Fristen verpasstVerurteilte Kölner Gewalttäter wegen Justizpanne auf freiem Fuß

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Nach dem brutalen Überfall auf einen 40-Jährigen im Oktober 2013 wurde im Juli 2014 der Prozess eröffnet.

Nach dem brutalen Überfall auf einen 40-Jährigen im Oktober 2013 wurde im Juli 2014 der Prozess eröffnet.

  • Vier Männer hatten im Herbst 2013 in Neuehrenfeld einen 60-Jähigen ins Koma geprügelt. Sie hatten ihn mit einem Kontrahenten verwechselt, mit dem sie in Streit geraten waren.
  • Das Landgericht verurteilte die Täter zu langen Haftstrafen.
  • Wegen einer Justizpanne sind die Schläger nun aber schon wieder auf freiem Fuß.

Köln – Mit Eisenstangen und Fußtritten hatten vier Männer einen 60-Jährigen in Neuehrenfeld traktiert. Das Opfer erlitt Schädelbrüche, lag im Koma.

Grund für die brutale Attacke war offenbar ein banaler Streit um eine zugeparkte Garage. Doch in ihrer Wut hatten die Angreifer einen Unbeteiligten zusammengeschlagen, den sie für den Mann hielten, mit dem sie Tage zuvor in Streit geraten waren.

An diesem Drängelgitter kam es zum Streit, der für den 60-jährigen Radfahrer lebensgefährlich endete.

An diesem Drängelgitter kam es zum Streit, der für den 60-jährigen Radfahrer lebensgefährlich endete.

Das Landgericht Köln sprach im Dezember 2014 lange Haftstrafen wegen versuchten Mords und Beihilfe zu versuchtem Mord aus. Allein elf Jahre sollte der Hauptbeschuldigte im Gefängnis sitzen. Doch er und die Mittäter sind nach knapp zweieinhalb Jahren Haft und U-Haft jetzt wieder auf freiem Fuß – wegen einer Justizpanne, die mittlerweile im Landtag angekommen ist.

Staatsanwaltschaft und Landgericht haben sich mit dem Versand mehrerer Schriftstücke derart viel Zeit gelassen, dass das Oberlandesgericht Köln (OLG) schließlich die Freilassung der Verurteilten anordnete.

Nach der Urteilsverkündung im Dezember 2014 dauerte es drei Monate, bis das Protokoll der Verhandlung verfasst worden war, heißt es in einer Mitteilung des Landesjustizministeriums, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt. Diese Zeitspanne sei „keinesfalls hinnehmbar“, rügte das OLG.

Wie es zu den Verzögerungen kam

Die nächste Verzögerung hatte dann mit der Revision zu tun, die die Angeklagten gegen das Urteil eingelegt hatten und wegen der das Urteil derzeit noch nicht rechtskräftig ist. Die Staatsanwaltschaft brauchte mehr als sechs Monate für ihre schriftliche Stellungnahme. Auch dies sei „keinesfalls“ gerechtfertigt, befand das OLG.

Was noch hinzu kam: Als der zuständige Staatsanwalt im Dezember 2015 dann schließlich verfügte, die Akten an die Generalbundesanwaltschaft zu verschicken, geschah dies erst nach einem weiteren Monat. Nach all diesen Verzögerungen sah es das OLG als unverhältnismäßig an, die mutmaßlichen Täter angesichts des noch nicht rechtskräftigen Urteils weiter zu inhaftieren.

Die zuständigen Kollegen seien überlastet gewesen, führen die Kölner Behördenleiter als Grund für die Panne an. Zum Zeitpunkt des Verfahrens gegen die Neuehrenfelder Schläger habe die 11. Große Strafkammer bis zu fünf weitere Schwurgerichtsfälle parallel verhandelt, heißt es. Und die zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft hätten zwischen Mai und September des vergangenen Jahres 22 Mord- und Ermittlungskommissionen betreut.

Der Fall der nun entlassenen Gewalttäter sei ein deutliches Zeichen einer „strukturellen Überlastung“, sagt NRW-Rechtsausschussmitglied Dirk Wedel (FDP). Die Staatsanwaltschaft Köln sei mit Fällen „offenbar so zugelaufen, dass sie die Gesamtzahl nicht bewältigen kann“, so der Landtagspolitiker.

Zwar sei die durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Haftsachen wie dem Neuehrenfelder Fall von 172 Tagen im Jahr 2014 auf 151 Tage im Folgejahr gesunken, heißt es in der Mittelung des Ministeriums. Aber bei den weitaus häufiger auftretenden Fällen ohne Inhaftierung habe sich die Bearbeitungsdauer auf im Schnitt 480 Tage mehr als verdoppelt. Die Überbelastung der Staatsanwaltschaft Köln liege insgesamt bei fast 50 Prozent.

Hilfsstrafkammern eingerichtet

Das Landgericht hat unterdessen reagiert und zeitweise weitere Strafkammern und Hilfsstrafkammern eingerichtet. Zudem sollen alle Abteilungsleiter prüfen, ob es in anderen Haftsachen vergleichbare Verzögerungen wie im Fall der freigelassenen Schläger aus Neuehrenfeld gibt. Mit der Überlastung müssen Gericht und Staatsanwaltschaft noch geraume Zeit leben. Die Hoffnungen für die Zukunft indes ruhen auf einem 47-Millionen-Euro-Programm der Landesregierung, mit dem 100 Planstellen für Richter und ebenso viele für Staatsanwälte geschaffen werden sollen.

Das Fall der verurteilten Kölner Gewalttäter liegt unterdessen beim Bundesgerichtshof. Sollte der entscheiden, dass das Urteil Rechtskraft hat, müssen die Männer wieder in Haft. Falls nicht, wird die Sache in Köln neu verhandelt.

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