Erinnerung an Gudrun VeltenDie Bloggerin für Sülz und Klettenberg

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Köln – Lange blonde Haare, eine schmale Silhouette, Gesichtszüge, die ein empfindsames Seelenleben verraten. Das Bild von Gudrun als junge Frau ist in Elkes Tratniks Gedächtnis gesichert, so wie unzählige andere Erinnerungen: „Sie war meine kleine freche Schwester“, sagt sie.

Gudrun Velten wurde am 13. Mai 1953 als Tochter eines Dortmunder Metzgers geboren. Am 1. Juli 2016 ist sie an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben, mit 63 Jahren, für die Menschen, die sie in ihrem Heimatviertel Sülz/Klettenberg kannten, erschreckend früh.

Sie fehlt vielen

Sie fehlt vielen, die Frau, die sich hinter der Kamera versteckt. So sah man Gudrun Velten auf dem einzigen Foto, das sie jemals von sich selbst veröffentlichte, auf ihrem Facebook-Profil: Hinter dem schwarzen Apparat, den gepflegte Hände halten, lugte nur ein kleines Stück Gesicht hervor – und ein Schopf blonder Haare.

Ein passendes Selbstporträt. In ihrem Veedel war die Unternehmensberaterin und IT-Spezialistin vor allem als Bloggerin bekannt. www.suelz-koeln.de war eine wichtige Adresse für Sülzer und Klettenberger im Netz. Die Informationsquelle Gudrun Velten und ihre Kamera waren von Veranstaltungen im Veedel nicht weg zu denken.

Sie war nie im Mittelpunkt

Sie fotografierte, schrieb, verlinkte zu anderen Berichten, kündigte Veranstaltungen an, vernetzte, war Dreh- und Angel-, aber nie im Mittelpunkt, ließ niemanden wirklich an sich heran, hatte sich längst in einem sehr großen Körper verbarrikadiert, die Schönheit weggesperrt.

„Gudrun war die Hübscheste in unserer Familie“, sagt Elke Tratnik. „Sie war die Pfiffige, Lebendige, ging auf alle Menschen zu, konnte besser Klavier spielen und war besser in der Schule, besonders in Mathe. Deswegen hat sie wohl auch Volkswirtschaft mit Schwerpunkt Informatik studiert.“

„Wir waren Geschwister und Freundinnen“

Mit der Studentin lebte Tratnik, die damals selbst Tontechnikerin war, vier Jahre zusammen. „Wir waren Geschwister und Freundinnen“, sagt sie. Sie teilten die Wohnung, ihre Geheimnisse, sie zogen um die Häuser, versackten in Kneipen, genossen das Leben in den 70er-Jahren.

„Gudrun stand in der damals legendären Filmdose mit Wally Bockmayer hinter der Theke, ging vom Weinhaus Esser am Eigelstein mit einer Lederflasche Weißwein ins Uni-Center-Kino und schaute sieben Stunden lang Filme von Bertolucci“, erinnert sich Tratnik.

Eine schmerzhaft zerbrochene Liebe

Irgendwann am Ende der Studienzeit geschah das, was die Wende in Gudrun Veltens Leben einleitete, was aus der attraktiven lebensfrohen Frau den sehr verschlossenen Menschen hinter dem dicken Panzer machte. Es war eine tiefe Enttäuschung, eine schmerzhaft zerbrochene Liebe zu „diesem Menschen“, den Tratnik nicht namentlich würdigen möchte. „Die Beziehung hat wohl gar nicht so lange gedauert.

Plötzlich war es vorbei. Das war für sie wie ein Genickschlag“, sagt die Schwester. Gudrun zog nach Wiesbaden, fing ihren ersten Job an. Es muss damals gar nicht so leicht gewesen sein in der IT-Branche als Frau.

Ihr Liebeskummer im Gepäck

Doch sie setzte sich durch, machte sich schnell selbstständig, in der fremden Stadt, mit ihrem Liebeskummer im Gepäck. Gudrun Velten legte sich einen Rettungsring zu. Ihr Gewicht stieg, ihr Verhalten wurde abweisender. „Sie war plötzlich härter. Wir kamen nicht mehr an sie heran“, sagt Tratnik; weder sie selbst, noch der Bruder und die Mutter. Die Familie fand keine Lösung, konnte das Schweigen nicht ergründen.

Die Ursache für die Sprachlosigkeit lag vergraben im Staub der 50er Jahre, in der Kindheit mit dem im Krieg verwundeten Vater und einer Mutter, deren Art „an die Queen Elisabeth erinnerte“. Es war ein Milieu, in dem Kinder lernten, Probleme zu verschweigen, statt sie zu lösen.

Wiedergefunden in den Werken Bertold Brechts

Es wird kein Zufall gewesen sein, dass Gudrun Velten sich in Bertolt Brechts Werken wiederfand. Dessen Kindergedichte konnte sie auswendig: „Tanz Kreisel, tanz! Die Straß ist wieder ganz. Der Vater baut ein großes Haus. Die Mutter sucht die Steine aus. Tanz Kreisel tanz!“ Sie hatte eine ganze Sammlung alter Blechkreisel.

