Körnerstraße in EhrenfeldHip oder nicht hip, das ist nicht die Frage

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Die Körnerstraße in Ehrenfeld 

Die Körnerstraße in Ehrenfeld 

Köln – Bemerkenswert ist, wie entschieden sich die Geister an der Körnerstraße scheiden. „Es ist ein bisschen schwierig mit den Nachbarn“, sagt Ute Kroll, die Wirtin der letzten von einstmals 13 Kneipen in der Straße, „Em Höttche – beim Aggi“.

Kroll sagt, sie fühle sich „schon lange wie eine Außenseiterin hier“. Sie deutet in Richtung der kleinen Design-Lädchen. „Manche von denen denken, bei uns hocken nur Asis. Ich sage immer: »Kommt doch mal zu uns rein.« Inzwischen kommen einige auf ein Feierabendbier.“

Der Inhaber eines der gemeinten Geschäfte sagt, ohne als solcher etikettiert zu werden: „Ich bin kein Hipster, sondern schon seit über 20 Jahren hier.“ Ob er auch etwas sagen wolle über seine Straße? „Für eine Geschichte, in der auch die Wirtin vom Höttche interviewt wird? Lieber nicht.“

Er läuft dann gleich rüber zu einer Nachbarin und quatscht mit ihr. Am nächsten Tag weiß jeder, dass der „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Geschichte plant. Die Körnerstraße ist klein, groß ist sie in der Wahrnehmung als Symbol für den Wandel Ehrenfelds vom Arbeiter- zum In-Viertel.

Die Kaffeerösterei Van Dyck und die Kölschkneipe Em Höttche sind fremde Nachbarn des Heute und Gestern. Hier erfüllt Kaffeegeruch die Luft, dort riecht es nach Bier und Schweiß. Hier sitzen die Jungen und Für-immer-Jung-sein-Wollenden vor kleinen Laptops und nippen am Espresso-Macchiato. Dort trinken und karten die früh gealterten Arbeiter und Gestrandeten, die die Straße noch aus der Zeit kennen, als in und vor den Kaschemmen jede Nacht Schlägereien zu besichtigen waren.

Die Van-Dyck-Betreiber Monika Linden und Martin Keß sagen, dass sie nie im Sinn hatten, zur Avantgarde zu gehören. „Unsere Architekten haben sich am alten Arbeiterviertel orientiert und Fliesen verlegt. Wir wollten den Charme des Friseurgeschäfts, das hier vorher war, bewahren“, sagt Linden, die seit 26 Jahren in der Körnerstraße auch das Café Sehnsucht betreibt. „Unsere Idee kam nicht aus der hippen Richtung“, sagt ihr Geschäftspartner Keß, einst Gründungsmitgesellschafter der TV-Produktionsfirma Brainpool, der sich mit 40 „im Wohlstand zur Ruhe setzen“ konnte.

„Die Körnerstraße ist sehr speziell“, sagt Keß, der mit der Bestseller-Autorin Charlotte Roche verheiratet ist. „Die Leute haben eine klare Haltung, vielen geht es um Dinge wie Nachhaltigkeit und Achtsamkeit. Und viele leben auf der Straße ihr Privatleben aus.“ Das Van Dyk hat etliche Designpreise gewonnen, für seine Innenarchitektur wie für die Kaffeeverpackungen.

Hip? Der Industrie-Chic, der in manchen Läden hier zu sehen ist, gewiss. Ist das schlecht? Oder lässt sich mit der Arbeiter-Ästhetik einfach gut die Vergangenheit konservieren? Der Hipster ist für manche zum Schimpfwort geworden, er gilt als zu cool, weil er sich unbedingt unterscheiden will und mit seinen Tätowierungen und wilden Frisuren dann doch uniformiert aussieht. „Bei mir ist jeder Gast gleich“, sagt Ute Kroll. Vor ihrer Kneipe stehen am Mittag einige Stammgäste und rauchen. Einer sagt: „Schieße ich einem Hipster ins Knie – jetzt hopst er.“ Haha.

