FerienaktionSusanne Hengesbach hat einen Tag lang Postkarten für Touristen verfasst

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Die Karte von Gamescom-Besucherin Mandy (25) geht an die Eltern in Bad Segeberg.

Die Karte von Gamescom-Besucherin Mandy (25) geht an die Eltern in Bad Segeberg.

Köln – Ich arbeite für den Erhalt der Schreibschrift, heißt ein Postkartenmotiv des Kölner (Strichmännchen)-Zeichners Wilhelm Schlote. Das tue ich heute auch, indem ich den Touristen am Dom anbiete, für sie die Ansichtskarten zu schreiben. Wie zu erwarten, ist meine elektronische Konkurrenz auf dem Gruß-Sektor gnadenlos und allgegenwärtig.

Soeben hat sich in kaum zehn Metern Entfernung eine Kleingruppe am Rand des Springbrunnens niedergelassen. Es folgt die obligatorische Momentaufnahme mittels Selfie-Sticks, wie ich sie im Laufe des Tages noch dutzendfach erlebe. Auf Kommando schieben sich sieben Lippenpaare in eine Position, wie sie es beim echten Lächeln im Leben nicht täten. Von Weitem naht ein älteres Paar mit einem kleinen blonden Mädchen.

Eine Postkarte an die Eltern

„Magst Du jemandem einen lieben Gruß aus Köln schicken?“, frage ich in Richtung des Kindes und zeige auf verschiedene Dom-Motive. Die Großmutter findet das „eine tolle Idee“ und steuert sogleich den Kartenständer im Dom-Shop an, der freundlicherweise meinen unentgeltlichen Service gestattet.

Postkarten-Geschichte Bild 4 (1)

Die kleine Johanna legt mir eine Ansicht der Schatzkammer hin und blickt mir erwartungsvoll ins Gesicht. Also beuge ich mich über meinen mitgebrachten Campingtisch und konzentriere mich. Wie geht noch mal ein großes „L“ in Kinderschönschrift? Sorgfältig beginne ich mit „Lieber Papa und liebe Mama“. Kannst Du schon Deinen Namen schreiben?, frage ich die Fünfjährige. Bejahendes Nicken. Also schiebe ich ihr die Karte hin, damit sie den noch drunter setzen kann.

„Hast Du super gemacht!“, finde ich, aber Johanna wirkt nicht zufrieden. „Da muss noch was drauf!“ Oma schüttelt den Kopf. „Guck mal, die Karte ist voll.“ Johanna schmollt und deutet auf den Raum links neben der Briefmarke. „Da darf nichts hin“, erklärt die Großmutter. „Doch!“, insistiert das Kind und flüstert schließlich die noch fehlenden Worte: „Ich hoffe, ihr vergesst nicht meinen Geburtstag!“ – Für solch ein wichtiges Anliegen sei immer Platz, sage ich und quetsche den Satz an den Kartenrand. Jetzt ist alles gut.

„Zuerst habe ich Sie ja für verrückt gehalten“

Als nächstes kommen Amelie (4) und Anna-Marie (5) mit ihrer Mama und dem Papa, der heute Geburtstag hat. Sie wohnten in Hahn, seien aber Urkölner, versichert das Ehepaar Weschenbach und drückt dem Nachwuchs Geld für Postkarten in die Hand. Wenig später liegen zwei wunderschön glitzernde Exemplare, wie sie nur Mädchen aussuchen können, vor mir. Ich gebe alles, um Oma Hilda in Pulheim und Oma Marion in Hilden glücklich zu machen.

Anne-Marie und Amelie möchten jeweils eine Karte an die Oma verschicken.

Anne-Marie und Amelie möchten jeweils eine Karte an die Oma verschicken.

