täter ein Messer zückt oder gar eine Bombe bei sich hat?“.

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