Finkenberg„Hier passiert gar nichts“ – Zu Besuch in der Kölner AfD-Hochburg

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Straßenszene in Köln-Finkenberg

Straßenszene in Köln-Finkenberg

Köln-Finkenberg – In keinem anderen der 800 Kölner Stimmbezirke war die AfD am Sonntag so erfolgreich wie in dem Wahllokal an der Stresemannstraße 6a in Finkenberg. (Sehen Sie hier, wie Ihr Wahlbezirk gewählt hat.) Die Bewohner der benachbarten Hochhaussiedlung gaben den Rechtspopulisten 24,81 Prozent der Zweitstimmen – und machten sie damit zur stärksten Partei vor der CDU (23,04 Prozent) und der SPD (21,27 Prozent).

Bei den Erststimmen lag AfD-Kandidat Fabian Jacobi ebenfalls vorn. Im gesamten Stadtteil, zu dem noch zwei weitere Wahlbezirke gehören, kam die AfD auf 16,8 Prozent der Zweitstimmen. Teile Finkenbergs, vor allem der Stimmbezirk 71602, gelten als sozialer Brennpunkt: hohe Arbeitslosigkeit, mangelnde Perspektiven für Jugendliche, Kriminalität. Das überdurchschnittlich gute Abschneiden der AfD dürfte nicht zuletzt das Ergebnis einer gescheiterten Stadtplanung sein.

Ein Schaufenster mit eindeutigem Schriftzug in Finkenberg.

Ein Schaufenster mit eindeutigem Schriftzug in Finkenberg.

Mittägliche Leere auf dem Platz der Kulturen, um den sich die Wohnblocks scharen. Die Ladenzeile wirkt heruntergekommen. Eine Rentnerin schiebt ihren Rollator vor sich her. Sie ist auf dem Weg zum Supermarkt und hat Zeit für ein kurzes Gespräch über die Wahl. 

„Es wird soviel Geld ausgegeben in Deutschland, aber hier passiert gar nichts“, sagt sie. „Die letzte Regierung hat nicht viel gemacht, das war nur bla bla bla.“ Die 88-jährige erzählt, wie beschwerlich die Wege für sie sind. „Zwischen den Hochhäusern ist nicht eine einzige Bodenplatte in Ordnung, und da muss ich jeden Tag drüber laufen.“ Sie sei vor vielen Jahren aus der Tschechei nach Deutschland gekommen und habe als Krankenschwester gearbeitet, sagt sie. Aus Tschechien also? „Aus der Tschechei.“

Vom Demonstrativbauvorhaben zum sozialen Brennpunkt

Finkenberg war als Demonstrativbauvorhabens des Bundes geplant worden. Die Nordwestdeutsche Siedlungsgesellschaft wollte zu Beginn der 70er Jahre den Bürgerinnen und Bürgern der damals wachsenden Stadt Porz neuen Wohnraum schaffen.

Sie baute rund 2800 Sozialwohnungen in Gebäuden von acht bis 20 Stockwerken. In unmittelbarer Nachbarschaft entstanden Einfamilienhäuser und Wohnblöcke mit Eigentumswohnungen.

„Die mit der Bebauungsstruktur angestrebte Mischung unterschiedlicher Bevölkerungsschichten sollte zu einer ausgewogenen Sozialstruktur beitragen“, heißt in einem Bericht der Stadtverwaltung. Einkaufszentrum, Fußgängerzone, Kindergärten und Schulen sollten zur Attraktivität beitragen.

Leerstände sollten durch problematische Mieter behoben werden

Doch der Aufbau von Geschäften, Kindergärten, Schulen und allem anderen, was einen Stadtteil lebenswert macht, hielt nicht mit der schnellen Besiedelung mit. Erschwerend kam hinzu, dass Investoren ihre Gebäude verwahrlosen ließen. Viele der ursprünglichen Bewohner zogen enttäuscht weg.

Die Folge waren Leerstände, die zunächst durch die Ansiedlung von Zuwanderern und später durch eine gezielte Belegung mit als sozial problematisch geltenden Mietern behoben werden sollten.