„Wenn Sie mögen, schreibe ich für Sie die Karte“, sage ich zu der Frau, die als nächstes in den Kiosk tritt. . „Das kann ich schon selber“, entgegnet diese grinsend, „ich schreibe seit über 50 Jahren!“ „Aber eigentlich ist das ja eine schöne Idee“, meint sie beim Verlassen des Shops und legt mir ihre Ansichtskarte hin. „Für Uschi Wunderlich“, diktiert sie. „Den Rest dürfen Sie sich ausdenken.“ „Liebe Uschi, schreibe ich, „Du magst Dich über meine Handschrift wundern, aber nach über 50 Jahren, in denen ich selber geschrieben habe, überlasse ich das nun anderen. Viele Grüße, Angelika“. Angelika Frömgen strahlt. „Zuerst habe ich Sie ja für verrückt gehalten“, gesteht sie nun. „Aber jetzt muss ich sagen, ich finde das richtig toll!“

Eine Frauengruppe, Kleingärtnerinnen aus dem Ruhrgebiet, nähert sich. Es kostet mich ein wenig Überredungskunst, bis ich Christa Albrecht für meine Mission gewinnen kann. Die Karte ist für Enkel Tim aus Dortmund bestimmt, der kommende Woche eingeschult wird. Alles klar. Ich schalte wieder in den Kinderschrift-Modus: „Lieber Tim, damit Du schon mal sehen kannst, wie schön es ist, etwas Handgeschriebenes zu bekommen, erhältst Du heute von mir diese tolle Karte aus Köln. Deine Oma“

Kein Glück bei asiatischen Touristen

Danach bleibe ich eine Weile arbeitslos. Während am Brunnenrand erneut der Selfie-Stick in Aktion tritt, nähern sich zwei Teenager, die so aussehen, als hätten sie heute eine Sonnenlicht-Premiere. „Hey“, rufe ich. „Wollt ihr mal was total Abgefahrenes machen?“ – Kopfschütteln. Bei den asiatischen Touristen habe ich ebenfalls kein Glück. Drei Extra-Minuten für einen Schönschrift-Gruß nach China sind im Zeitplan dieser Kölnbesucher einfach nicht vorgesehen. „Was willst du da?“, ruft jemand seiner im Kiosk verschwindenden Frau hinterher. „Eine Karte kaufen, die ich dann schreibe“, sage ich. Der Mann überlegt. „Verschicken Sie auch E-Mails?“

Als nächstes versuche ich meine Sprachkenntnisse bei einem Italiener, der Kleidung nach Priester, anzuwenden. Fehlanzeige. Wahrscheinlich darf der sich – noch dazu am Dom – auf keine Offerten von Frauen einlassen. Eine junge Frau mit pinkfarbenen Haaren kommt des Wegs. „Ich finde, wenn man irgendwo hinreist, gehört das dazu, Mutti oder Vati eine Karte zu schicken“, sagt die 25-jährige Mandy mit unüberhörbar norddeutschem Einschlag.

Dagmar Deiters aus Hürth lässt einen Gruß an Danielle in Frankreich verschicken.

Dagmar Deiters aus Hürth lässt einen Gruß an Danielle in Frankreich verschicken.

Also schicke ich sonnige Grüße an Pia und Jakob Wegener in Bad Segeberg. „Gamescom war super, leider die Kanzlerin nicht gesehen.“ Dann kommt Dagmar Deiters aus Hürth. „Da ich selber sehr gerne schreibe, könnte ich mich glatt neben Sie setzen“, meint die 65-Jährige und berichtet, dass sie gerade ihre Freundin Danielle zum Zug gebracht habe. Sie beide hätten sich einst als Austausch-Schülerinnen im Sauerland kennengelernt und später aus den Augen verloren. „Jetzt, wo wir beide Großmütter sind, haben wir uns wieder gesehen und bis spät in die Nacht gegenseitig die alten Briefe vorgelesen, die wir uns damals geschickt haben. Wir haben Tränen gelacht“, erzählt Deiters und wird dann ernst. „Das wird die heutige Jugend nie können. Whatsapp gibt es in fünfzig Jahren nicht mehr. „Aber wer schreibt, der bleibt.“

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