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„Es ist fast wie ein Dorf"

Anna Lederer vom „Utensil“, einem Lädchen, das „Industriekultur für zu Hause“ verkauft, nennt die Stilisierung der Körnerstraße zum Prenzlauer Berg Kölns schlicht einen Mythos. „Wir sind hier sehr bodenständig“, sagt die studierte Designerin. Die schwarz-weißen Kacheln ihres Ladens hat sie nicht selbst kleben lassen, sie stammen noch von dem Metzger aus den 1940er Jahren. „Es wird viel improvisiert, wir helfen uns, es ist fast wie auf dem Dorf. So hip, wie viele denken, sind wir nicht“, sagt Lederer. Andererseits ist der Mythos sehr lebendig.

Hip oder nicht hip sei nicht die Frage, findet Nicole Klaski. Die 33-Jährige bietet im Vorraum von Metzger Atila Tosun krumme Gurken, schrumpelige Äpfel und Kartoffeln in Herzform an – Obst und Gemüse, das nicht den Handelskriterien entspricht und sonst weggeworfen würde. Der Kunde zahlt, was er will.

Klaski hat die Initiative „The good food“ gegründet, die Lebensmittel vor der Mülltonne rettet. Die Umweltorganisation WWF schätzt, dass in Deutschland jede Sekunde 313 Kilogramm Lebensmittel weggeworfen werden. Es gehe ihr darum, der Beschleunigung in fast allen Lebensbereichen und dem unüberlegten Konsum etwas entgegenzusetzen, sagt Klaski. Hip ist sie gewiss, Hipster eher nicht.

Mit ihrem Projekt hat ihr Team klein angefangen, längst hat „The good food“ mehrere Preise gewonnen. Im Februar eröffnen die Aktivisten ein Ladenlokal in der Venloer Straße. „Unsere Idee hat sich rumgesprochen“, sagt Klaski, „das ist das Gute an gelebter Nachbarschaft.“

Von Mund-zu-Mund-Propaganda kann jeder eine Geschichte erzählen. Die Wirtin Ute Kroll, die „von den Menschen lebt, die uns seit Jahrzehnten kennen“, die Kaffeeröster Monika Linden und Markus Keß, die sich wundern, wie schnell die Nachfrage nach ihren Bohnen stieg, Anna Lederer vom Utensil, die sagt, dass die Läden nur so gut funktionierten, weil jeder jedem helfe, und die Straße auch durch Feste wie das längst riesengroße Körnerstraßenfest weit über Ehrenfeld hinausstrahle.

Dem Metzger Atila Tosun, seit 1992 vor Ort, ist „der Rummel um die Körnerstraße fast ein bisschen zu viel geworden“. Tosun hat ein kleines Restaurant auf der Venloer Straße, seine Fleischerei hatte er vor einigen Jahren dichtgemacht. Weil so viele Ehrenfelder seine Köfte mochten, hat er wieder an zwei Tagen in der Woche geöffnet.

Die Straße habe sich für fast alle Beteiligten zum Besseren entwickelt, findet Tosun. „Es gibt keine Schlägereien mehr und größere Vielfalt, die Menschen haben mehr Geld und können es sich leisten, hier einkaufen zu gehen.“ Die Mieten könne sich nicht mehr jeder leisten, das sei bedauerlich. „Aber für Geschäftsleute ist es nicht schlecht, wenn eine Straße ein bisschen angesagt ist.“ Hip, nicht hip? Tosun ist das egal.

Martin Keß findet die Körner-straße „modern, aber nicht nur hip“. Man müsste das Personal und die Kunden vom Höttche und von uns mal tauschen, das wäre ziemlich grotesk“, sagt er. Er meint es nicht ernst, aber es wäre nicht schlecht. Die fremden Nachbarn kämen sich näher.

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