Im Friseursalon sitzt an diesem Montagnachmittag eine einzige Kundin und lässt sich die Haare schneiden. Ihr reichen zwei Sätze, um die Wahl zu analysieren. „Die Leute haben AfD gewählt, weil sie der Merkel eins auswischen wollten. Das ist hier ein Brennpunkt, doch für die Menschen wird nichts getan – noch Fragen?“

Trotz Bemühungen fühlten Bürger sich im Stich gelassen

Nichts getan, das würden weder die Stadtverwaltung geltenlassen, noch die Ratspolitiker. Nach der Eingemeindung wurde Finkenberg zum Sanierungsgebiet erklärt, Mieterinitiativen, Verbände und Sozialarbeiter kümmern sich um die Menschen. Bemühungen, die jedoch nicht verhindert haben, dass sich viele Bewohner Finkenbergs im Stich gelassen fühlen und sich abwenden.

Zwei Finkenberger sitzen auf einem Mäuerchen.

Zwei Finkenberger sitzen auf einem Mäuerchen.

„Die SPD und die CDU und die anderen Parteien, die belügen uns vor der Wahl. Hinterher machen sie dann das Gegenteil von dem, was sie sagen“, schimpft ein 73-Jähriger. Er habe im Straßenbau gearbeitet, sei Jahre lang früh morgens aufgestanden.

„Jetzt lebe ich von 940 Euro Rente“, sagt er. „Mein Schwiegersohn, der noch nie gearbeitet hat, bekommt vom Staat 840 Euro. Da dürfen sich die Politiker nicht wundern, wenn die Deutschen wach werden.“

Ob er denn selber gewählt hat? „Als anständiger Deutscher geht man wählen“, sagt der Mann, schnippt seine Kippe auf den Boden und schlendert weiter.

Parteien haben kaum Schnittstellen mit den Bürgern

Roman Friedrich hat das starke Abschneiden der AfD in Finkenberg alles andere als überrascht. Der Streetworker hat viele Jahre in Finkenberg gearbeitet und ist jetzt in Chorweiler beschäftigt, wo die rechtspopulistische Partei ähnlich hohe Ergebnisse erzielt hat.

„Das war absolut vorhersehbar“, sagt er. „Etablierte Parteien und Verwaltung haben kaum Schnittstellen mit der Realität der dort lebenden Menschen“, so seine Erfahrung. „Sie sind dort nicht vernetzt, wissen nicht, wie es dort zugeht. Jetzt ernten wir die Früchte.“ Friedrich hat selbst russische Wurzeln und ist in der „Landsmannschaft der Deutschen aus Russland“ aktiv.

Er kennt die Community der Russlanddeutschen, von denen sich viele gerade in Finkenberg und Chorweiler angesiedelt haben. Und er hat das Abdriften eines Teils seiner Landsleute in die rechte Ecke seit längerem beobachtet.

Politiker von CDU und SPD reagierten nicht auf Einladungen

„Die Leute sind frustriert. Über die schlechte Wohnsituation, die Vermüllung, den Vandalismus, die latente Kriminalität, die Drogenproblematik. Und sie haben das Gefühl, dass ihnen niemand zuhört und Probleme nicht offen angesprochen werden.“ Beispielhaft nennt Friedrich seinen vergeblichen Versuch, Politiker von CDU und SPD zu den Feierlichkeiten zum Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai einzuladen.

Damals waren rund 1000 Teilnehmer in einem Autokorso von Chorweiler nach Finkenberg und weiter zum sowjetischen Ehrenmal für gefallene Soldaten auf dem Porzer Friedhof gefahren. Von den etablierten Parteien habe niemand Interesse gezeigt.

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Aber die Politiker der AfD seien zur Stelle gewesen, hätten sich den Unmut der Leute angehört und versprochen, für mehr Sicherheit zu sorgen. Die Russlanddeutschen seien ein wichtiger Baustein für den Erfolg der AfD. Die anderen Parteien hätten ihr das Feld überlassen.

Eine Deutsch-Iranerin, vor 20 Jahren hierhin gezogen, ist dagegen „total erstaunt, dass die AfD so viele Wähler hat. Die AfD ist gegen Ausländer und will die Demokratie kaputtmachen“. Das Wahlergebnis mache ihr Angst. Sie lebe gerne hier. Ihr Sohn sei hier aufgewachsen, er habe vor kurzem sein BWL-Studium abgeschlossen. „Ich hoffe, ich verliere nicht noch einmal meine Heimat.“

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