Sie liebte Literatur, Filme, das Theater, die Oper, besonders Wagner, dessen Opulenz. Sie mochte reichhaltige Mahlzeiten, guten Wein. Sie rauchte 60 Zigaretten am Tag, hatte Bluthochdruck und Diabetes. „Sie war skurril, hatte unheimlich viel schwarzen Humor“, sagt ihre Schwester. Gudrun hat sich einmal bei einem Interview selbst vorgestellt, auf ihre lakonische Art: „Ich bin alt, ledig, blond, eigentlich längst grau, bin eine von gut sieben Milliarden Weltbürgern.

Ein Gemisch aus Weltliteratur und Volkswirtschaftsstudium

Mein Weltbild ist beeinflusst von einem ganzen Stapel Weltliteratur und das gemischt mit einem Volkswirtschaftsstudium. Ich bemühe mich wahrhaftig zu sein und selbst zu denken. Meine Therapeutin meint, dass es mir scheißegal ist, was die Leute von mir denken.“

Gudrun Velten sagte ihre Meinung, auf die direkte westfälisch Art. Sie mochte Yanis Varoufakis von der griechischen Linkspartei Syriza.

Keine Chance für die Liebe

Die Liebe hatte bei ihr keine Chance mehr. Manchmal aber spielte das romantische Mädchen Gudrun der nüchternen Frau noch einen Streich: „Sie hat eine Adoptivtochter“, erzählt Elke Tratnik. „Als sie in Wiesbaden arbeitete, hat sie eine 17-jährige Rumänin kennengelernt, die nur in Deutschland bleiben und studieren konnte, wenn sie jemand adoptiert.“

Das tat die IT-Fachfrau und lebte ein paar Jahre mit der erwachsenen Tochter. Es ging nicht gut. Die Jüngere zog aus und ließ nichts mehr von sich hören. Gudrun Velten hatte sich ihr Leben einmal anders vorgestellt „Ich glaube, sie träumte von einer Familie und einem Haus auf dem Land.“

„Der Veedelsblog“

Anfang der 1990er Jahre kehrte sie nach Köln zurück. Neben der Arbeit wuchs ihr Ersatzkind heran: der Veedelsblog, den sie 2006 ins Leben rief und in den sie ihre Freizeit investierte. Sie knüpfte Kontakte, war auf Veranstaltungen zu Hause, im Kultursalon, im Casamax-Theater.

„Sie hat unsere Arbeit gemocht und uns unterstützt, auch finanziell“, erzählt Theaterleiterin Hille Marks. Sülzer Geschäftsleute schalteten Anzeigen auf dem Blog, was sie verdiente spendete sie unter anderem dem Casamax-Theater. „Ich habe doch schon genug Geld“, lautete ihre schlichte Begründung. Mit Marks und andere Sülzerinnen rief sie beim Carréefest die Veedelsbühne ins Leben.

„Sie war computersüchtig“

Sie steuerte das Geschehen vom PC aus, pflegte zugleich persönliche Kontakte, dosierte sie, arbeitete tagsüber als Unternehmensberaterin, nachts an ihrem Blog, schlief, wenn irgendwann Zeit war. „Sie war computersüchtig“, glaubt Tratnik.

Dann der Schlaganfall, Anfang dieses Jahres. Zu ihrer Überraschung hatte Gudrun jegliches Interesse an ihrem PC verloren. „Ich habe spät bemerkt, dass sie auf einem Auge kaum noch sehen konnte. Sie konnte nicht mehr gehen und nicht mehr sprechen, aber sie war wieder ganz weich. Wir konnten sie wieder in den Arm nehmen.“

Ihre abgründige Seite, der Galgenhumor

Die Schwestern scherzten. „Manchmal habe ich gesagt: Wie siehst du eigentlich aus und warum sitzt du überhaupt im Rollstuhl? Dann haben wir uns kaputt gelacht.“ Im Antoniuskrankenhaus in der Raucherecke zwischen abgewrackten Gestalten, da habe sie sich gerne aufgehalten, erzählt Tratnik. „Mit ihnen hat sie erzählt und gelacht.“

Ihre abgründige Seite, der Galgenhumor, fühlten sich im Endstation- Ambiente zu Hause. Äußerlich trat Gudrun Velten eine Reise in die Vergangenheit an, sie n ahm mehr als 40 Kilo ab. „Sie hatte wieder das schmale Gesicht, die feinen Gesichtszüge“, erzählt Tratnik. Auch Hille Marks war erstaunt: „Ich habe sie im Krankenhaus besucht, und ich konnte nur sagen: Mensch Gudrun, siehst du gut aus.“

In dem Altenheim, wo sie zuletzt lebte, freute sich die schwer kranke Frau ganz besonders auf den regelmäßigen Friseurtermin. Frisch frisiert schaute sie in den Spiegel und lächelte, lächelte sich an wie eine zurückgekehrte alte Bekannte, das hübsche Mädchen von einst.

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